18 Vollnarkosen mit nur drei Lebensjahren

BKZ-Leser helfen Die dreijährige Helena aus Weissach im Tal hat wegen ihrer Blasen- und Hüftmissbildung bereits einen Operationsmarathon hinter sich. Ihre Mutter Lydia Martin kümmert sich hingebungsvoll um ihre Jüngste und ihre drei anderen Kinder.

18 Vollnarkosen mit nur drei Lebensjahren

Trotz der herausfordernden Situation möchte Lydia Martin ihrem Nesthäkchen Helena und deren Geschwistern schöne Momente schenken. Dafür bittet sie um Unterstützung. Foto: privat

Weissach im Tal/Backnang. Helena ist erst drei Jahre alt, hat aber schon 18 Operationen unter Vollnarkose hinter sich. Und damit ist der Leidensweg des Mädchens längst noch nicht am Ende. Blasenekstrophie – so lautet die medizinisch korrekte Diagnose. Das bedeutet: Das Kind wurde mit einer Harnblase außerhalb des Körpers geboren. Dazu leidet es noch unter einer beidseitigen Hüftdysplasie, also unter einer Fehlbildung des Hüftgelenks. Die Gelenkpfanne ist bei Helena nicht ausreichend ausgebildet, sodass der Hüftkopf keinen stabilen Halt findet. Die Krankenkasse listet sie aktuell unter Pflegestufe 3.

Für Lydia Martin ist der 11. September ein ganz besonders tragischer Tag. Sie denkt bei diesem Datum aber weniger an 9/11 und die Urmutter des weltweiten Terrorismus. Für sie ist der 11. September 2022 der Tag, an dem sie von einem Moment auf den anderen aus all ihren Träumen gerissen wurde. Es ist der Tag, an dem Helena, das jüngste ihrer vier Kinder, in ihrer Doppelhaushälfte in einem Teilort von Weissach im Tal zur Welt gekommen ist. Die Hausgeburt verlief völlig unkompliziert, wie es schon bei ihrem dritten Kind der Fall war. Das war auch zu erwarten, denn die Voruntersuchungen hatten überhaupt nichts Auffälliges gezeigt. Doch die erschrockenen Worte der Hebamme sprachen Bände, als sie den Säugling nach dem Abnabeln in ein Handtuch wickelte und zur Wöchnerin unmissverständlich sagte: „Oje. Du musst sofort mit ins Krankenhaus. Zieh dich an.“ Lydia Martin erinnert sich: „Ich dachte, ich bin im falschen Film.“

Der 11. September 2022 war ein Sonntag. Die erste Station des missgebildeten Säuglings war die Notaufnahme der Kinderstation im Rems-Murr-Klinikum Winnenden. Es folgten die typischen Fragen: „Haben Sie in der Schwangerschaft Drogen genommen? Geraucht? Alkohol?“ Die geschockte Mutter konnte alles verneinen. Im Hintergrund glühten die Drähte: Welche Fachklinik kann helfen? Tübingen? Stuttgart?

Im Krankenwagen und mit einem Notarzt im Schlepptau ging es für Helena nach Stuttgart. Die Eltern hinterher, nicht wissend, in welches Klinikum ihr Kind gebracht wurde. Der Empfang am Elisabethenkrankenhaus konnte mit dem Patientennamen nichts anfangen, auch im Katharinenhospital war er nicht bekannt. Erst im Olgäle wusste jemand Bescheid: „Ihre Tochter liegt auf der Frühchenintensivstation.“

Die Bauchdecke des Mädchens war bis zum Unterleib geöffnet

Im Krankenhaus rollte der Medizinmarathon an. Die Bauchdecke des Mädchens war bis zur Scheide geöffnet, die Blase lag außerhalb des Körpers, die Gelenke der Oberschenkel waren nicht korrekt in der Hüftpfanne platziert. Katheteruntersuchungen folgten, den ganzen Montag hinweg jagte eine Untersuchung die andere, am Dienstag erfolgte eine erste Operation, acht Stunden lang. Nachmittags gegen 15 Uhr konnte die Mutter ihr Kind erstmals sehen. Beide Beine waren zusammengewickelt und viele Schläuche ragten aus dem Verband. Die seltsame Wicklung ähnelte dem Unterleib einer Meerjungfrau.

Für Lydia Martin waren diese schlimmen Stunden, Tage und Wochen hart: „Ich durfte sie nicht aus dem Bettchen herausnehmen. Erst am 29. Oktober bekam ich sie erstmals auf den Arm.“ Zuvor noch, es war Ende September, musste Helena eine weitere Not-OP über sich ergehen lassen, die Bauchdecke war wieder aufgegangen und musste erneut zugenäht werden.

Acht Wochen lang pendelte Lydia Martin jeden Tag von Weissach nach Stuttgart. Unter der Woche blieb sie bis 20 Uhr. Am Wochenende, wenn ihre drei „großen“ Kinder – 9, 11 und 14 Jahre alt – versorgt waren, blieb sie oft bis 22 Uhr. „Als ich Helena das erste Mal an mich nehmen durfte, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Ich durfte ihr Hautkontakt und Nähe schenken, das war ein Stück Normalität, das ich mir so sehr gewünscht habe.“

Am 4. November durfte Helena nach Hause. Zwei Tage zuvor hatten ihre Geschwister sie das erste Mal gesehen, „da waren die meisten Schläuche aber schon weg, sonst hätten die Kinder das nicht gut verkraftet“. Die Füße und der Unterkörper steckten in einer Gipsschiene, die, mit einem Klettverschluss verschlossen, dem kleinen Körper eine Stütze sein sollte. Zwischen dem 22. November und dem 6. Februar 2023 folgten etliche Operationen, bei denen der Gipsverband stets angepasst wurde. Immer unter Vollnarkose. So wollten die Ärzte peu à peu erreichen, dass die Hüftpfannen in den richtigen Winkel kommen.

Das größte Problem ist jedoch die Blase. Da der Blasenhals keine Muskulatur vorweist, kann das Kind den Urin nicht halten. Die Ärzte planen, die Harnröhre mit einem großen Eingriff zu schienen. Wenn dies nicht klappt, ist die Alternative ein Stomakatheter, der über den Nabel angelegt wird.

Seit seinem ersten Lebenstag muss das Kind viele Medikamente nehmen. Aktuell dienen diese zur Vorbereitung auf die nächste OP, bei der die Blase vergrößert werden soll. Die Mutter leidet sehr unter der Ungewissheit: „Ob Helena jemals trocken werden kann, ist ungewiss. Die Chancen sind minimal.“

Der Alltag der Familie ist von Helenas Behinderung stark geprägt. Die Winkel an beiden Hüftpfannen sind noch nicht in der richtigen Stellung. Das Kind kann zwar gehen, aber es fällt trotz Spezialschuhen immer wieder über die eigenen Füße. Regelmäßige Physiotherapie soll Linderung bringen, ebenso findet in regelmäßigen Abständen eine Nierensonografie statt. Bei einem Nierenstau kann das Kind über Nacht auf 40 Grad auffiebern. Früher waren auch Vojta-Anwendungen Teil der Therapie.

Die Ernährung über eine Magensonde hat zu Schluckbeschwerden geführt

Geblieben sind Schluckbeschwerden. Sie sind darauf zurückzuführen, dass Helena lange Zeit über eine Magensonde ernährt wurde. Das Trinken aus einem Glas funktioniert immer noch nicht. Dafür klappt die Verständigung, auch wenn sie nicht vergleichbar ist mit Gleichaltrigen. Auch schläft Helena nicht durch. Das hängt damit zusammen, dass sie lange Zeit Morphin erhalten hat, klärt ihre Mutter auf.

Trotz der Behinderung besucht Helena vormittags den Kindergarten, was die Mutter sehr entlastet. „Ich kann die Betreuung den ganzen Tag über nicht mehr alleine stemmen. Außerdem hat Helena so soziale Kontakte.“ Umso mehr stimmt es die Mutter traurig, das jede OP diese Normalität infrage stellt. Die letzte Not-OP war im Juli. Und wenn die großen Operationen in den nächsten Jahren anstehen, muss eine Integrationskraft dem Kind zur Seite stehen, sonst ist ein Kita-Besuch nicht möglich.

Die Betreuung im Stuttgarter Klinikum ist zwar engmaschig und die Behandlung der seltenen Missbildung wohl auch in der gewählten Form richtig. Aber wegen der geringen Aussicht auf Erfolg, die die Ärzte im Olgäle in Aussicht gestellt haben, hat sich Lydia Martin in Regensburg eine Zweitmeinung eingeholt. Die dortige Klinik ist auf vergleichbare Fälle spezialisiert. Die Fahrten ins Bayerische samt Hotelübernachtung kosten nicht nur Geld und Zeit, sie bringen die Mutter auch an die Grenzen ihrer Kräfte. Die 35-Jährige schildert: „Ich muss ja auch die anderen drei Kinder versorgen. Und jedes ist auf einer anderen Schule.“

Die Kauffrau für Finanzen, die früher in Backnang gearbeitet hat, lebt heute von Bürgergeld. Mit der Unterstützung von BKZ-Leser helfen möchte sie Helena die bestmögliche Versorgung und Unterstützung ermöglichen: „Ein Teil fließt in solche Therapien und medizinischen Maßnahmen, die nicht vollständig vom Kostenträger übernommen werden. Außerdem möchten wir die Anfahrts- und Aufenthaltskosten für Spezialkliniken decken sowie Hilfsmittel anschaffen, die den Alltag erleichtern.“

Darüber hinaus möchte die gebürtige Wittenbergerin ihrem Kind – trotz oder gerade wegen der herausfordernden Situation – schöne Momente schenken und die Familie entlasten. So geht sie zuweilen mit den Kindern schwimmen. Für Helena ist es das Größte, in einer Therme zu baden, „da konnte sie sich richtig entspannen“. Aber auch Ausflüge in die Wilhelma oder in einem Familienhotel im Schwarzwald sind für die Familie schöne Auszeiten von den Sorgen des Alltags. Und so freut sich Lydia Martin auf Unterstützung: „Jede Spende hilft uns, ein Stück Lebensqualität und Hoffnung zu bewahren.“ Und dies umso mehr, weil nicht klar ist, wie viele Operationen der kleinen Helena noch bevorstehen.