34-jähriger Pfleger gesteht Missbrauch

Prozessauftakt: Geistig behinderter Junge in der Diakonie Stetten wurde offenbar schwer sexuell missbraucht

Ein 34-jähriger Heilerziehungspfleger hat vor Gericht zugegeben, einen zur Tatzeit 12- bis 13-jährigen geistig behinderten Jungen in der Diakonie Stetten schwer sexuell missbraucht zu haben. Es kam ferner zu einem Übergriff gegen eine junge behinderte Frau. Bei dem Mann wurde kinder- und jugendpornografisches Material gefunden.

Von Andrea Wüstholz

KERNEN IM REMSTAL/STUTTGART. Laut Staatsanwaltschaft hatte der 34-Jährige die Vorwürfe Anfang des Jahres noch bestritten. Nun aber räumte der Angeklagte die ihm zu Last gelegten Straftaten ein. Zwei Bewohner der Diakonie Stetten sollen über mehrere Monate hinweg von dem Heilerziehungspfleger sexuell missbraucht worden sein. Zudem war bei einer Wohnungsdurchsuchung auf Smartphone und Laptop kinder- und jugendpornografisches Material gefunden worden. Während der Vernehmung des Angeklagten zu den Vorfällen mussten Zuhörer und Pressevertreter gestern den Saal am Stuttgarter Landgericht verlassen. Der Verteidiger des 34-Jährigen hatte den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt. Es kämen intime Details aus dem Sexualleben des Heilerziehungspflegers zur Sprache, hieß es zur Begründung. Als sich die Türen wieder öffneten, sprach die Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf von einem „umfassenden Geständnis“, welches der Angeklagte abgelegt habe.

Der Mann war über eine Zeitarbeitsfirma im Zeitraum Dezember 2015 bis September 2016 als Nachtwache in der Diakonie Stetten eingesetzt gewesen. In der Anklage ist von drei Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs die Rede, begangen an jenem damals 12- und später 13-jährigen Jungen. Der Übergriff auf eine 21-jährige junge Frau, die auch geistig behindert ist, fiel ebenfalls in diese Zeit.

Der Junge erzählte seinem

Betreuer von den Vorfällen

Erst Monate später, als der Mann schon gar nicht mehr bei der Diakonie Stetten arbeitete, vertraute sich der behinderte Junge einem Betreuer an. Dieser Betreuer, ein Heilerziehungspfleger, sagte gestern als Zeuge vor Gericht aus. Zunächst habe er die Berichte des Jungen angezweifelt, sagte der Pfleger. Doch habe der geistig behinderte und verhaltensauffällige Junge seine Schilderungen sehr oft wiederholt, sogar Szenen vorgespielt und Details erzählt. Dem Pfleger wurde schnell klar: „Es muss etwas dran sein“, zumal der Junge diese Dinge nicht etwa aus Medien habe kennen können. Das Kind hatte keinen Zugang zu solchen Inhalten.

Hartnäckig versuchte die Vorsitzende Richterin, herauszufinden, inwieweit der Junge noch heute unter den Vorkommnissen leidet, ob er traumatisiert wurde. Sein damaliger Pfleger sagte, das sei nicht eindeutig feststellbar, zumal der Junge schon zuvor mit häufigen Stimmungsschwankungen zu tun hatte. Der Zeuge geht davon aus, dass dem Jungen die Tragweite des Missbrauchs wohl nicht bewusst war. Dennoch habe er wohl durchaus gespürt, dass der Angeklagte etwas tat, was er niemals hätte tun dürfen. Der aktuelle Bezugsbetreuer des betroffenen Jungen berichtete vor Gericht, der Junge rede nicht mehr von den Vorfällen, wirke auf ihn nicht traumatisiert. „Er ist relativ stabil“, so die Einschätzung dieser Fachkraft.

Der Angeklagte bezieht momentan Arbeitslosengeld (HartzIV) und lebt in einem Männerwohnheim. Ihm ist klar, als Heilerziehungspfleger wird er nie wieder arbeiten. Sein beruflicher Werdegang ist geprägt von einer Reihe von Brüchen. Nach dem Hauptschulabschluss, den er nach eigenen Angaben „mit viel Druck und viel Nachhilfe“ geschafft habe, hat der Mann zunächst Kfz-Mechaniker gelernt, aber nie in diesem Beruf gearbeitet. Während seines Zivildienstes arbeitete er in einer Werkstätte mit behinderten Menschen. Es folgte eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. Der heute 34-Jährige arbeitete eine Zeit lang in einem Waldorfkindergarten, dann in einem Seniorenheim, bevor er Anfang 2012 zu einem Zeitarbeitsunternehmen wechselte. Die Beziehung zu seiner Partnerin ging in die Brüche, er wechselte die Zeitarbeitsfirma – und erhielt im Frühjahr 2017 die Kündigung. Seitdem habe er „beruflich nichts mehr gemacht“.

Bereits vor vier Jahren seien bei ihm Depressionen diagnostiziert worden. Zurzeit nehme er fünf verschiedene Psychopharmaka ein und absolviere parallel zwei Therapien. Es sei ihm bewusst, dass ihm eine Haftstrafe drohen könnte, sagte der Mann, der sich auffallend gewählt ausdrückte. Er hat keine Vorstrafen und bereits einen Antrag gestellt auf ambulant betreutes Wohnen. Sein Ziel sei es, in ein „normal-bürgerliches“ Leben zurückzufinden.

Mit dem Zeitarbeitsunternehmen, welches den Beschuldigten vermittelt hatte, arbeitet die Diakonie Stetten inzwischen nicht mehr zusammen. Die Einrichtung kooperiere jetzt nur noch „mit wenigen ausgewählten Unternehmen“, und man achte genau darauf, wie diese Mitarbeiter eingesetzt würden. Ganz auf Zeitarbeiter verzichten kann die Diakonie Stetten offenbar nicht: „Der bundesweite Fachkräftemangel ist bei uns leider auch spürbar“, hieß es.

Die Verhandlung wird am 21. Dezember fortgesetzt.