2018 raste eine Feuerwalze durch den Athener Vorort Mati. Es starben 120 Menschen. Jetzt hat ein Gericht Haftstrafen gegen zehn Verantwortliche verhängt.
Schwerste Versäumnisse beim Großbrand im Athener Vorort Mati 2018: Feuerwehr und Polizei hatten keinerlei Pläne für eine Evakuierung.
Von Gerd Höhler
An der Athener Alexandras Avenue stiegen 120 schwarze Luftballon vor dem Appellationsgericht in den Himmel, als der vorsitzende Richter die Urteile verkündete. Überlebende und Hinterbliebene hatten sich vor dem Gericht versammelt. Die Menschen riefen: „In Erinnerung an unsere Toten, die Unsterblichen.“ Der Feuersturm von Mati war, gemessen an der Zahl der Opfer, die schwerste Brandkatastrophe der griechischen Nachkriegsgeschichte.
Kleines Feuer wird zum Inferno
Als die Flammen eines zunächst kleinen Feuers an den Ausläufern des Pendeli-Gebirges auf den Ort Mati übergreifen, verlassen die Bewohner fluchtartig ihre Häuser. Manche versuchen, mit ihren Autos zu fliehen, bleiben aber im Verkehrsgewühl stecken und verbrennen in ihren Fahrzeugen. Andere rennen um ihr Leben, werden aber von Rauch und Flammen überwältigt.
Hunderte erreichen das Meer und werden dort von Fischerbooten aufgenommen. Andere ertrinken. „Wer damals überlebte, hat aus reinem Glück überlebt“, sagt Theofanis Chatzistamatiou. Seine Frau und sein Sohn erlitten bei der Katastrophe schwere Verbrennungen. Der Feuerwehr, der Polizei und dem Katastrophenschutz wirft er vor: „Sie haben nichts getan, um die Menschen zu retten, nicht das Geringste.“ Nach dem Brand waren 98 Prozent des Ortes zerstört.
Keine Koordination zwischen Feuerwehr, Polizei, Zivilschutz
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben schwerste Versäumnisse: Feuerwehr und Polizei hatten keine Pläne für eine Evakuierung des Ortes. Sachverständige kamen zu dem Ergebnis, dass es ausreichend Zeit gab, die Bewohner in Sicherheit zu bringen. Das wurde versäumt. Notrufe wurden fehlgeleitet oder blieben unbeachtet, Funkgeräte funktionierten nicht, es gab keine Koordination zwischen Feuerwehr, Polizei und Zivilschutz. Der damalige Premierminister Alexis Tsipras machte keine gute Figur. Bei einer vom Fernsehen übertragenen Krisensitzung am späten Abend entstand für die Zuschauer der Eindruck, Tsipras leite persönlich die Brandbekämpfung. Dabei waren die Flammen längst erloschen.
Obwohl man zu diesem Zeitpunkt bereits Leichen geborgen hatte, verschwieg Tsipras, dass es Todesopfer gab. Tagelang ließ der Premier sich nicht am Ort der Katastrophe blicken. Während Tsipras auf Tauchstation ging, versicherte sein Bürgerschutzminister Nikos Toskas trotzig, er könne beim Katastrophenmanagement „keine Fehler“ feststellen. Eine Woche später musste Toskas gehen.
Urteil: Fahrlässige Tötung
In erster Instanz hatte ein Gericht vergangenes Jahr sechs der 21 Angeklagten der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen, die Strafen jedoch zur Bewährung ausgesetzt. Das milde Urteil löste große Empörung aus. Die Staatsanwaltschaft ging in die Berufung. Das Appellationsgericht verhängt jetzt gegen drei Feuerwehrchefs und den damaligen Generalsekretär der Zivilschutzbehörde Haftstrafen von jeweils 340 Jahren.
Absitzen müssen sie davon allerdings nur fünf. Sechs weitere Angeklagte kamen mit Bewährungsstrafen davon, unter ihnen ein alter Mann, der das Feuer aus Unachtsamkeit verursacht hatte, als er auf seinem Grundstück Reisig verbrannte. Elf Angeklagte sprach das Gericht frei, unter ihnen vier Politiker: die damalige Präfektin der Region Attika und drei örtliche Bürgermeister: Ihnen sei keine kriminelle Handlung nachzuweisen.