„Aus Liebe“: 92-Jähriger gesteht Tötung seiner dementen Frau

Von Von Angelika Resenhoeft, dpa

dpa Würzburg. Aufgewachsen in Weltkriegswirren, danach Flucht und Wiederaufbau. Schließlich folgen für ein Paar aus Unterfranken fast 70 Jahre Ehe. Doch als die Frau schwer erkrankt, geht ihr Mann an der Pflege fast zugrunde - und fasst einen Entschluss.

„Aus Liebe“: 92-Jähriger gesteht Tötung seiner dementen Frau

Der Angeklagte sitzt neben seinem Anwalt im Würzburger Landgericht. Foto: Nicolas Armer/dpa

Jahrzehntelang kümmert sich ein Mann jenseits der 80 nahezu allein um seine demente Frau. Kinder hat das Paar keine. Unterstützung kommt nur zweimal in der Woche von einer Sozialstation.

Ende 2019 ist der zupackend wirkende Rentner aus dem unterfränkischen Gemünden am Main nach eigener Aussage körperlich und seelisch am Ende. Nach fast 70 Jahren Ehe soll die schwer kranke 91-Jährige in ein Heim, weil die Rundumbetreuung ihn auslaugt - doch der 92-Jährige ist verzweifelt und will sich nicht von der Liebe seines Lebens trennen.

So fasst der offensichtlich hoffnungslose Mann einen weitreichenden Entschluss. Am Abend des 3. November 2019 erstickt er seine Frau, die ihn nach eigener Angabe kaum noch erkennt, im Bett. Danach wählt er den Notruf, legt sich mit einem Föhn in eine Wanne voll Wasser und schaltet ihn an. Doch der Suizidversuch misslingt.

Seit Dienstag muss sich der 92-Jährige vor dem Landgericht Würzburg wegen Totschlags verantworten, „ohne ein Mörder zu sein“, wie Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach sagt.

Geboren 1928, Jugend im Zweiten Weltkrieg, Flucht, Rückkehr nach Hause, Lehre, später ein eigenes Geschäft für Malerbedarf - das Schwurgericht blickt auf ein bewegtes Leben des Angeklagten zurück. „Meine Frau und ich waren 70 Jahre glücklich verheiratet“, zitiert der Verteidiger seinen Mandanten. „Uns gab es nur im Doppelpack.“ Doch mit den Schwierigkeiten der häuslichen Pflege eines schwer kranken Menschen sei die Lebenslust und -kraft beider geschwunden.

Hilflos, überfordert - die Polizisten, die den Rentner nach der Tat finden, berichten dem Gericht von einem offensichtlich gebrochenen Menschen. „Ich fand einen völlig verzweifelten, erschöpften und lebensmüden Mann vor mir“, sagt ein Beamter. Der Angeklagte habe noch in der Wanne gesagt: „Ich kann meine Frau nicht mehr versorgen. Es geht nicht mehr. Wir wollen nicht mehr leben.“ Irgendwie habe er in diesem Moment sogar Verständnis für den 92-Jährigen gehabt. „Ich habe ihm das geglaubt, dass er völlig fertig und erschöpft ist.“

Die meisten pflegebedürftigen Menschen werden in Deutschland daheim betreut, von Pflegekräften und Angehörigen. Für 2020 geht der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) von rund vier Millionen Pflegebedürftigen aus. Mehr als drei Millionen leben zu Hause. Ausgebildete Pflegekräfte fehlen an allen Ecken und Enden.

Bei einem Viertel der Haushalte sind Angehörige mehr als sieben Stunden mit der Pflege beschäftigt - besonders zeitaufwendig ist es bei Menschen mit hohen Pflegegraden und Demenz, wie jüngst eine Umfrage im Auftrag des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkassen ergab. Laut der Deutschen Stiftung Patientenschutz legt die Studie den Finger in die Wunde, dass die zeitliche, psychische und physische Hauptlast allein bei pflegenden Angehörigen bleibt.

„Ich habe mich in all den Jahren bestmöglich um meine Frau gekümmert“, verliest der Verteidiger eine Erklärung seines Mandanten. Dieser habe nicht aus Eigennutz oder Feindseligkeit gehandelt, sondern aus Liebe.

„Ich habe ihn als rüstigen Rentner erlebt, der sich sehr liebevoll und viel um die Ehefrau gekümmert hat“, bestätigt der langjährige Hausarzt des Paares. Die Frau habe über viele Jahre hinweg körperlich und geistig abgebaut. Der Pflegeaufwand sei zuletzt sehr hoch gewesen. Einkaufen, Haushalt, Garten, den Partner anziehen, Körperpflege und vieles mehr: „Ich habe gemerkt, dass das alles sehr viel für ihn war“, erzählt der Mediziner. Von gemeinsamen Suizidplänen der Eheleute habe er nichts gewusst.

Die Anklage vermutet, dass der Deutsche seine Frau aus Aussichtslosigkeit erstickte, weil er mit ihr kein gemeinsames Leben in Gesundheit und Selbstbestimmung mehr führen konnte. Oberstaatsanwalt Seebach vermutet eine schwere depressive Verstimmung hinter der Tat und geht von einer verminderten Schuldfähigkeit aus. Das Urteil könnte am Donnerstag gesprochen werden.

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