Abschied von der „Schenkenstadt“

Gaildorf wird ohne den historisch verbrieften Namenszusatz auskommen müssen. Am Ende der Ratsdebatte fehlt eine Stimme.

Abschied von der „Schenkenstadt“

Blick auf Gaildorf mit der Stadtkirche und dem Alten Schloss, dem einstigen Sitz der Schenken von Limpurg. Archivfoto: C. Weller

Von Klaus Michael Oßwald

GAILDORF. Gaildorf, einst weithin bekannt als Residenz der Schenken von Limpurg, die im Umfeld von Kaisern und Königen eine wichtige Rolle spielten, ist bis heute geprägt von deren Existenz und Wirken. Monumentales Zeugnis: das Alte Schloss, Wahrzeichen der Stadt, Zentrum des Limpurger Landes.

Seit Generationen wird das Städtchen im Kochertal auch Stadt der Schenken oder „Schenkenstadt“ genannt. Diesen Zusatz auch auf den Ortstafeln zu führen, war bislang nicht erlaubt. Doch seit der Landtag vor wenigen Monaten die Gemeindeordnung geändert hat, dürfen Kommunen Zusatzbezeichnungen führen, „die in direktem Zusammenhang mit der eigenen Geschichte stehen“, heißt es in einem Arbeitspapier der Stadtverwaltung. Gesetzlich vorgeschriebene Bedingung: Der Wunsch der Stadt, der als Antrag dem Innenministerium vorgelegt werden muss, soll durch eine „breite demokratische Legitimation“ geprägt sein. Konkret: Der Gemeinderat muss – was Bürgermeister Frank Zimmermann mehrmals betonte – mit einer „qualifizierten Dreiviertelmehrheit“ dafür sein. Also: Drei Viertel aller Räte, nicht nur der anwesenden, müssen mit „Ja“ stimmen. Bereits im Januar war das Thema auf der Tagesordnung des Gemeinderats und wurde vertagt. SPD-Fraktionschefin Margarete John hatte das mit Erfolg beantragt. Die Idee sei „nicht schlecht, aber zu sehr aus der Hüfte geschossen“, hatte sie erklärt. „Tief enttäuscht“ äußerte sich CDU-Stadtrat Rainer Baumann. An seiner Stimmung sollte sich auch nach neuerlicher Beratung nichts ändern.

Die Verwaltung, allen voran Rathaussprecher Daniel Kuhn, hatte zur jüngsten Online-Sitzung des Stadtrats nachgebessert, die Sitzungsvorlage modifiziert, für wissenschaftlichen Beistand gesorgt. Zugeschaltet ist Gerhard Fritz. Der Historiker hält ein leidenschaftliches Plädoyer für die Zusatzbezeichnung Schenkenstadt und verweist auf Städte, die mit ihren historischen Pfunden wuchern. Gaildorf, sagt Fritz, habe mit den Schenken ein Alleinstellungsmerkmal, das es in ganz Deutschland nicht gebe. Er wundere sich, dass die Stadt, die „unglaublich viele Chancen hat, aus ihrer Vergangenheit etwas für die Gegenwart zu machen“, nicht schon längst aktiv geworden sei.

Fritz legt nach: Gaildorf habe einen so großen Fundus an Geschichte und brauche sich deshalb nicht im Schatten etwa von Hall oder Gmünd zu verstecken. Wenn nun diese Potenziale nicht genutzt würden, „müsste ich tief durchatmen“. Rathauschef Zimmermann ergänzt: Es soll ja nicht mit der Bezeichnung auf dem Ortsschild getan sein. Gedacht sei auch an Öffentlichkeitswirksames: „mit einer Strahlkraft weit über die Grenzen des Limpurger Landes hinaus“.

Heinrich Reh, Vorsitzender der Freien Wähler, berichtet von seinem Versuch, den Begriff „Schenken“ im Internet zu recherchieren. Er habe kaum „historische Dinge“ gefunden. Der Hinweis auf ein Alleinstellungsmerkmal überrasche ihn deshalb. Nach wie vor „schwach auf der Brust“ ist für Christel Hofmann-Alber das überarbeitete Konzept der Verwaltung. Verwundert zeigt sie sich, dass der Begriff in jüngster Zeit – obwohl nichts beschlossen sei – so oft verwendet werde. „Schenkenstadt“ sei in der Bevölkerung „noch nicht fest verankert“. Das Rathaus wolle sich darum kümmern, sagt Daniel Kuhn. Infotafeln, Flyer und mehr – „ein ganzes Maßnahmenbündel“. Zudem sei die Geschichte der Schenken noch nicht grundlegend erforscht. Dies soll nun geschehen. Er verweist auch auf das Schenkenbuch von Stadtarchivarin Heike Krause und entsprechende Aktivitäten von Stadtmalerin Marion Anna Simon.

Kein Interesse an der Materie bekennt Bernhard Geißler (Offene Liste). Für ihn beschränke sich die Attraktivität Gaildorfs „auf eine funktionierende Infrastruktur und eine bürgernahe Verwaltung“. Rainer Baumann erinnert an die Haushaltsrede seines Fraktionsvorsitzenden Matthias Rebel, in der sich die Schenken und deren Vermächtnis wie ein roter Faden durch alle gesellschaftlichen Bereiche zog. Gaildorf habe hier tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal. Deshalb appelliert Baumann „an alle, diese Chance nicht verstreichen zu lassen“.

Heinrich Reh blickt zurück auf 1999, das Jahr des 600. Schlossjubiläums. Damals sei im Zusammenhang mit der Kopie des Schenkenbechers die Stimmung euphorisch gewesen. Nun sei das „alles wieder eingeschlafen“. Er hoffe, dass dies jetzt nicht wieder passiere. So sieht es auch der Bürgermeister: „Deswegen habe ich das ja vorgeschlagen.“ Dass die SPD mit dem bisherigen Vorgehen nicht einverstanden war, erläutert die Fraktionsvorsitzende Margarete John. „Wir werden aber mitgehen“, versichert sie. Und mahnt: „Wir müssen den Titel erst noch mit Leben erfüllen.“ Der Bürgermeister stimmt zu: „Wir werden Gas geben.“ Überzeugt von Fritz’ Plädoyer bekennt sich Christina Schlögl (SPD), wenngleich für sie wie für Gabi Schagemann (FWV) der gegenwärtige Zeitpunkt „ungünstig“ ist. Was den Zeitpunkt anbelangt, widerspricht der Bürgermeister: „Gerade in schwieriger Zeit mit schlechter werdender Stimmung“ in der Bevölkerung – „gerade jetzt ist es der richtige Zeitpunkt.“

Nun geht es an die Abstimmung. Es gibt keine Neinstimmen. Bernhard Geißler (OL), Heinrich Reh (FWV) und Martin Frey (SPD) enthalten sich. 17 Ratsmitglieder stimmen für die Schenkenstadt-Initiative, drei sind verhindert. Das heißt: Der Beschlussvorschlag ist abgelehnt, stellt der Bürgermeister fest. Schweigen. Nächster Tagesordnungspunkt.

Am Ende hakt Frank Stettner (FWV) zaghaft nach: Warum sei das Ganze nun abgelehnt? Nun: Mit dem Bürgermeister sind es 23 Ratsmitglieder, die qualifizierte Mehrheit – das wären rechnerisch 17,25 Stimmen, die nun aufgerundet werden müssen – läge bei 18 Jastimmen. Es bleibt also dabei: Gaildorf darf als „Schenkenstadt“ keinen Staat machen. Rainer Baumann ist entsetzt. Und Gerhard Fritz atmet tief durch.