Schwangerschaft

Abtreibung – bloß nicht einsam sein

In den Niederlanden begleiten Freiwillige Schwangere, die sich von Abtreibungsgegnern bedroht fühlen. Ein ähnliches Projekt gibt es nun auch in Deutschland.

Abtreibung – bloß nicht einsam sein

Eva de Goeij, Feministin und Aktivistin aus Amsterdam, bei einer Kundgebung.

Von Marlen Stöhr

„Mörderin“, schrie der Mann Eva de Goeij entgegen. Die junge Frau hatte gerade ihr Fahrrad angeschlossen und lief ein paar Schritte weiter – zum Eingang einer Klinik in Den Haag, die Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Es war nicht ihre erste Begegnung mit Abtreibungsgegnern, wie sie im Gespräch mit unserer Zeitung berichtet.

An dem Tag, an dem die heute 31-jährige Niederländerin von ihrer Schwangerschaft erfuhr, zogen Pro-Life-Demonstrierende durch ihre Heimatstadt. „Sie alle denken, dass ich keine Wahlfreiheit haben darf“, sei es ihr damals vor vier Jahren durch den Kopf geschossen, erzählt sie.

Zu dem Termin ging de Goeij gemeinsam mit ihrer Mutter, die den Wunsch ihrer Tochter unterstützte. Ein Schwangerschaftsabbruch kann für Frauen aber auch eine einsame Angelegenheit sein. Viele weihen Freunde und Freundinnen und die Familie nicht ein, haben niemanden, der sie begleitet. Das habe de Goeij zu schaffen gemacht, wie sie erzählt.

Freiwillige melden sich über Instagram

Nach ihrer eigenen Erfahrung hat sie 2019 die Initiative Samen naar de Kliniek (zu Deutsch: Zusammen zur Klinik) gegründet, gemeinsam mit einem feministischen Netzwerk und dem Humanistischen Verbund. Das Projekt startete über Instagram einen Aufruf und fand so prompt Freiwillige, die ungewollt Schwangere auf ihrem Weg zur Klinik begleiten.

Der Bedarf ist da. Was in Den Haag als Pilotprojekt begann, gibt es mittlerweile in vielen weiteren Städten in den Niederlanden – und nun mit der Initiative Abortion Buddy auch in Deutschland. Über den gleichnamigen Instagram-Kanal können sich Schwangere Hilfe suchen.

Die Abortion Buddys, allesamt Freiwillige, beantworten Fragen per Chat und Telefon und begleiten Personen zur Klinik, die lieber nicht allein dorthin gehen wollen. Neben individueller Beratung und Begleitung ist der Kanal auch eine Plattform, die informiert und aufklärt. Praktische Tipps findet man dort ebenso wie Erfahrungsberichte.

Gestartet hat die Initiative hierzulande eine junge Frau namens Hannah, die auf Instagram über das Projekt schreibt: „Ein Schwangerschaftsabbruch muss nicht schlimm sein, aber es kann einsam werden, wenn man nicht weiß, wohin und wem man das alles erzählen kann.“ Mittlerweile haben sich zwölf weitere Freiwillige angeschlossen, sie alle stellen sich auf dem Kanal mit Gesicht vor, versehen mit dem Satz: „Ich würde mit dir mitkommen.“

Jährlich etwa 100 000 Abbrüche

Laut dem Statistischen Bundesamt werden in Deutschland jährlich etwa 100 000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Ein Tabuthema ist der Schwangerschaftsabbruch hierzulande trotzdem. Öffentlich darüber zu sprechen, trauen sich nur wenige.

Auch viele Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen, informieren im Internet nicht über den Abbruch als Teil ihres Angebots. Zwar wurde im Juni 2022 der umstrittene Paragraf 219a abgeschafft – seitdem dürfen Kliniken und Fachpersonal öffentlich über das Angebot eines Abbruchs und die Methode berichten.

Viele tun es aber nicht. Woran es liegt? „Mitunter an dem gesellschaftlichen Klima, in dem das Arzt- und Pflegepersonal Angst vor Anfeindungen haben muss“, meint Gudrun Christ, Landesgeschäftsführerin von Pro Familia Baden-Württemberg.

Denn auch in Deutschland machen Pro-Life-Demonstrierende lauthals auf sich aufmerksam. Unter dem Slogan „Marsch fürs Leben“ ziehen sie durch Innenstädte, halten Mahnwachen ab und demonstrieren mit Plakaten und Plastikföten vor Kliniken und Beratungsstellen. Versuche, störungsfreie Zugänge zu Kliniken und Praxen zu gewähren, sind in Deutschland bisher gescheitert.

Forderung nach Gesetzesreform

Dabei ist das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und ärztlicher Versorgung im Grundgesetz verankert, ebenso das Recht auf Privatsphäre. „Deswegen muss es endlich eine gesetzliche Regelung geben, die es Frauen garantiert, dass sie Beratung und medizinische Versorgung ungehindert und anonym erhalten können“, fordert Christ.

Das Informationsverbot für Ärztinnen und Ärzte gibt es zwar nicht mehr, geschlossen hat sich die Informationslücke aber offenbar nicht. Das weiß auch Christ zu berichten: „Für Frauen ist es nach wie vor mühsam, sich im Netz darüber zu informieren, welche Praxen und Klinken es in ihrer Nähe gibt und welche Methoden dort angeboten werden.“

Um lückenlose Information zu erhalten, müssten sich Frauen entweder bei Praxen und Kliniken durchtelefonieren oder auf ein Gespräch bei einer offiziellen Konfliktberatungsstelle warten. Darum begrüßt Christ auch die Initiative Abortion Buddy, als Ergänzung zum Beratungsangebot.

Dass der Schwangerschaftsabbruch ein Tabuthema ist, könnte auch daran liegen, dass in Deutschland ein Abbruch nach wie vor rechtswidrig ist und nur unter bestimmten Umständen straffrei bleibt – mit Folgen für die Versorgungslage. „Solange der Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert wird, sind immer weniger Ärzte und Ärztinnen dazu bereit, sie durchzuführen. Deswegen braucht es endlich eine Regelung außerhalb des Strafrechts“, fordert Gudrun Christ.

Zahl der Möglichkeiten zur Abtreibung geht zurück

Tatsächlich ist die Zahl der Praxen und Kliniken, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, hierzulande stark rückläufig. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl in den letzten 15 Jahren um rund 40 Prozent gesunken.

Immerhin: Im Januar dieses Jahres ist in Deutschland erstmals eine Leitlinie zu Schwangerschaftsabbrüchen erschienen. Sie enthält die erste bundesweit einheitliche Regelung zu Beratung, Vorgehen und Nachsorge sowie medizinisches Wissen für Rat suchende Frauen.

Laut Christ wäre es nun auch an der Zeit, die vorgeschriebene verpflichtende Beratung vor einem Abbruch in ein freiwilliges Angebot umzuwandeln. Drei Tage müssen nach dem Beratungstermin mindestens vergehen, ehe Frauen die Schwangerschaft beenden dürfen.

Dass eine neue Gesetzgebung möglich ist, das haben Eva de Goeij und ihre Mitstreiter/-innen bereits bewiesen: In den Niederlanden haben sie in vielen Städten Pufferzonen zwischen Demonstrierenden und Kliniken erwirkt.

Seit diesem Jahr ist auch die Mindestfrist zwischen Beratung und Abtreibung, die in den Niederlanden fünf Tage betrug, vom Tisch. Und in Kürze können dort Schwangere die Pille für den medikamentösen Abbruch in Hausarztpraxen erhalten.

Info

Umfrage Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland stark umstritten. 50 Prozent der Bevölkerung ist für das Recht auf eine selbstbestimmte Abtreibung, wenn sich die Frau dazu entscheidet. Das ergab eine Umfrage von Ipsos in einer vergleichenden Studie von acht europäischen Ländern aus dem Jahr 2016.

Gesetz Nach Paragraf 218 StGB („Abtreibungsparagraf“) ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig, also verboten. Er kann mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren belegt werden und gilt nach dem Strafgesetzbuch als Straftat.

Ausnahmen Nur unter bestimmten Bedingungen ist eine Abtreibung in Deutschland straffrei. Zum einen muss sich eine Schwangere vorher beraten lassen und zwischen Befruchtung und Abbruch dürfen nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sein. Zum anderen ist es auch möglich, einen Abbruch vorzunehmen, wenn eine Vergewaltigung vorliegt oder das ungeborene Kind unter einer schwerwiegenden Behinderung leidet.