Acht Jahre Gefängnis und zwei Jahre Entziehungskur

Landgericht fällt Urteil schon am zweiten Verhandlungstag. 35-jähriger Wirtschaftsinformatiker hatte Geldboten bei Kirchberg überfallen.

Acht Jahre Gefängnis und zwei Jahre Entziehungskur

Ein Wirtschaftsinformatiker muss für acht Jahre ins Gefängnis, weil in Kirchberg an der Murr einen Geldboten überfallen hat. Foto: Sang Hyun Cho/Pixabay

Von Hans-Christoph Werner

Kirchberg an der Murr/Stuttgart. Am zweiten Verhandlungstag im Prozess vor dem Landgericht Stuttgart gegen einen 35-jährigen Wirtschaftsinformatiker, der bei Kirchberg an der Murr einen Geldboten überfallen hatte, trug eine Psychiaterin den Prozessbeteiligten ein ausführliches Gutachten vor. In ihren Plädoyers sahen Staatsanwältin wie Verteidiger den Tatvorwurf bestätigt. Im geforderten Strafmaß unterschieden sie sich nur geringfügig. Die Strafkammer entschied auf acht Jahre Gefängnis und blieb damit innerhalb des im Verständigungsgesprächs vereinbarten Strafrahmens.

Viele Umzüge machten es dem Angeklagten in der Kindheit schwer

Eine gute Stunde nehmen die Ausführungen der Gutachterin in Anspruch. Ausführliche Gespräche mit dem Angeklagten und Akteneinsicht waren vorangegangen. Ungewöhnlich viele Umzüge machten es dem Angeklagten in seiner Kindheit und Jugend schwer, seine Schullaufbahn abzuschließen. Zweimal musste er eine Ehrenrunde drehen. Zur Mutter ergab sich eine enge Bindung, während die Beziehung zum Vater kühl und distanziert blieb.

Eine Erfahrung aus diesen frühen Lebensjahren ist, dass Geld zu haben, viel Geld zu haben, wichtig ist. Schon früh beginnt der Jugendliche, eigene Wege einzuschlagen. Mit elf Jahren fängt er an zu rauchen, mit 16 Jahren probiert er Amphetamin, mit 17 Jahren Kokain.

Aber auch Erfolge gibt es zu verbuchen. Neben der Arbeit holt er später das Abitur nach, versucht sich anschließend am Studium der Wirtschaftswissenschaften, was allerdings misslingt. Auch beruflich experimentiert der Angeklagte. Ein Jahr lang führt er eine Diskothek. Vier Jahre lang stellt sich der gerade mal 30-Jährige einer gigantischen Herausforderung. Tagsüber geht er eine Bürotätigkeit nach, abends führt er eine Gaststätte.

Das Geld, das der junge Mann dabei verdient, fließt reichlich. Allerdings wird diese Doppelbelastung durch täglichen Drogenkonsum erkauft. Morgens zum In-die- Gänge-Kommen Amphetamin, im Lauf des Tages dann Kokain, abends dann zum Runterkommen ein Joint. Auf 50 bis 200 Euro täglich beziffert der Angeklagte die Kosten seiner Drogensucht. Und gibt auch freimütig zu, was er dadurch erreichen konnte: Er vermochte länger zu arbeiten.

In den Gesprächen mit der Gutachterin hatte er zugegeben, keine Konsumregeln gekannt zu haben. In kleine Kapseln verpackt schluckte er die Drogen wie ein anderer Tabletten. Oft kam es zu einer Überdosierung der Drogen. Alles, so gibt der Angeklagte an, habe er mit seinem Drogenkonsum reguliert. Selbst harte körperliche Arbeit hielt ihn nicht von seinem eingeübten Verhalten ab. Während sich der Angeklagte seelisch einwandfrei fühlte, fing sein Körper an zu rebellieren. Erst der Magen, dann die Seele: Er fiel in Depressionen. Im Jahr 2019 erlitt der heute 35-Jährige zwei Schlaganfälle. Hinzu kam, dass der Verdienst wegbrach, aber die Kosten für den exzessiven Drogenkonsum blieben. Der Finanzbedarf führte zu den beiden berichteten Überfällen.

Die Gutachterin sieht durch den immensen Drogenkonsum des Angeklagten keine verminderte Schuldfähigkeit. Im Gegenteil: Die Vorbereitung, das Besorgen der nötigen Utensilien, das Nachtatverhalten zeigen ein planvolles Vorgehen. Der Angeklagte ist für die Gutachterin voll schuldfähig.

Der überfallene Juwelier leidet an gravierenden psychischen Folgen

Die Staatsanwältin sieht in ihrem Plädoyer die Anklage bestätigt. Was den Überfall auf das Juweliergeschäft in Niedersachsen angeht, sieht sie vor allem gravierende psychische Folgen für den Juwelier. Selbst zwei Jahre nach dem Geschehen sei er reichlich verstört als Zeuge vor Gericht erschienen. Und insbesondere an seiner eigenen Mutter, die 16 Jahre zuvor in demselben Geschäft überfallen wurde, hatte der Angeklagte die seelischen Folgen einer solchen Tat mitbekommen.

In den Taten, so die Anklagevertreterin, offenbare sich erhebliche kriminelle Energie. Für den Angeklagten spreche einzig sein frühzeitiges und umfassendes Geständnis. Die Staatsanwältin fordert acht Jahre und sechs Monate Gefängnis, anschließend die Unterbringung in einer Entzugsklinik. Die Gutachterin hatte die Behandlung eines so eingeübten Suchtverhalten mit mindestens zwei Jahren Behandlungszeitraum veranschlagt.

Der Verteidiger des Angeklagten sieht insbesondere beim Überfall auf das Juweliergeschäft – der Überfallene wurde gefesselt und geknebelt – keine Körperverletzung gegeben. Der Rechtsanwalt kommt deshalb auf das Strafmaß von nur acht Jahren.

Letztgenannter Einschätzung gibt der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung recht. Auch dass der Angeklagte den Hergang der beiden Taten nochmals ausführlich erzählt habe, sei „ein von Reue getragenes Geständnis“ gewesen. Ebenso würdigt der Richter, dass sich der Angeklagte bei dem Juwelier entschuldigt habe. Der Einschätzung der Gutachterin folgend wird auch festgelegt, dass nach der Verbüßung der Haftstrafe ein zweijähriger Aufenthalt in einer Entzugsklinik nötig ist. Hier will das Gericht allerdings dem 35-Jährigen entgegenkommen und nennt eine Klinik in der Nähe der Ehefrau des Angeklagten. Er soll den Kontakt zu seiner Tochter halten können.

Das Urteil des Stuttgarter Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig.