Ärger mit der Murrbahn reißt nicht ab

Immer wieder Verspätungen, Zugausfälle – die Probleme im Bahnverkehr zwischen Murrhardt und Backnang und weiter Richtung Stuttgart finden kein Ende. Die Bahn nennt den Krankenstand bei Mitarbeitenden und technische Störungen als Ursache.

Ärger mit der Murrbahn reißt nicht ab

Michael Bödeker auf seinem Weg zur Arbeit von Sulzbach nach Winnenden. Kommt der Zug pünktlich? Täglich ein Glücksspiel. Foto: Jörg Fiedler

Von Florian Muhl

Rems-Murr. „In den letzten Tagen ist der ÖPNV aus Richtung Murrhardt einfach nur noch arbeitsverhindernd. Ich komme nicht mehr rechtzeitig zur Arbeit“, ärgert sich Michael Bödeker. Warum? „Züge fallen aus oder sind teils Stunden zu spät. Die Busse sind so voll, dass eine Mitnahme in Sulzbach nicht möglich ist“, erklärt der 38-Jährige, der täglich von Sulzbach nach Winnenden und wieder zurück fährt, und das schon seit acht Jahren. „Man wird mit dutzenden Pendlern einfach stehen gelassen. Am schlimmsten war der 10. November. Es ist einfach nicht mehr tragbar...“

Bödeker arbeit in der Rems-Murr-Klinik, ist dort pflegerischer Stationsleiter auf der Intensivstation, arbeitet im Schichtbetrieb. „Gerade wenn ich Frühdienst habe, zu spät kommen zu so einer Schicht, ist immer schlecht. Das ist nicht wie im Büro zu spät kommen, sondern das ist hier wirklich ein Problem“, sagt er. Dieses Problem habe er aber immer öfter. „Im letzten halben Jahr ist es echt krass geworden, mit Komplettausfällen und teilweise Stunden Verspätung“, schimpft er. Die Busse hätten dann keine Kapazitäten mehr für die Leute, die frustriert vom Bahnsteig kämen. „Das ist echt ein Problem. Wir reden da wirklich von zwei, drei Stunden später zur Arbeit kommen.“

Die Zahl der Züge, die ohne Verspätung fahren, schätzt er auf 40 Prozent

Aus Sicht des 38-Jährigen liege das Problem derzeit wohl auch bei einer größern Zahl von Baustellen Richtung Crailsheim, verbunden auch mit Weichenstörungen. Der Sulzbacher hat ein weiteres Problem ausgemacht: „Die Züge sind so klein. Besonders zu den Stoßzeiten ist das wirklich wie eine Sardinenbüchse da drin. Angesichts der Tatsache, dass wir immer noch Covid haben, ist das echt schwierig, zumal viele ältere Menschen mitfahren.“

Bödeker ist auf den Zugverkehr angewiesen. „Ich fahre wirklich viel Bahn. Ich habe kein Auto weil ich eben Bahn fahre. Für mich ist sie Richtung Winnenden und Stuttgart einfach perfekt. Theoretisch brauche ich nicht viel Zeit, um zur Arbeit zu kommen, das ist sehr angenehm.“ Keine Frage, die Bahn habe investiert, habe die Taktzeit verkürzt und es würden mehr Züge fahren, „theoretisch jedenfalls“, fügt der Stationsleiter an. Die Zahl der Züge, die ohne Verspätung fahren, schätzt er grob auf 40 Prozent. Als Ausweichmöglichkeit habe er noch den Bus. „Aber der wird auch nicht größer, wenn ein Zug ausfällt. Wenn der Bus in Murrhardt durch ist, dann ist eigentlich schon Schluss mit der Kapazität. Dann ist der voll und fährt bis Backnang durch.“

„Aufgrund von Gleisreparaturen fielen Regionalzüge aus“

„Das war wirklich ein Katastrophentag, da lief praktisch nichts mehr“, erinnert sich auch Gernot Gruber nur zu gut an den 10. November, den auch Bödeker angesprochen hatte. Der Landtagsabgeordnete Gruber pendelt nicht nur fast täglich mit der Bahn zwischen Backnang und Stuttgart, sondern ist auch bestens über die Probleme der Murrbahn informiert. So weiß er auch, was an jenem Donnerstag vor knapp drei Wochen vorgefallen war: „Aufgrund von kurzfristig notwendigen Gleisreparaturen zwischen Schwäbisch Hall-Hessental und Gaildorf fielen die Regionalzüge aus beziehungsweise wurden über die Remsbahn umgeleitet.“ Die Folgen bekommen nicht nur Bahnreisende zu spüren. „Dann drücken natürlich die Leute vom Zug auf den Bus. Die Busse sind dann gnadenlos überfüllt und fahren durch, ohne an den nächsten Haltestellen anzuhalten. So sind immer mal wieder in Strümpfelbach die Schulkinder nicht mitgenommen worden.“

Gruber berichtet über ein weiteres Ärgernis: „Wenn die Bahn Probleme mit den Fahrzeugen hat, dann lassen sie halt nur einen Zug fahren und nicht zwei – sozusagen einen verkürzten Zug – und dann ist natürlich der Platz sehr beengt und wird knapp.“ Der Abgeordnete setzt dem noch eins drauf: „Für mich am besorgniserregendsten sind die Probleme im Stellwerk in Waiblingen. Da scheint nicht die modernste Technik drin zu sein.“ Da will man die bestehende Technik so lange laufen lassen, wie’s geht und dann mit Stuttgart21 erneuern, meint Gruber. Zudem zeige sich immer wieder: Die Personalreserven bei der Bahn und Go-Ahead, insbesondere bei den Lokführern, und auch bei den Zügen sei zu gering.

Es sollte ein gemeinsamer Masterplan Murrbahn erarbeitet werden

Stinksauer über die nicht enden wollenden Probleme auf der Murrbahn sind auch die Verwaltungschefs der Anrainerkommunen. Als „höchst bedenklich“ betrachten die Bürgermeister die verkehrliche Situation. In einem 13-seitigen Schreiben an die zuständigen Bundestagsabgeordneten haben sie ihrem Ärger Luft gemacht und Forderungen aufgestellt. Das Schreiben von Sulzbachs Bürgermeister Dieter Zahn haben Murrhardts OB Armin Mößner, Backnangs Baudezernent Stefan Setzer sowie die Bürgermeister von Oppenweiler, Großerlach, Spiegelberg, Schwäbisch Hall und Gaildorf unterzeichnet.

„Die Murrbahn ist zwischen Backnang und Hall-Hessental eine eingleisige Schienenstrecke. Dadurch ergeben sich Kapazitätsprobleme“, sagt Zahn. Und weiter: „Diese äußern sich dadurch, dass der Fahrplan des Landes auf Kante genäht ist.“ Sobald es zu Verspätungen komme, wirke sich dies meist auf das System aus.

Ihre wichtigsten Anliegen fassen die Bürgermeister wie folgt zusammen:

Schnelle Verbesserung bei der Infrastruktur (es sollte die Ausnahme sein, dass mal wieder ein Stellwerk nicht geht)

Ausbau der Murrbahn (schnelles Ein- und Ausfahren in den Bahnhöfen, überall hoher Bahnsteig, Doppelspurinseln, letztlich zweigleisiger Ausbau)

Schnelle Verbesserung des Überganges in Backnang auf die S4; damit kann man den Norden von Stuttgart besser erreichen – zudem zweite Fahrtmöglichkeit Richtung Hauptbahnhof

Wir benötigen die Hilfe von „oben“. Die Aufgabenträger scheinen nur beschränkt gewillt zu sein, Verbesserungen zu generieren. Zudem sind diese auch wieder von den Auftragnehmern und des Infrastrukturbetreibers abhängig

Es sollte ein gemeinsamer Masterplan „Murrbahn“ erarbeitet werden. Der Plan sollte in kurz-, mittel- und langfristige Ziele aufgeteilt werden.

Das sagt die Bahn zu den Problemen auf der Murrbahn

Anfrage Zu den Problemen wie Verspätungen und Zugausfälle auf der Murrbahn, die zwischen Schwäbisch Hall-Hessental und Waiblingen verkehrt, hat sich eine Sprecherin der Deutsche Bahn (DB) AG auf Anfrage unserer Zeitung wie folgt geäußert (Auszüge):

Wie bei nahezu allen Unternehmen in Deutschland ist auch der Krankenstand bei unseren Mitarbeitenden aktuell hoch. Das kann leider regional zu betrieblichen Einschränkungen im Zugverkehr führen.

Wegen der eingeschränkt verfügbaren Personalressourcen insbesondere beim Fahrpersonal kam es, insbesondere im Spätsommer, zu vereinzelten Zugausfällen bei der S-Bahn Stuttgart und DB Regio.

Um den Fahrgästen ein verlässliches Fahrplanangebot bieten zu können, reduzierte die DB vorübergehend die Zugfahrten oder setzte – zum Beispiel auf der Teckbahn – zeitweise Busse ein. Damit verhinderte die DB, dass Fahrgäste von Tag zu Tag neue Voraussetzungen antrafen und für ihre üblichen Fahrten keine Planbarkeit hatten.

Am Donnerstag, 10. November, kam es aufgrund einer Störung an den Gleisen sowie einer Stellwerkstörung in Murrhardt zu Verspätungen und Zugausfällen.

Wir bei der DB tun alles, um die Auswirkungen auf unsere Kundinnen und Kunden so gering wie möglich zu halten. Wir versuchen, kurzfristig Ersatz für erkrankte Mitarbeitende zu finden. Und wir führen außerdem unsere seit Jahren laufende Joboffensive auf Rekordniveau fort und stellen zusätzlich Personal ein. Allein in diesem Jahr werden mehr als 26000 neue Kolleginnen und Kollegen an Bord kommen, das ist ein neuer Einstellungsrekord.

Trotzdem kann ein sehr hoher Krankenstand punktuell zu einer angespannten Personalsituation führen, denn auch eine flexible und vorausschauende Personalplanung kann die aktuelle gesundheitliche Lage nicht immer ausgleichen.