Deutsche Kuratorin in Bagdad entführt

Von Von Johannes Schmitt-Tegge, dpa

dpa Bagdad/Berlin. Abu Nawas im Zentrum von Bagdad gilt eigentlich als vergleichsweise sicher. Nun wird dort eine Deutsche entführt, die sich für die Förderung junger Künstler im Irak einsetzte. Erst vor zwei Wochen wurde in der Stadt ein prominenter Terrorexperte erschossen.

Deutsche Kuratorin in Bagdad entführt

Unbekannte haben in der irakischen Hauptstadt Bagdad nach Angaben von Aktivisten eine deutsche Kuratorin entführt. Foto: Zhang Miao/XinHua/dpa

„Bagdad Walk“ heißt eines der vielen Projekte, mit der Hella Mewis in der irakischen Hauptstadt den kulturellen Dialog von morgen anstoßen will.

Junge Künstler stellen dabei während eines Rundgangs an verschiedenen Orten ihre Arbeiten vor und verknüpfen sie mit persönlichen und historischen Erzählungen. Eine auch politisch gefärbte Wanderausstellung, um die komplexe Geschichte Bagdads künstlerisch aufzuarbeiten - so sieht es die von Mewis mit ausgearbeitete Choreographie vor.

Kollegen, Aktivisten und Freunde loben Werk und Wirken der in Bagdad lebenden Deutschen, die in Berlin geboren wurde und seit rund zehn Jahren Kunst- und Kulturprojekte im Irak anstößt oder daran mitwirkt. Nun könnte Mewis Opfer der politischen und konfessionellen Spannung des Landes geworden sein. Unbekannte entführten sie am Montagabend im Stadtteil Abu Nawas im Zentrum Bagdads unweit des Kulturinstituts Bait Tarkib, an dessen Aufbau sie seit einigen Jahren arbeitete. Sicherheitskräfte fahnden nach ihr, der irakische Innenminister Othman Al-Ghanmi fordert „verstärkte Bemühungen bei der Suche“.

Für die deutsche Staatsbürgerin, die sich nach Worten ihrer Bekannten mit dem Selbstverständnis einer Irakerin durch Bagdad bewegt, müssen es Minuten des Grauens gewesen sein. Bewaffnete Männer in zwei Autos hätten sie auf der Straße in ihre Gewalt gebracht, sagt ihre Freundin Sirka Sarsam der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. Die Gegend in der Nähe des Flusses Tigris gilt eigentlich als vergleichsweise sicher. Nicht weit von hier liegen etwa die französische Botschaft und verschiedene Regierungsgebäude, auch Straßencafés und Hotels.

Die knapp 50 Jahre alte Mewis machte sich die Förderung junger Künstler im Irak zur Herzensangelegenheit. Durch Bait Tarkib, durch Festivals für Theater und Film. Sie gilt als gut vernetzt, hat im Land Kontakte zu Künstlern, Intellektuellen und in die Politik. „Natürlich sind einige in der irakischen Gesellschaft konservativ“, sagte sie dem US-Fernsehsender PBS im vergangenen Jahr. „Aber einige von ihnen haben schlicht Angst, etwas zu verändern.“ Nach der ersten Kunstausstellung im Irak seien die Menschen „schockiert“ gewesen, sagte Mewis. Damit komme auch die Frage auf: „Was ist Kunst?“

Aus Berlin ist zunächst kaum etwas zu dem Fall zu erfahren. Außenminister Heiko Maas setzte seinen Krisenstab ein. Er wolle sich „mit Blick auf das Wohlbefinden der Betroffenen“ nicht näher dazu äußern, sagte Maas in Athen. „Aber (wir) haben im Auswärtigen Amt damit begonnen, uns um den Fall zu kümmern und eine Lösung zu finden, bei der die betroffene Person und ihr Wohlbefinden gesichert wird.“

Mewis, die auch als freie Mitarbeiterin und Beraterin für das Goethe-Institut arbeitet, hat sich in Bagdad einen Namen gemacht. Ein wenig auffallen dürfte sie durch ihr blondes, schulterlanges Haar zwischen vielen Irakern sowieso. Sie ist nicht die erste Deutsche, die im Irak entführt wurde.

2005 wird die Archäologin Susanne Osthoff verschleppt und nach 23 Tagen Geiselhaft wieder freigelassen. Nur zwei Wochen später trifft es nördlich von Bagdad Thomas Nitzschke und René Bräunlich, Techniker eines Leipziger Anlagenbauers. Mehrere Monate später kommen sie frei. Hannelore Krause und ihr damals 20 Jahre alter Sohn Sinan werden 2007 aus ihrer Wohnung in Bagdad verschleppt. Die Mutter wird nach einigen Monaten freigelassen. Ob Sinan noch lebt, ist bis heute unklar.

Mit der Verdrängung des Islamischen Staats (IS) - der Irak hatte im Dezember 2017 den Sieg über die sunnitische Terrormiliz erklärt - haben Milizen ihre Macht im Land ausgedehnt. In letzten Jahren kam es mehrfach zu Entführungen, Raubüberfällen und anderen Gewaltverbrechen. Auch während der seit Herbst 2019 laufenden politischen Proteste wurden Menschen bedroht: Mehrere Aktivisten und Demonstranten wurden Menschenrechtlern zufolge eingeschüchtert, verschleppt oder getötet.

Einen so bekannten und öffentlich auftretenden Menschen wie Mewis traf es in der jüngeren Vergangenheit erst vor zwei Wochen, als Unbekannte den Historiker und Terrorismusexperten Hischam al-Haschimi nahe seiner Wohnung erschossen. Mewis habe bei einem Telefonat vor einer Woche „empört“ auf diese Nachricht reagiert, sagt ihre Freundin Sarsam, die für die Nichtregierungsorganisation Burj Babel arbeitet. Sarsam spricht beim Fall Mewis von einer „Katastrophe“.

Wie bei Al-Haschimi richtet sich der Verdacht vor allem gegen den IS und die Schiitenmiliz Kataib Hisbollah. Sie zählt heute zu den stärksten irantreuen Milizen im Irak mit auch maßgeblichem politischem Einfluss. Der IS ist mit eigenen Zellen zwar weiter aktiv, hat aber an Einfluss verloren. Schrecken verbreiten durch gezielte Tötungen und Entführungen wollen beide Gruppen. „Der Irak verschwindet in einem dunklen Tunnel“, schreibt ein Aktivist mit dem Decknamen „Mosul Eye“ bei Twitter.

© dpa-infocom, dpa:200721-99-866568/11

Deutsche Kuratorin in Bagdad entführt

Sirka Sarsam, Aktivistin der Nichtregierungsorganisation Burj Babel und Freundin der entführten deutschen Kuratorin, während einer Pressekonferenz. Foto: Ameer Al Mohammedaw/dpa

Deutsche Kuratorin in Bagdad entführt

Das Bait-Tarkib-Kunstzentrum in der Abu-Nawas-Straße im Stadtteil Abu Nawas, wo Hella Mewis entführt wurde. Foto: Ameer Al Mohammedaw/dpa