Ausländische Reporter haben keinen freien Zutritt zum Kriegsgebiet. Die Berichte kommen von örtlichen Kräften. Israel bezichtigt viele von ihnen, für die Hamas zu kämpfen - oft mit tödlichen Folgen.
Bei einem israelischen Luftangriff wurden in Gaza fünf Mitarbeiter von Al-Dschasira getötet.
Von Von Amira Rajab und Gregor Mayer, dpa
Gaza/Tel Aviv/Doha - Israels Militär hat bei einem Luftangriff im Gazastreifen nach Angaben des arabischen TV-Senders Al-Dschasira den Korrespondenten des Senders sowie vier weitere Mitarbeiter getötet. Anas al-Scharif und seine Kollegen seien bei einem gezielten Angriff auf ein Zelt für Journalisten in der Stadt Gaza im Norden des Gazastreifens ums Leben gekommen. Nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenze wurde außerdem ein freier Journalist getötet, insgesamt betrage die Zahl der Toten damit sechs. Israels Militär bestätigte den Tod von al-Scharif. Der 28-Jährige habe sich als Al-Dschasira-Journalist ausgegeben, er habe aber eine Terrorzelle der islamistischen Hamas angeführt, erklärte das Militär.
Große Menschenmengen säumten am Tag danach den letzten Weg der Getöteten zum Scheich-Radwan-Friedhof in der Stadt Gaza, berichtete Al-Dschasira unter Berufung auf verifizierte Clips in den sozialen Medien. Freunde, Kollegen und Verwandte umarmten und trösteten einander. Ein Mann reckte eine Schutzweste mit der Aufschrift "Press" in die Höhe, während andere ihre Tränen wegwischten.
Israels Militär berief sich zur Begründung der Tötung al-Scharifs auf Informationen der Geheimdienste und im Gazastreifen gefundene Dokumente, die dessen militärische Zugehörigkeit zur Hamas belegen sollen. Al-Scharif sei verantwortlich für die Durchführung von Raketenangriffen auf israelische Zivilisten und Soldaten gewesen. Zu den anderen fünf Opfern des Angriffs äußerte sich das Militär nicht.
Wenig Transparenz bei Anschuldigungen
Die Angaben sind nicht überprüfbar. Die Geheimdienstinformationen sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Auch in früheren Fällen begründete die Armee die Tötung palästinensischer Journalisten mit ihrer angeblichen Zugehörigkeit zur Hamas. "Israel hat eine langwährende, dokumentierte Praxis, Journalisten als Terroristen zu beschuldigen, ohne glaubhafte Beweise vorzulegen", schrieb das Journalistenschutzkomitee CPJ in einer Erklärung, in der es die Tötung der sechs Journalisten scharf verurteilte.
Journalisten werden immer wieder Opfer israelischer Angriffe im Gazastreifen. Nach Angaben des CPJ wurden seit Beginn des Gaza-Kriegs 186 Medienmitarbeiter bei israelischen Angriffen getötet. Allein der arabische Sender Al-Dschasira beklagte schon vor dem letzten Angriff den Tod von fünf Korrespondenten, Kameraleuten und Technikern.
Al-Scharif war Israel offenbar schon länger ein Dorn im Auge. Avichai Adraee, der israelische Militärsprecher für die Kommunikation in arabischer Sprache, hatte im Juli mehrere Videos auf sozialen Plattformen gepostet, in denen er den Fernsehreporter unter anderem als "Sprachrohr für intellektuellen Terrorismus" beschimpfte. "Ich lebe mit dem Gefühl, dass ich jederzeit bombardiert und zum Märtyrer gemacht werden kann", vertraute der so Bezeichnete damals dem CPJ an. Dieses forderte, dass ihn die internationale Gemeinschaft schützen müsse.
DJV: "Jagd auf Medienschaffende nicht hinnehmbar"
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) verurteilte den israelischen Angriff. Selbst falls al-Scharif ein Terrorist gewesen sein sollte, rechtfertige das nicht den Luftangriff auf ein Journalistenzelt, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster. Dass auf Grundlage von nicht überprüfbaren Vorwürfen gezielt Jagd auf Medienschaffende gemacht werde, sei nicht hinnehmbar, fügte er hinzu.
Der Auslandspresseverband in Israel (FPA) zeigte sich empört über die Tötung al-Sharifs und seiner Kollegen. "In den letzten 22 Monaten hat das israelische Militär palästinensische Journalisten wiederholt als Militante abgestempelt, oft ohne nachprüfbare Evidenz, und sie damit zu Angriffszielen gemacht", schrieb der Verband in einer Stellungnahme.
Die FPA kritisierte darüber hinaus, dass ausländischen Journalisten der Zutritt zum Gazastreifen seit Kriegsbeginn weitgehend verboten ist. Die Berichterstattung liegt deshalb allein in Händen lokaler Reporter und Reporterinnen, die damit ihr Leben riskieren. Israel wirft wiederum der Berichterstattung aus dem Gazastreifen Einseitigkeit und Manipulation durch die Hamas vor.
Al-Dschasiras Gesicht im Gazastreifen
Al-Scharif war einer der bekanntesten Reporter des arabischsprachigen Senders im Gazastreifen. Er berichtete seit Ausbruch des Gaza-Kriegs am 7. Oktober 2023 über die Geschehnisse vor Ort. Besonders in der arabischen Welt galt der 28-Jährige als prominentes Gesicht der Berichterstattung aus Gaza.
Der in Katar ansässige Sender verurteilte den Angriff als einen weiteren "vorsätzlich geplanten Angriff auf die Pressefreiheit." Al-Scharif und seine Kollegen seien eine der letzten öffentlichen Stimmen aus Gaza gewesen.
Al-Dschasira ist einer der führenden Nachrichtensender in der arabischen Welt und erreicht dort ein Millionenpublikum. Israel blockiert immer wieder die Arbeit von Journalisten des Senders und hat auch bereits deren Büro im Westjordanland geschlossen. Israel wirft Al-Dschasira unter anderem vor, "Sprachrohr" der Hamas und der proiranischen Hisbollah zu sein. Ein Vorwurf, den der Sender zurückweist. Reporter ohne Grenzen wirft stattdessen Israel vor, eine "Strategie des Medienblackouts" zu verfolgen.
Anas al-Scharif, dem der israelische Angriff galt, war als Reporter vor der Kamera das Gesicht von Al-Dschasira im Gazastreifen. (Archivbild)