Nach zwei Tagen und 120 Kilometern sind die vier Ultraläufer guter Dinge und eigentlich erst so richtig eingelaufen, wie sie sagen. Kalamitäten hat es aber vor dem Start gegeben.
Kann man nach einem 60-Kilometer-Lauf noch so gut aussehen? Die vier Albsteig-Läufer am Ende des ersten Tages in Bopfingen (von links): Angela Wegele, Manuel Schmied, Karlheinz Dravec und Melanie Bernardino Rodrigo.
Von Thomas Faltin
Es ist unglaublich: Karlheinz Dravec hat an diesem Tag schon mehr als 30 Kilometer in den Beinen, und trotzdem telefoniert der 61-jährige Ultraläufer während des Laufes so locker mit dem Reporter, dass man kein Schnaufen hört und kein abgehacktes Wort aus seinem Mund kommt. „Wir sind jetzt nach 90 Kilometern gut eingelaufen“, sagt er stattdessen fröhlich. Gerade haben sie sich sogar die Zeit genommen, den Aussichtsturm Aalbäumle oberhalb von Aalen zu besteigen.
Es ist ein spektakuläres Vorhaben, das derzeit vier Ultraläuferinnen und -läufer in Kooperation mit dem Tourismusverband Schwäbische Alb und dem Albverein unternehmen. Sie wollen den 360 Kilometer langen Hauptwanderweg 1, den sogenannten Albsteig, in sechs Tagen bewältigen. Am Dienstag sind sie gestartet, am Sonntag wollen sie ankommen. Von Donauwörth bis Tuttlingen geht es immer am Trauf entlang, mit vielen Blicken ins Land hinaus.
Zwei Läufer mussten verletzt absagen
Dass jemand unter den Vieren den Lauf nicht schafft, ist kaum zu befürchten – alle sind erfahrene Trailläufer und schrecken selbst vor viel größeren Herausforderungen nicht zurück. Unwägbarkeiten aber gibt es immer. So mussten zwei der fünf ursprünglich vorgesehenen Läufer kurz vor dem Start passen – aufgrund der vorhergehenden Rennen zwickte und zwackte es bei ihnen an Knie und Fuß. Neben Andrea Ellesser musste Andreas Bulling absagen, der die eigentliche Idee für diesen Albsteig-Lauf hatte. Er begleitet das Team dennoch über alle sechs Tage und unterstützt das Quartett mental, auch wenn alle in ihrer Bereitschaft, über die Schmerzgrenze zu gehen, sowieso keine Probleme haben.
Ganz spontan dazugestoßen, um die Ausfälle zu kompensieren, ist Angela Wegele aus Königsbronn. Eine Vorbereitung für den Albsteig benötigt die 58-Jährige nicht. Sie hat im Juni schon den Zugspitzlauf mit 168 Kilometern am Stück und 8400 Höhenmetern absolviert – so viel bergauf hat der Albsteig an allen sechs Tagen zusammen aufzuweisen. Rund 38 Stunden hat Wegele gebraucht. Und erst im September hat sie zum fünften Mal den Transalpine-Run gemacht, 220 Kilometer und 13 500 Höhenmeter in sieben Tagen. Erst vor zehn Jahren ist sie in den Ultralauf eingestiegen, erzählte sie vor kurzem, weil Marathon allein ihr zu langweilig geworden sei.
Für Karlheinz Dravec, der in Reichenbach (Kreis Esslingen) wohnt, ist dieser Lauf, auch wenn die sportliche Herausforderung für ihn nicht ganz so extrem ist, trotzdem etwas ganz Besonderes. Denn am Starttag, dem 30. September, hatte der IT-Architekt bei Mercedes-Benz offiziell seinen letzten Arbeitstag, seit dem zweiten Lauftag ist er Rentner. „An diesem letzten Arbeitstag hat es geregnet und sogar gewittert, heute ist blauer Himmel – was für eine Symbolik“, sagt er. Er laufe deshalb gerade in den goldenen Herbst seines Lebens hinein und fühle sich richtig gut.
Touristischer Höhepunkt war am ersten Lauftag das Schloss Harburg, am zweiten passiert man die Kapfenburg und dann das wunderbare Wandergebiet des Rosensteins oberhalb von Heubach. Auch die drei anderen sind wohlauf, es gibt bisher keine Verletzungen, keinen Einbruch und keinen Hungerast. Dagegen kämpfen mehrere Vereine an, die zwei Verpflegungsstationen pro Tag einrichten. Am Mittwoch fand die erste am Wanderheim des Schwäbischen Albvereins auf dem Volkmarsberg statt. Es gab Saitenwürstle und Kartoffelsalat: „Das verleitet dann schon zum Längersitzenbleiben“, sagt Dravec. Ein wenig seien sie deshalb hinter ihrem Zeitplan zurück. Wer will, kann das Quartett bei Instagram begleiten.
Es geht bei der Albsteig-Challenge nichts ums Gewinnen
Die Gruppe hat sich aber vorgenommen, zusammenzubleiben. Jetzt in den ersten zwei Tagen muss man sich deshalb bezüglich Lauftempo noch aneinander gewöhnen – manchmal ist die eine am Berg schneller, manchmal hat ein anderer gerade eine kleine Fitnessedelle. Man bleibe aber immer in Sichtweite, betont Karlheinz Dravec. Denn ganz grundsätzlich geht es bei dieser Albsteig-Challenge nicht ums Gewinnen, sondern um die Lust am Laufen in der schönen Heimat der Schwäbischen Alb.