Als das Geld nichts mehr wert war

Alles wird teurer (1) 1923 ging als traumatisches Jahr in die Geschichte ein. Die miserable wirtschaftliche Lage nach dem Ersten Weltkrieg befeuerte radikale Strömungen – es gab auch in Backnang Aufmärsche und Straßenschlachten. Und die Preise kletterten in astronomische Höhen.

Als das Geld nichts mehr wert war

Auf den Scheinen des Notgelds wurden als Motive das Rathaus, der Stadtturm, ein Stadtpanorama oder eine alte Postkarte mit einer Stadtansicht gedruckt. Ausgegeben wurden die Inflationsgeldscheine am 13. September 1923. Fotos: Stadtarchiv/Nachlass Helmut Bomm

Von Armin Fechter

BACKNANG. Die überbordende Geldentwertung in den 1920er-Jahren rief sogar im beschaulichen Backnang einen Aufruhr hervor. Denn über die grassierende Inflation breitete sich in der Bevölkerung eine wachsende Verbitterung aus: Ohnmächtig mussten die Leute mit ansehen, wie ihnen das Geld praktisch in der Hand zerrann. Als die Preissteigerungen im Herbst 1923 ihrem Höhepunkt entgegentrieben, kam es vielerorts zu Tumulten. In Backnang spielten sich solche Szenen am 20. Oktober auf dem Marktplatz ab: Die Menschen revoltierten gegen die herrschenden Zustände. Wegen der chaotischen Lage marschierte schließlich die Reichswehr auf und bereitete den Auseinandersetzungen ein Ende.

Woher kam aber der rasante Verfall der Reichsmark, die nach der Reichsgründung von 1871 als neue Einheitswährung für das Deutsche Reich eingeführt worden war und die sich über Jahrzehnte als stabiles Zahlungsmittel bewährt hatte? „Man war auf die Situation nicht vorbereitet, und man hat keine Antworten darauf gefunden“, sagt Werner Schmidgall, der langjährige Vorstandsvorsitzende der Volksbank Backnang.

Die Zusammenhänge mögen den damaligen Verantwortlichen tatsächlich nicht so klar gewesen sein, wie sie den Ökonomen und Historikern heute sind. Nachzulesen sind deren Erkenntnisse beispielsweise auf planet-wissen.de oder auf bundesbank.de und vielen anderen seriösen Seiten und Büchern, die sich mit dem Thema befassen. Jedenfalls liegen die Wurzeln des großen Übels weiter zurück, als es zunächst den Anschein hat: Sie sind bereits 1914 angelegt, mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Denn die Mobilisierung und Versorgung einer Streitmacht mit mehreren Millionen Soldaten verschlang immense Summen – Geld, das der deutsche Staat gar nicht hatte. Um den Krieg dennoch finanzieren zu können, verschaffte sich die Reichsregierung umfassende Möglichkeiten der Verschuldung – statt beispielsweise die Steuern zu erhöhen. Zudem wurden Kriegsanleihen ausgegeben, die von der Bevölkerung anfangs begeistert aufgenommen wurden.

Zum Ende des Ersten Weltkriegs war die Reichsmark nur noch die Hälfte wert

Die Kriegführung erfolgte auf Pump – und in der Erwartung eines glorreichen Siegs, der dann die Möglichkeit bieten würde, die verausgabten Gelder bei den Besiegten über Reparationen wieder hereinzuholen. Diese vertrackte Geldpolitik führte aber dazu, dass die Mark schon bei Kriegsende nur noch die Hälfte wert war. Und: Der Krieg endete anders als geplant. Statt Geld scheffeln zu können, mussten nach dem Versailler Vertrag nun Reparationen in wahnwitziger Höhe bezahlt werden – ganz zu schweigen von den Schulden, die sich angehäuft hatten, und den gewaltigen Sozialausgaben, die nötig waren, um die Lage angesichts der zerrütteten Verhältnisse einigermaßen zu stabilisieren. Die Regierung nahm daher immer noch mehr Kredite bei der Reichsbank auf, und die Reichsbank ihrerseits brachte immer mehr Geld in Umlauf, um das kranke System am Leben zu halten. Weil aber das Güterangebot nicht mit der Geldmenge Schritt halten konnte, verschärfte sich die Inflation zusehends – bis zu dem Punkt im Herbst 1923, als das Geld seine Funktion als Zahlungsmittel verlor.

Das Zeitungsabo kostete pro Woche 160 Milliarden Reichsmark

Sichtbar wird der Verfall bei einem Blick in den Jahrgang 1923 des Murrtal-Boten, des Vorgängers der Backnanger Kreiszeitung. Lag der monatliche Bezugspreis der Zeitung am Jahresanfang noch bei 600 Mark, so betrug er im Juli bereits 10000 Mark. Und er kletterte weiter. Für Oktober lag der Bezugspreis bereits bei 18 Millionen und im November sogar im Milliardenbereich. Allein für die Woche vom 15. bis zum 21. November kostete der Bezug des Murrtal-Boten 160 Milliarden.

Ähnliche Preissprünge gab es bei Lebensmitteln. Schon im Januar stieg der im Murrtal-Boten bekannt gemachte Milchpreis von 107 auf 172 Mark pro Liter, für Mehl wurden 56300 Mark je 100 Kilogramm verlangt. Anfang Juli veröffentlichte die Bäckerinnung Backnang ihre Preise. Danach kostete ein Paar Wecken 700 Mark, eine Brezel, ein Kipfle oder ein Laugenwecken 350 Mark, ein Weißbrot 3200 Mark und ein Schwarzbrot 6000 Mark. Im September mussten dann 13 Millionen für 100 Kilo Mehl bezahlt werden, das Kilo kostete im Kleinhandelspreis 160000 Mark – ebenso viel wie ein Brot mit 930 Gramm. Gleichzeitig kam der Tauschhandel in Schwung, so wollte jemand laut einer Anzeige im Murrtal-Boten ein Paar neue Rohrstiefel, Größe 42, gegen Brennholz eintauschen.

Mehrere Politiker starben bei Attentaten

Wegen der desaströsen Lage bekamen radikale Kräfte immer mehr Zulauf und in der politischen Auseinandersetzung wurden immer radikalere Mittel eingesetzt. Bereits 1921 war der Zentrumspolitiker und Finanzminister Matthias Erzberger ermordet worden, 1922 traf ein Attentat den liberalen Außenminister Walther Rathenau – beide waren bei der extremen Rechten verhasst. Mehrmals wurden Putschversuche unternommen, immer wieder mit dem Ziel, die junge Weimarer Republik zu beseitigen. Ein erster solcher Umsturzversuch war der sogenannte Kapp-Putsch von 1920. Hinzu kamen separatistische Bestrebungen einzelner Länder, so in Bayern und im Rheinland.

Im Katastrophenjahr 1923 sollten weitere Revolten folgen. An einem dieser Putschversuche war Adolf Hitler beteiligt: Am 8. November besetzte er zusammen mit einer Reihe anderer Nationalsozialisten den Bürgerbräukeller in München. Er erklärte die Reichsregierung für abgesetzt und verkündete, die nationale Revolution sei ausgebrochen. Tags darauf versuchte er mit seinen Anhängern, die Feldherrnhalle in München zu stürmen.

Kommunen, Sparkassen und Unternehmen druckten eigenes Notgeld

Weil die Reichsbank im Lauf des Jahres mit dem Drucken neuer Geldscheine nicht mehr nachkam, begannen Städte und Gemeinden, aber auch Sparkassen und Unternehmen, ihren Verpflichtungen durch Notgeld nachzukommen: Sie gaben eigene Wertscheine heraus. Die Stadt Backnang beauftragte, wie Helmut Bomm im Heimatkalender für das Murrtal und den Schwäbischen Wald 1994 schreibt, die Buchdruckerei Fr. Stroh mit dem Druck solcher Geldmittel. Unterzeichnet waren die städtischen Bons von Stadtschultheiß Dr. Albert Rienhardt und Stadtpfleger Karl Friederich, beide spätere Ehrenbürger.

Die Reichsregierung leitete schließlich eine Währungsreform ein: Im November 1923 wurde die Mark von der Rentenmark abgelöst. Die Inflation entwertete praktisch vollständig alle Geldschulden und Geldvermögen, die auf Mark gelautet hatten – Sparer hatten also nichts mehr. Am meisten profitierte der Staat: Die deutschen Kriegsschulden in Höhe von 154 Milliarden Mark beliefen sich am Tag der Einführung der Rentenmark auf gerade einmal 15,4 Pfennige. Und der Murrtal-Bote sollte ab Dezember 1923 zwei Goldmark kosten, das entsprach 1200 Milliarden alte Papiermark.