„Als Frau musst du besser sein“

Die fünf Rathauschefinnen im Rems-Murr-Kreis erzählen von ihren Erlebnissen im Amt – Wandel macht sich bemerkbar

18 Jahre lang war Irmtraud Wiedersatz die einzige Bürgermeisterin im Rems-Murr-Kreis, zu dem immerhin 31 Kommunen gehören. Inzwischen hat sie Verstärkung bekommen, auch in Aspach, Urbach, Kaisersbach und Fellbach sitzen Frauen an der Spitze. Dennoch: Eine Frau in diesem Amt ist noch immer keine Selbstverständlichkeit. Wir haben anlässlich des Internationalen Frauentags nach ihren Erfahrungen gefragt.

„Als Frau musst du besser sein“

18 Jahre lang war Irmtraud Wiedersatz die einzige Bürgermeisterin im Rems-Murr-Kreis. Sie freut sich, dass sie nun etwas Verstärkung bekommen hat. Foto: A. Becher

Von Lorena Greppo

BURGSTETTEN/ASPACH. „Ist das hier der Emanzentreff?“ Diese Frage hat Irmtraud Wiedersatz, Bürgermeisterin der Gemeinde Burgstetten, gehört, als drei Amtskolleginnen zum Gespräch zusammenstanden. Sie weiß: „Niemand würde auf die Idee kommen, drei Männer so etwas zu fragen, wenn die zusammenstehen und quatschen.“ Es ist nur eines von vielen Beispielen, denn in ihren 24 Jahren als Rathauschefin hat Wiedersatz einiges gesehen und gehört. „Was man als Frau erlebt, das ist enorm.“ Offizielle Anschreiben an den „Herrn Bürgermeister“, verbunden mit der Aufforderung, zur Veranstaltung im Frack zu erscheinen und die Ehefrau mitzubringen – all das hat es schon gegeben. In ihrer Büttenrede 1997, die sie aufbewahrt hat, hat Irmtraud Wiedersatz jene Erlebnisse aufs Korn genommen. Im Laufe ihrer Amtszeit habe sich aber einiges verändert.

War in Wiedersatz’ Anfangsjahren noch oft der Tenor „Frauen gehören an den Herd“ vorherrschend, sei die Resonanz der Bürger nun meist eine andere. „Ich habe schon oft gehört: Jetzt gibt’s Frauenpower im Rathaus“, erzählt Sabine Welte-Hauff, die Bürgermeisterin Aspachs. Das Feedback der Bürger sei überwältigend positiv gewesen, sie habe viel Unterstützung erfahren. Laut Gabriele Zull, Oberbürgermeisterin von Fellbach, braucht es aber auch Mut, den Chefposten anzustreben: „Frauen trauen sich leider oft noch zu wenig zu.“ „Man ist ein Exot“, sagt Katja Müller, Bürgermeisterin von Kaisersbach. Und das bekommen die Rathauschefinnen zu spüren. „Als Frau musst du besser sein, du musst dich beweisen. Das ist auch heute noch so“, erklärt Wiedersatz. Bei Frauen sei voller Einsatz gefragt, schildert Müller: „Frauen müssen 120 Prozent bringen, um Anerkennung zu bekommen, während ein Mann vielleicht mit 80 Prozent durchkommt.“ Sie hat aber auch einen Vorteil ausgemacht: „Es wird bei Frauen eher akzeptiert, wenn wir bei technischen Dingen mehrmals nachfragen.“

Über ihre Erfahrungen im Amt tauschen sich die Bürgermeisterinnen im Land bei einem jährlichen Treffen aus – bei Irmtraud Wiedersatz’ erster Teilnahme waren nur acht Frauen dabei. Inzwischen sind es einige mehr, das freut nicht nur sie. „Man spricht einfach anders untereinander“, findet Sabine Welte-Hauff. Frauen suchten die Nähe anderer Frauen, das habe auch sie erlebt. Wobei alle Bürgermeisterinnen hervorheben, dass auch ihre männlichen Amtskollegen sich stets tadellos verhalten. „Die freuen sich, wenn auch ein paar Frauen dabei sind“, sagt Wiedersatz.

Dass sich Frauen im Wahlkampf schon besonders beweisen müssen, haben die Rathauschefinnen selbst erlebt. Wiedersatz: „Männer werden nicht gefragt, ob sie in Elternzeit gehen, Frauen schon.“ Bei ihrer ersten Kandidatur hatte die Burgstettenerin noch keine Kinder, es war insofern oft Thema. Bei Martina Fehrlen, Bürgermeisterin von Urbach, war es ähnlich, sie sei das Thema deshalb offensiv angegangen. Sie habe schon bei der Kandidatenvorstellung klar gemacht: „Mein Mann ist unser Familienmanager.“ Er bringe auch die Tochter abends ins Bett. Der Beruf der Bürgermeisterin sei „nicht sehr familienkompatibel“, sagt auch Zull. Und Fehrlen weiß: Als Frau mit Familie einer so fordernden Aufgabe wie dem Bürgermeisteramt nachzukommen, ist auch für den Partner nicht leicht. „Meinem Mann werden die Papa-Qualitäten abgesprochen.“ Davon weiß auch Wiedersatz zu berichten. „Mein Mann war ein Exot.“ Für ihn sei es auch schwierig, etwa die Freunde zum Kaffee einzuladen – denn die sind meist in Vollzeit berufstätig.

Wenig Männer seien überhaupt bereit, zu Hause zu bleiben, weiß Wiedersatz. Deswegen sei es für Frauen oft immer noch die klassische Entscheidung zwischen Familie und Karriere, wenn sie den Beruf des Bürgermeisters anstreben. Dem stimmt Sabine Welte-Hauff zu. „Es fordert Einsatz – ganz und gar.“ Sie selbst hätte es sich nicht vorstellen können, zu einem früheren Zeitpunkt zu kandidieren. „Meine Kinder sind jetzt 14 und 17 Jahre alt, davor wäre das nicht infrage gekommen.“

Umso erstaunlicher ist, was Irmtraud Wiedersatz geleistet hat: Ihre beiden Kinder hat sie während ihrer Amtszeit zur Welt gebracht und dabei gearbeitet bis zur Geburt – wortwörtlich, denn einmal sei ihre Fruchtblase in der Nachbesprechung einer Gemeinderatssitzung geplatzt, erzählt sie. „Und drei Wochen später habe ich wieder im Rathaus gesessen.“ Wiedersatz gibt aber zu: „Das war Stress pur“, denn das Stillen konnte ihr schließlich niemand abnehmen: So sei sie im Büro gefühlt ständig am Milchabpumpen gewesen. Es sei so weit gegangen, dass sie vom Landratsamt kontaktiert wurde. Dort machte man ihr klar: Das geht so nicht. Bei Irmtraud Wiedersatz stießen die Verantwortlichen aber auf taube Ohren. „Ich mach das so“, hatte sie bestimmt. Sie weiß jedoch: Bei so viel Einsatz für den Beruf bleibt die Familie auf der Strecke. Wie es einer Frau ergangen ist, die sich anders verhalten hat, habe sie kurz davor aber auch erlebt: „Eine Amtskollegin, die ein Jahr vor mir entbunden und sich eine Auszeit genommen hat, ist übel angegangen worden.“

Der Nachwuchs in der Verwaltung ist überwiegend weiblich und auch die Rahmenbedingungen werden besser, sind sich die Bürgermeisterinnen einig. „Eine flexible Kinderbetreuung eröffnet Frauen mehr Möglichkeiten in den Rathäusern – schon um in Amtsleiterpositionen zu kommen. Die sind dann das Sprungbrett für den Chefposten“, erklärt Welte-Hauff. Zudem gebe es immer mehr Männer, die in Elternzeit gehen, so komme man nach und nach von der klassischen Rollenverteilung weg. Fehrlen berichtet, dass im Urbacher Rathaus bald eine Amtsleiterposition geteilt werde. „Jobsharing auf Führungsebene ist nach wie vor ungewöhnlich, es erleichtert es Frauen aber, nach oben zu kommen.“

Dass die Dinge im Rathaus mit einer Frau als Chefin anders laufen, bestätigen die Bürgermeisterinnen. Frauen seien oft kommunikativer und die besseren Teamplayer, sagt Zull. „Frauen gehen Dinge anders an, das hat vielleicht mit der Empathiefähigkeit zu tun. In Diskussionen, wo es hart hergeht, bleibt der Ton ruhiger“, erzählt Welte-Hauff. „Möglicherweise machen sich Frauen im Vorfeld mehr Gedanken, wägen mehr ab“, vermutet Müller. „Wir achten eher darauf, dass die Stimmung unter den Mitarbeitern gut ist“, benennt Fehrlen. Auch die Themensetzung sei eine andere, sagt Wiedersatz: „Frauen sind im Thema Kinderbetreuung anders drin.“ Eine gute Kinderbetreuung zu haben, bedeute für viele Frauen, nicht aus dem Beruf gerissen zu werden. Zudem hätten soziale Aspekte oft Vorrang vor finanziellen. Ein Beispiel aus Burgstetten: „Auch wenn wir jedes Jahr draufzahlen, das Freibad muss bleiben – zum Schwimmenlernen, aber auch als sozialer Treffpunkt.“ Irmtraud Wiedersatz will anderen Frauen Mut machen, den Karrieresprung zu wagen: „Bürgermeisterin sein ist ein sehr schöner Beruf, man kann viele Ideen verwirklichen.“ Und wie zur Bestätigung kandidiert sie für eine vierte Amtszeit.

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Katja Müller

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Sabine Welte-Hauff