Als Staatsfeind in der DDR aufwachsen

Eheleute Ingo Hasselbach und Nadja Klier erzählen den Schülern des Beruflichen Schulzentrums Backnang von ihren prägenden DDR-Erfahrungen. Während sie mit ihrer Familie aus politischen Gründen ausgebürgert wird, radikalisiert er sich im Gefängnis.

Als Staatsfeind in der DDR aufwachsen

Nadja Klier zeigte den Schülern zusammen mit ihrem Ehemann zahlreiche Fotos und Videos aus ihrer DDR-Vergangenheit. Foto: A. Becher

Von Anja La Roche

Backnang. „War das ein krasser Kulturschock?“ fragt ein Schüler. „Oh, ja!“ Die Antwort kommt schnell und voller Überzeugung von der Frau, die auf der Bühne der Aula steht. Nadja Klier (48) wurde 1988 mit ihrer Mutter aus der DDR ausgebürgert. Nun erzählt sie ihre Geschichte. Neben ihr steht ihr Ehemann, Ingo Hasselbach (53). Auch er bringt eine Lebensgeschichte aus der DDR mit, zu der Knast, staatliche Willkür und Rechtsextremismus zählen.

Der Vortrag „Wir wolln Euch mal war fragen!“ des Ehepaars fand gestern Vormittag im Beruflichen Schulzentrum Backnang statt, in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Schüler hatten vorbereitend den gleichnamigen Dokumentarfilm des Ehepaars angeschaut. „Welche Stichworte fallen euch zur DDR ein?“ ist die erste Frage, die Nadja Klier an die Schüler richtet. „Berliner Mauer“, „SED“ und „Stasi“ werden genannt. Klier bindet die jungen Zuhörer so direkt in den Vortrag ein. Denn für die Schüler ist die DDR eine realitätsferne Erzählung. „30 Jahre ist lang, und ihr seid gerade mal halb so alt.“ Mit diesem Wissen im Hinterkopf, schafft das Paar, den Vortrag anhand privater Fotos und Videos lebendig und anschaulich zu gestalten.

„Ich bin mit der Mauer groß geworden“, beginnt Klier ihre Erzählung. Die Berliner Mauer lag auf ihrem Weg in den Kindergarten. Ein schwarz-weißes Foto zeigt das Haus, in dem Klier mit ihrer Mutter wohnte. Sie lebten in einem Viertel, das kaum mit Geldern unterstützt wurde. „Das Klo lag noch außerhalb der Wohnung“, erzählt Klier. Dann deutet sie auf ein Fenster. Dort habe die Stasi mit ihren Feldstechern gesessen. Nachdem ihre Mutter, die Schauspielerin Freya Klier, Berufsverbot aufgrund systemkritischer Inhalte erteilt bekam, wurden Stasi-Spitzel auf dem Schulweg alltäglich für die junge Nadja Klier.

Schließlich verhaftete die Stasi ihre Mutter. Sie hatte jedoch Glück im Unglück: weil sie eine prominente Künstlerin war entschied man, sie nicht zu verurteilen, sondern aus der DDR auszubürgern. „Das war das kleinere Übel“, erzählt Klier. Für die damals 15-jährige war das dennoch ein harter Schlag. Die DDR war ihre Heimat. Ohne ihre Freunde sei sie in Westberlin sehr unglücklich gewesen. „Ich wusste zwar, ich kann in die ganze Welt fliegen, aber ich haber mein zu Hause vermisst.“ 20 Jahre lang verdrängte sie die traumatischen Erlebnisse. Inzwischen hat sie das Buch „1988 – Wilde Jugend“ darüber geschrieben.

„Bist du direkt wieder zurückgegangen?“ fragt ein Schüler, als die Referentin von der Maueröffnung im November 1989 erzählte. Klier bestätigt. Als eine der wenigen sei sie direkt rüber in die DDR, um ihr altes zu Hause wieder zu sehen. Und dabei entging sie nur knapp einer Verhaftung, denn ihre Familie habe als sogenannter Staatsfeind der DDR noch immer Einreiseverbot gehabt.

Dann ergreift ihr Ehemann Ingo Hasselbach das Wort. Dessen Familie war ganz anders mit dem Gedankengut der DDR verbunden. Sein Vater, in der BRD als Kommunist inhaftiert gewesen, flüchtete in die DDR. Die systemtreue Familie genießt dort die Privilegien staatlicher Unterstützung. Sie leben in einer großen Wohnung in einem Neubaugebiet. Als Jugendlicher wurde er oppositionell und schloss sich der Punkszene an. Bereits mit 13 Jahren war er als „potenzieller Staatsfeind“ ein Dorn im Auge der Obrigkeit. Weil er „die Mauer muss weg“ rief, wurde er mit 19 Jahren das erste Mal verhaftet. Später dann erneut, aufgrund einer misslungenen Flucht aus der DDR.

Im Gefängnis kommt Ingo Hasselbach

in Kontakt mit Alt-Nazis

So radikalisierte sich der junge Hasselbach: Im Gefängnis kam er in Kontakt mit Alt-Nazis. Als Videos von ihm als bekannter Naziführer, dem „Führer von Berlin“, auf der Leinwand leuchten, bewegt sich kein Lüftchen in der Schulaula. Die Kost ist auch für Hasselbach schwer. „Wir haben damals Strukturen entwickelt, die bis heute wirken“, ist er sich seiner Schuld bewusst. Aber er weiß auch: „Ohne den Knast wäre ich kein Neo-Nazi geworden.“ Nachdem drei Personen türkischer Herkunft getötet wurden, stieg Hasselbach 1992 aus und tauchte im Ausland unter. Wie lebensbedrohlich der Ausstieg aus der rechtsradikalen Szene ist, weiß Ingo Hasselbach nur zu gut. Im Jahr 2000 beteiligte er sich daher an der Gründung der Aussteigerorganisation „Exit“.

Christiane Engelmann-Pink ergänzt nach dem Vortrag: „Man muss sich nicht schämen, mal eine Meinung zu haben und dann eine andere“. Die Leiterin der Bibliothek des Beruflichen Schulzentrums Backnang erinnert die Schüler daran, dass es viel wichtiger sei, den Mut zu haben, seine Meinung zu ändern.

Das Paar hat viele Lehren aus seinen Erfahrungen ziehen können. „Guckt da hin, wo es weh tut und zeigt Zivilcourage“, sagt Hasselbach. „Nutzt die Rechte, die ihr habt.“ Klier ergänzt: „Es ist ganz wichtig, dass ihr versteht, dass es eure Zukunft ist.“