Am anderen Ende der Welt mitgemacht

Virtueller Backnanger Silvesterlauf: Bettina Schwenger meistert 5-Kilometer-Rennen im neuseeländischen Auckland. Insgesamt ist die Resonanz groß, seit Backnangs Noch- und Stuttgarts Bald-Oberbürgermeister Frank Nopper den Startschuss abgefeuert hat.

Am anderen Ende der Welt mitgemacht

Ein lauter Knall und ab ging die Post: Backnangs Noch-OB Frank Nopper schickte die Sportler mit seinem Schuss auf die Reise. Foto: A. Becher

Von Steffen Grün

Mit lautem Knall geht’s los: Ein Silvesterlauf ohne Startschuss war für Alexander Hornauer „nicht vorstellbar“. Seine Mitstreiter im Organisationsteam sahen das genauso, weshalb die Macher mit der Bitte an den Oberbürgermeister herantraten, diese Aufgabe zu übernehmen. Für Frank Nopper war es wohl Ehrensache, ein letztes Mal vor seinem bevorstehenden Wechsel in die Landeshauptstadt zur Pistole zu greifen und den etwas anderen Silvesterlauf des Jahres 2020 offiziell zu eröffnen.

Er tat es in einem kurzen Video, das vor Heiligabend gedreht und zum Auftakt der Aktion am ersten Weihnachtsfeiertag via Facebook um 12 Uhr gesendet wurde. Vor dem Rathaus in der Marktstraße und damit genau dort postiert, wo sich sonst am letzten Tag des Jahres über 1000 Sportler und Tausende Zuschauer einfinden, lobte Frank Nopper zunächst das „Organisatoren-Triumvirat“. Mit dieser virtuellen, dezentralen und auf sieben Tage ausgedehnten Veranstaltung hätten Georg Beïs, Alexander Hornauer und Rolf Hettich „das Beste aus der Coronasituation gemacht“. Dann hob der 59-Jährige das Schießeisen in die Höhe, betätigte mit seiner rechten Hand den Abzug und kommentierte den lauten Knall mit den Worten: „Jetzt funktioniert es tatsächlich.“ Die überraschte, von einem Nopper-Lachen begleitete Reaktion erklärte sich nicht etwa mit einem Rohrkrepierer bei der Probe, sondern damit, dass derselbe Revolver in den zurückliegenden Jahren oft Ladehemmung hatte.

Nopper als Vorbild: Als sich der studierte Jurist dazu entschlossen hatte, zur Backnanger OB-Wahl im Februar 2002 unter anderem gegen den Amtsinhaber Jürgen Schmidt anzutreten, war es ein Element seiner Kampagne, am 31. Dezember 2001 beim Silvesterlauf mitzumachen. „Ich habe gekämpft, wie ich im Wahlkampf auch kämpfen werde“, verkündete der damals 40-Jährige, nachdem er die 10-Kilometer- Strecke in 1:00:07 Stunden bewältigt hatte. Ein paar Wochen später kürten ihn die Bürger tatsächlich zu ihrem neuen Rathauschef, was die Macher des Silvesterlaufes vor einigen Tagen zur augenzwinkernden Feststellung veranlasste, dass in Backnang seit einem Vierteljahrhundert niemand mehr Oberbürgermeister geworden sei, „der nicht vorher noch schnell den Silvesterlauf absolviert hat“.

Nun geht’s demnächst um das Erbe von Frank Nopper und einer der Kandidaten, die ihren Hut bereits in den Ring geworfen haben, will offenbar auf Nummer sicher gehen. Maximilian Friedrich, derzeit Schultes in Berglen, war schon am ersten Weihnachtsfeiertag mitsamt seiner Frau in der Murr-Metropole unterwegs. „Fix und fertig“ sei er, räumte der 33-Jährige ein, nachdem er fünf Kilometer absolviert hatte. Muskelkater und Muskelkatze – die Namen auf den individuellen Startnummern, für die sich das Paar entschieden hatte – „sind jetzt Programm“, witzelte Friedrich, der sich mit der Zeit von 38:46 Minuten in untrainiertem Zustand allerdings „glücklich und zufrieden“ zeigte.

Nun lautet die spannende Frage für die nächsten Tage, ob auch Jörg Bauer beim virtuellen Silvesterlauf startet. Der Backnanger ist der zweite offizielle Bewerber, den es für Noppers Nachfolge bisher gibt, und für den Triathleten dürften fünf oder zehn Kilometer kein Problem darstellen.

Auckland schlägt alles: Jürgen Trzcinski hegte keinen Zweifel daran, dass sein alter Vereinskamerad Florian Class vom SV Steinbach derjenige sein würde, der den virtuellen Backnanger Silvesterlauf mit der größten Entfernung aller Teilnehmer zur schwäbischen Heimat bestreitet. Immerhin wohnt der 1988 geborene Sportler mittlerweile in Yantai in der ostchinesischen Provinz Shandong und rannte dort die fünf Kilometer in 27:12 Minuten.

Laut Google liegen satte 8305 Kilometer zwischen Backnang und Yantai, doch das toppte Bettina Schwenger mit 18210 Kilometern locker. Seit 1999 lebt die 52-Jährige in Auckland und arbeitet an der Universität der neuseeländischen Metropole, den Silvesterlauf in seiner üblichen Form hat sie noch nie mitgemacht. „Ich komme immer im Juni, Juli nach Backnang“, erklärt Bettina Schwenger, die den Familienbesuch mit einem Abstecher aufs Straßenfest verbindet. Dieses Jahr wurde daraus wegen Corona nichts, stattdessen stieß sie auf der BKZ-Homepage auf den virtuellen Silvesterlauf. „Ich dachte, das ist eine gute Gelegenheit“, sagt die Frau, die in ihrer Wahlheimat oft bei sogenannten Parkruns startet. Sogar dreimal nahm sie die fünf Kilometer bereits in Angriff, als Bestzeit stehen 30:17 Minuten zu Buche. Sollte Schwengers Prognose zutreffen, dass es mit dem Flug nach Deutschland auch im Juni/Juli 2021 noch nichts wird, dann hofft sie auf den Dezember – vielleicht könnte sie dann ja sogar beim normalen Silvesterlauf mitmischen.

Das war eigentlich auch in diesem Jahr das Ansinnen von Corinna Löckenhoff, doch dieses Mal „muss es eben virtuell bleiben“. Der Trip in die Heimat wurde gecancelt, stattdessen schnürte sie nun in Ithaca im US-Bundesstaat New York am Cayuga Lake die Laufschuhe. Über 5 Kilometer belegt sie in 26:56 Minuten derzeit den vierten Platz. Yantai, Auckland, Ithaca – der virtuelle Silvesterlauf ist auf dem ganzen Erdball in aller Munde, im brasilianischen Foz do Iguaçu denkt auch Stefanie Fink über ihren Start nach.

Starke Resonanz: Egal, ob in Backnang, den Umlandkommunen, im Rems-Murr-Kreis oder zum Teil weit darüber hinaus – der virtuelle Backnanger Silvesterlauf erfreut sich größter Beliebtheit und wird als hoffentlich einmaliger Ersatz für die Präsenzveranstaltung gut angenommen. Am gestrigen Abend waren es schon um die 200 Teilnehmer, hier die Führenden in den einzelnen Wettbewerben. Über 10 Kilometer hatte Eduard Rehan aus Backnang in 38:09 Minuten bei den Männern die Nase vor Moritz Dreher (Backnang, 39:30), bei den Frauen war Tabea Lüders aus Auenwald in 44:30 Minuten die Schnellste vor Dorit Hartmann (TC Backnang, 49:55). Über 5 Kilometer lagen Philipp Hoffmann (LG Weissacher Tal, 17:29) und Sina Josua (LG Weissacher Tal, 21:42) an der Spitze. Im Mini-Marathon über 2,5 Kilometer führten Marvin Grimm (Oppenweiler, 9:46) und Lina Mara Krüger (Kirchberg, 10:23).

Die Unterstützung fehlt: „Ohne Zuschauer, die einen anfeuern, und ohne Mitläufer, die einen ziehen, ist es echt komisch und hart“, betonte Hannes Belz vom HC Oppenweiler/Backnang, der in 18:45 Minuten über fünf Kilometer trotzdem eine Spitzenzeit schaffte. Wie ihm ging es vielen, womit der allgemeine Tenor auf den Punkt gebracht werden kann: Die Teilnehmer sind den Organisatoren dankbar, dass sie den virtuellen Silvesterlauf auf die Beine gestellt haben, aber 2021 soll es trotzdem wieder die gewohnte Form sein.

Drei Tage bleiben noch, um dabei zu sein – hier die wichtigsten Informationen im Überblick.

Die Coronaregeln: Von Anfang an wurde zuallererst betont und dabei bleibt es natürlich auch, dass die zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen Coronaverordnungen darüber entscheiden, was erlaubt und was verboten ist. Allen voran sind die Kontaktbeschränkungen, die Abstandsregeln und die nächtlichen Ausgangssperren ab 20 Uhr zu beachten.

Die Wettbewerbe: Für die Frauen und Männer der Jahrgänge 2004 und älter gibt es eine 5- und eine 10-Kilometer-Wertung. Es ist erlaubt, auch an beiden Wettbewerben teilzunehmen. Um auch Kindern und Jugendlichen ein Angebot zu machen, kommt der Mini-Marathon über 2,5 Kilometer mit Wertungen für Mädchen und Jungen der Jahrgänge 2005 und jünger dazu. Abgerundet wird das Portfolio von einer Teamwertung.

Die Strecken: Auf die Vorgabe eines bestimmten Kurses wird bewusst verzichtet, um größere Menschenansammlungen in der Coronakrise unbedingt zu vermeiden. Das bedeutet: Jeder Starter wählt seine Route über zweieinhalb, fünf oder zehn Kilometer selbst. Das gilt damit auch fürs Streckprofil und die Frage, ob man es sich etwas leichter als beim normalen Silvesterlauf macht und auf knackige Anstiege wie in der Marktstraße verzichtet oder ob man es als Ehrensache empfindet, einen Berg einzubauen?

Die Ergebnisse: Der Spaßcharakter steht eindeutig im Vordergrund. Die Resultate sind zweitrangig – schon alleine deshalb, weil die Zeiten durch die frei wählbaren und damit unterschiedlich schwierigen Strecken nur bedingt vergleichbar sind. Ergebnislisten werden trotzdem geführt und zumindest in Teilen auch veröffentlicht. Sie basieren auf den Meldungen der Teilnehmer, die ihre Zeiten selbst eintragen. Dafür steht im Internet unter www.bkz.de die entsprechende Plattform zur Verfügung. Die Ehrlichkeit der Sportler wird als selbstverständlich vorausgesetzt, der Sportsgeist verbietet Schummeleien. Ausdrücklich erlaubt ist allerdings, die einzelnen Läufe mehrmals zu absolvieren und damit auch mehrere Zeiten zu melden. Die jeweilige Bestzeit entscheidet über die Platzierung. Bei der Teamwertung geht es nur darum, wer die meisten Frauen und Männer, Mädchen und Buben ins Rennen schickt. Die Zeiten werden nicht addiert.

Der Zeitplan: Es bleiben noch drei Tage, am Silvesterabend um 20 Uhr ist Schluss. Die Ergebnismeldung ist noch vier Stunden länger möglich, am Neujahrstag geht nichts mehr.

Die Facebookgruppe: Schon über 500 Mitglieder tauschen sich bei „Laufen in und um Backnang“ über Themen rund um ihr Hobby aus. Auch der virtuelle Backnanger Silvesterlauf nimmt einen breiten Raum ein. Hier bietet sich etwa die Möglichkeit, Fotos hochzuladen oder das Streckenprofil mittels einer App mit anderen Sportlern zu teilen.