Am Ende wird der Matjes knapp

Die Begeisterung der Schwaben für den Hamburger Fischmarkt, gutes Wetter und beste Stimmung sorgen beim 36. Gastspiel der Hanseaten auf dem Karlsplatz für Erfolg und Zufriedenheit bei den Händlern.

Am Ende wird der Matjes knapp

Zum Schluss des Hamburger Fischmarktes war es am Wochenende noch einmal richtig voll.

Von Heidemarie A. Hechtel

Stuttgart - Sven ist stockheiser und krächzt nur noch. Elf Tage intensiver Belastung der Stimmbänder bleiben auch für den lautstarken Verkäufer am Stand von Käse Fred nicht in den Kleidern. Aber er hält eisern durch. Bis die Schiffsglocke zum letzten Mal ankündigt, dass der Seelachs in Bierteig von der Backfischrutsche am Leuchtturm direkt auf den Teller flutscht, bis das letzte Jever auf der Kogge gezapft wird und das letzte Matjesbrötchen zubereitet wird. Als Wegzehrung für den Heimweg. Damit der Abschied nicht so schwer wird. Vorausgesetzt, es ist noch Matjes da.

„Er war der absolute Renner“, erklärt Klaus Moritz, Vizepräsident vom Landesverband des ambulanten Gewerbes und der Schausteller Hamburg e. V., der Frischfisch, Räucherfisch und Feinkost anbietet und am vorletzten Tag selbst schon den beliebten Hering rationieren musste. Gleich danach auf der Genuss-Skala: Rotbarsch. Und Scholle, allerdings nicht mit Nordsee-Krabben, denn ihr derzeitiger Marktpreis, 80 Euro das Kilo, hätte das Gericht zu teuer gemacht. Stattdessen nach Finkenwerder Art mit Speckwürfeln.

Wer einst den Begriff „Sommerschätzchen“ für die Gäste von der Alster erfunden hat, lässt sich nicht mehr klären, aber nicht nur Anne Rehberg, Eventmanagerin und Pressesprecherin der WAGS, der Veranstaltungstochter der Schausteller, ist stolz darauf. Denn die Liebe zwischen den Stuttgartern und den Hanseaten, spontan beim ersten Gastspiel 1988 entbrannt, ist ungebrochen. „An den ersten zwei Tagen wurden wir regelrecht überrannt“, so Rehberg. Als hätten es die Gäste kaum erwarten können.

„Der Funke muss überspringen“, weiß Rehberg, „hier hat er gezündet.“ Auf beiden Seiten. „Wir freuen uns jedes Mal auf Stuttgart“, sekundiert Moritz überzeugend. Die Stadt, der Karlsplatz mit seinen Kastanien und vor allem die Gäste seien ihre Favoriten unter den Gastspielorten wie München, Aschaffenburg und Offenbach. „Nicht nur wegen der vollen Kassen“, versichert der Geschäftsmann und zollt ein Lob, das netter nicht sein kann: „Hier ist es so kuschelig.“

Die Verabredung zum Fischmarkt, nicht nur einmal in den zwei Wochen, stehe im Kalender der vielen Stammgäste, weiß Anne Rehberg. „Die wollen das ganze Angebot genießen. Zum Beispiel den Flammlachs. Oder die Nudelpfanne mit Garnelen. Und Langosch mit Lachs.“ Vom Frühschoppen über das Mittagessen bis zum späten Nachmittag kämen vor allem Geschäftsleute und ältere Gäste, ehe es am Abend trubelig wird, wenn die jungen Gäste die Cocktailbar oben am Denkmal von Kaiser Wilhelm I. erobern und belagern.

Das Wiedersehen wird gefeiert, viele Verbindungen seien fast familiär. Wie zu jenem Paar, das sich am 15. Juli 1992 am Stand der legendären Hilde beim Verkosten von Labskaus kennengelernt hat. „Zwei Jahre später haben die beiden geheiratet und feiern seither immer hier den Jahrestag“, erzählt Anne Rehberg und liefert die nächste amouröse Anekdote. Eine junge Dame habe sich in den Barkeeper verliebt und angefragt, ob er auch am Samstag wieder da sei. „Ist er“, hat sie gern geholfen.

Vor 15 Jahren hat sie Hildes Labskaus-Stand übernommen und kann mittlerweile Stammgäste von einzigartiger Treue vorweisen. Beispielsweise Susanne und Gerhard Vollweiter, die seit Jahren jeden Tag kommen und ebenso täglich zuerst Labskaus und dann Backfisch essen. Auch im vergangenen Jahr, als der Fischmarkt wegen der Fußball-EM im Mai stattfinden musste und tagelang von sintflutartigem Regen überschwemmt wurde. „Den haben wir in der Erinnerung gestrichen“, winkt Rehberg ab. Aber Vollweiters waren da. Wetterfest und hungrig. Umso trauriger, dass sie jetzt Abschied nehmen: „Wir ziehen fort, nach Mecklenburg-Vorpommern.“

Alle anderen können schon den Termin notieren: Vom 2. bis 12. Juli spülen des Meeres und der Liebe Wellen auch 2026 wieder den Hamburger Fischmarkt an den Neckar.