„Angehörige wollen Trauerfeier heute selbst gestalten“

Interview Bei Beerdigungen gibt es immer mehr individuelle Wünsche. Bestatterin Charlotte Klinghoffer empfiehlt, schon zu Lebzeiten mit seinen Angehörigen offen darüber zu sprechen.

„Angehörige wollen Trauerfeier heute selbst gestalten“

Pinkfarbene Särge oder ein Diamant, der aus der Asche des Verstorbenen gepresst wurde: Charlotte Klinghoffer erfüllt ihrer Kundschaft auch ungewöhnliche Wünsche. Foto: A. Becher

Sie haben Ihr Bestattungshaus vor 22 Jahren gegründet. Wie hat sich die Bestattungskultur seitdem verändert?

Die Bestattungskultur hat sich stark verändert. Da ist einmal der Trend zur Feuerbestattung: Wir sind heute bereits bei über 80 Prozent Feuerbestattungen, zu meiner Anfangszeit waren es gerade mal 30 Prozent. Geändert hat sich auch, dass inzwischen sehr viele deutsche Bürger keine Kirchenmitglieder mehr sind. Dadurch werden auch andere Bedürfnisse geweckt. Viele Angehörige wollen die Trauerfeier heute selbst gestalten, nach ihren Wünschen oder sogar nach den Wünschen des Verstorbenen.

Was ist aus Ihrer Sicht der Grund für den Boom der Feuerbestattungen? Geht es da nur um die geringeren Kosten?

Ich denke schon, dass das der ausschlaggebende Grund ist: Die Gebühren für Erdbestattungen sind enorm hoch, ebenso die Folgekosten für die Grabpflege. Bei einem kleinen Urnengrab sind die Kosten überschaubar. Da kann ich vielleicht sogar eine Platte draufmachen und vereinfache dadurch die Grabpflege.

Welche Rolle spielen alternative Bestattungsformen?

Die Nachfrage nach Baumbeisetzungen ist enorm hoch. Sie sind auch eine wirkliche Alternative zu einer normalen Grabstätte, weil sie eben keiner Grabpflege bedürfen. Aber es muss den Angehörigen auch klar sein, dass sie, wenn sie sich für so eine Grabform entscheiden, auch nicht die Möglichkeit haben, Blumen oder einen Kranz niederzulegen. Denn es ist gewollt, dass ein Baumgrab eine natürliche Grabstätte bleibt.

Manche Menschen wollen auch anonym bestattet werden. Was steckt hinter diesem Wunsch?

Der Wunsch nach einer anonymen Beisetzung wird immer weniger, seit es Baumgräber gibt. Oft ging es nämlich in erster Linie um die Grabpflege. Mancher wollte seinen Angehörigen, die vielleicht weit weg wohnen, diese Last nicht übertragen, und eine anonyme Bestattung war früher die einzige Alternative zu einem Grab mit Grabpflege. Heute gibt es die Baumgräber ohne Grabpflege, aber trotzdem mit einer Namenstafel. Eine anonyme Bestattung bedeutet in der Regel, dass die Angehörigen gar nicht wissen dürfen, wo die Urne beigesetzt wurde. Für viele ist das ein Problem, weil sie dann keinen Ort haben, zu dem sie hingehen können. Wer sich zu Lebzeiten dafür entscheidet, anonym beigesetzt zu werden, sollte sich darüber im Klaren sein.

Dann wäre es also besser, solche Dinge schon zu Lebzeiten zu besprechen?

Genau, das Wichtigste ist das offene Gespräch mit den Familienangehörigen, die es am Schluss auch betrifft. Man kann seinen Angehörigen nicht mehr Hilfeleistung geben, als ihnen zu sagen, wie man sich seinen letzten Gang wünscht, denn das ist die schwerste Entscheidung. Manchmal sitzen Ehepartner bei mir, die waren 45 Jahre verheiratet und haben nie über dieses Thema gesprochen. Aber die Generation, die jetzt nachkommt, redet mehr darüber, und das ist auch gut so.

Die Wünsche bei der Bestattung werden immer individueller. Sie bieten zum Beispiel Särge in Metallic-Lackierung oder in den Vereinsfarben des Lieblingsvereins an. Was waren die ungewöhnlichsten Wünsche, mit denen Sie konfrontiert worden sind?

Ungewöhnlich ist grundsätzlich gar nichts. Wenn ein Wunsch da ist, dann bin ich der Meinung, dass dieser auch umgesetzt werden kann. Manche wollen bestimmte Rituale leben und zum Beispiel eine dreitägige Totenwache halten. Früher war das total üblich: Da wurde der Verstorbene zu Hause aufgebahrt. Heute können wir das bei uns im Haus umsetzen. Auch Seebestattungen können wir organisieren, mit einer Feier auf einem Schiff oder ohne. Wir haben auch schon mal einen ganz einfachen Sarg aus Kiefernholz bestellt und die Kinder haben ihn dann selbst bemalt. Es gibt nichts, was ich nicht umsetzen kann.

Wie wichtig ist das Abschiednehmen am offenen Sarg?

Das ist unterschiedlich: Der eine braucht es, der andere nicht. Oft weiß man das aber erst hinterher. Ich habe schon oft Leute bei mir sitzen gehabt, die gesagt haben: „Jetzt saß ich vor diesem Töpfchen mit Asche und habe gar nicht gewusst: Ist er da wirklich drin?“ Ich glaube, dass der Abschied am offenen Sarg sehr viel mit Trauerbewältigung zu tun hat, damit der Kopf kapiert: Der Mensch ist wirklich tot.

Trotzdem haben viele Angst davor, einen Toten zu sehen.

Diese Angst möchte ich den Leuten gerne nehmen. Wir haben heutzutage alle Möglichkeiten, einen Verstorbenen so aufzubahren, dass man das Gefühl hat, er ist nicht verändert. Wir richten im Übrigen jeden Verstorbenen für eine offene Aufbahrung her. Selbst wenn die Angehörigen im ersten Gespräch sagen: „Der Sarg bleibt zu“, können sie morgen anrufen und sagen: „Jetzt will ich mich doch noch verabschieden.“ Das passiert auch oft und hinterher sind fast alle froh, diese Entscheidung getroffen zu haben.

Im Gegensatz zu anderen Ländern gilt in Deutschland eine Friedhofspflicht. Es ist also nicht erlaubt, sich die Urne eines Verstorbenen zu Hause auf die Kommode zu stellen. Ist diese Regelung aus Ihrer Sicht noch zeitgemäß?

Dieser Zwang ist sicherlich nicht mehr zeitgemäß. Wenn die Urne zu Hause steht, habe ich kein Problem damit. Ich habe nur ein Problem damit, wenn die nächste Generation sie dann irgendwann in die braune Tonne wirft. Ich denke, es sollte eine Form geschaffen werden, dass man eine Urne mit nach Hause nehmen kann. Aber wenn ich meine Trauerarbeit geleistet habe, nach zwei Jahren oder drei Jahren, sollte es auch die Möglichkeit geben, die Urne an einen Bestattungsplatz zu übergeben, damit sie eben nicht so wie in Amerika irgendwann auf die Straße gestellt wird. Da muss es dann eine saubere Lösung geben.

Trauerfeiern fanden früher in der Kirche oder auf dem Friedhof statt, Sie haben in Ihrem neuen Bestattungshaus in Backnang zwei eigene Aussegnungshallen eingerichtet. Warum?

Wir bedienen hier im Umkreis 180 Friedhöfe. Davon haben höchstens 35 eine standesgemäße Aussegnungshalle und nur in ganz, ganz wenigen Fällen ist eine Kirche direkt neben dem Friedhof. Welche Optionen haben alle anderen? Sie stehen entweder im Freien bei Kälte und Wind oder in einer Aussegnungshalle ohne Orgel und Mikrofon. Da ist alles improvisiert.

Glauben Sie, dass sich die Trauerfeiern zunehmend von den Friedhöfen weg verlagern werden?

Es ist zumindest eine Alternative für diejenigen, die etwas Individuelles möchten. Durch den hohen Anteil an Feuerbestattungen ist es heute auch viel einfacher, das umzusetzen. Was ich den Hinterbliebenen bei uns im Haus bieten kann, kann kein Friedhof bieten. Wenn Sie zum Beispiel die Trauerfeier für Angehörige im Ausland streamen wollen, müssen Sie dafür auf dem Friedhof einen externen Dienstleister buchen. Bei uns ist das mit dabei. Sie können bei der Trauerfeier auch Bilder des Verstorbenen präsentieren oder ein Musikstück von Elton John oder Andreas Gabalier abspielen. Außerdem gibt es in unserer Aussegnungshalle eine tolle Orgel. Ich denke schon, dass das die Zukunft ist.

Wenn man wie Sie täglich mit dem Tod zu tun hat, ändert das den Blick auf das eigene Leben und Sterben?

Auch ich habe furchtbare Angst vor dem Sterben, weil ich weiß, dass man es sich nicht aussuchen kann und nie weiß, wie es einen trifft. Aber ich glaube, ich gehe wesentlich bewusster mit dem Leben um. Zwei Drittel meines Lebens sind wahrscheinlich schon geschafft, da denke ich mir manchmal schon: „Mein Gott, ist es das wert, dass man sich über viele Dinge so ärgert?“

Die Fragen stellte Kornelius Fritz.

Charlotte Klinghoffer

Vita Charlotte Klinghoffer ist 1967 in Bad Cannstatt geboren und in Backnang aufgewachsen. Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung zur Maschinenbauzeichnerin bei der Firma Harro Höfliger. Schlechte Erfahrungen nach dem Tod des eigenen Vaters waren der Anlass, den Beruf zu wechseln: Als Quereinsteigerin gründete sie 1999 das Bestattungshaus „Zur Ruhe“ in Backnang. Als Stadt- und Kreisrätin ist Charlotte Klinghoffer auch kommunalpolitisch aktiv.

Firma Heute beschäftigt Charlotte Klinghoffer 21 Mitarbeiter und betreibt 13 Niederlassungen im gesamten Rems-Murr-Kreis. Pro Jahr organisiert ihre Firma rund 900 Bestattungen. Anfang des Jahres ist das Unternehmen in das ehemalige Möbelhaus Noller in der Sulzbacher Straße umgezogen. Mit einer Fläche von 1500 Quadratmetern ist dies laut Klinghoffer das größte Bestattungshaus in ganz Deutschland.