Angelboom im Coronajahr

Die Zahl der Angler hat sich dieses Jahr mehr als verdoppelt. Der Backnanger Gewässerwart Markus Weber weiß, warum: „Angeln entschleunigt.“ Die Leute sind mehr zu Hause und haben mehr Zeit.

Angelboom im Coronajahr

Helmut Seiler am See des Angelsportvereins Kirchberg an der Murr am Wüstenbachhof. Abstand halten ist für ihn kein Thema, Angler sitzen naturgemäß nie im Pulk zusammen. Foto: J. Fiedler

Von Simone Schneider-Seebeck

ASPACH/BACKNANG. Ein strahlender Sonntagvormittag. Die Sonne blinzelt zwischen den Wolken hervor. Vogelgezwitscher erfüllt die Luft. Es ist ein frischer, goldener Novembermorgen. Der große See des Angelsportvereins Kirchberg an der Murr glitzert zwischen der Uferbepflanzung durch und am Uferrand haben es sich einige Angler gemütlich gemacht. Bequem sitzen sie auf ihren Klappstühlen, mit mehreren Metern Abstand, jeder für sich. Angeln ragen über das Wasser, das sich sanft kräuselt – eine Idylle.

In diesem Jahr hat das Angeln einen Boom erfahren. Markus Weber, Gewässerwart des Anglervereins Backnang, hat festgestellt, dass 2020 ungewöhnlich viel gefischt worden ist. Mehr als verdoppelt hat sich die Anzahl der Begehungen bei den vereinseigenen und gepachteten Gewässern, und dabei ist das Jahr noch nicht einmal zu Ende. Das lässt sich anhand der sogenannten Angelkarten belegen, auf denen Begehungen und Fang eingetragen werden müssen.

Die Angelkarte stellt sicher, dass das Gewässer nicht überfischt wird.

Die Angelkarte dient als Nachweis, dass das Gewässer nicht überfischt wird. Für jedes Gewässer gibt es ein Tages-, Wochen- und Jahresentnahmelimit. Die Vereine sind in der Pflicht, das selbst zu kontrollieren, damit die Fischentnahme nicht überhandnimmt. Anfang des folgenden Jahres werden die Karten abgegeben und ausgewertet. Dass das auch alles ordnungsgemäß geschieht, darauf legen die Vereine großen Wert. In der Gewässerordnung des Angelsportvereins Backnang heißt es dazu: „Wer diese Karte zu spät abgibt, bezahlt 30 Euro an die Vereinskasse. Für das nicht Saldieren der Fangliste sind 10 Euro an die Vereinskasse zu zahlen.“

Übrigens dürfen auch Gäste an die Vereinsgewässer, doch nur, wenn ein Mitglied des Vereins dabei ist. Und der Verkauf von Gästetageskarten geht auch nur über Vereinsmitglieder.

Warum boomt das Angeln gerade so? Markus Weber erklärt: „Die Leute sind mehr zu Hause und haben mehr Zeit. Die nutzt man dann einfach auch, um seine Freizeit mehr zu gestalten, das zu machen, was sonst zu kurz gekommen ist.“ Und er ergänzt: „Angeln entschleunigt, es entspannt, man ist draußen in der Natur.“ Naturgemäß sitzt man zudem auch nicht im Pulk zusammen, sondern hält von sich aus Abstand zum nächsten Angler.

Doch selbstverständlich sehen die Petrijünger ihr Hobby nicht einfach nur als Freizeitaktivität. Die Gewässerhege und -pflege ist ein wichtiger Bestandteil der Angelvereine. Denn der Fisch braucht eine Umgebung, in der er sich wohlfühlt und in der er gut gedeihen kann. Deshalb gehören Renaturierungsmaßnahmen, Uferbefestigungen, das Besetzen mit heimischen Fischarten und vieles mehr dazu, wie Vlado Pajurin, Vorstandsvorsitzender des Kirchberger Angelsportvereins erklärt: „Das müssen die Angelvereine machen, ob Corona oder nicht. Der Mensch hat in der Vergangenheit dermaßen in das ökologische System eingegriffen, dass wir auch weiterhin dafür sorgen müssen, das Gleichgewicht wieder hinzubekommen. Allein kann die Natur das gar nicht richten.“

Deshalb wurden die diesjährigen Aktivitäten der Hegegemeinschaft Einzugsgebiet Murr, deren Mitglieder sowohl der Backnanger wie auch der Kirchberger Angelverein sind, wie geplant durchgeführt, mit Äschen-, Aal- und Forellenbesatz sowie der Pflanzung von Neckarschwarzpappel und Weide entlang der Murr, unter Berücksichtigung der jeweils geltenden Hygiene- und Abstandsregeln.

Auch Pajurin hat festgestellt, dass in diesem Jahr wesentlich mehr Angler, sowohl Vereinsmitglieder als auch Gäste, am vereinseigenen See anzutreffen waren. Und das, obwohl kaum Vereinsaktivitäten stattfinden konnten. Dafür war eben mehr das Individualangeln angesagt. Er selbst hat hier ebenfalls öfter als sonst seine Zeit verbracht. Befürchtungen, dass die Fanglimits überschritten werden, hat er jedoch nicht. Die Quote werde so gut wie nie ausgeschöpft.

Hinzu kommt, dass auch während des Lockdowns das Angeln prinzipiell nicht verboten war. „Die Fischerei fällt in den Bereich der Landwirtschaft“, erläutert Vlado Pajurin. Der Landesfischereiverband Baden-Württemberg hat klargestellt: „Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet.“ Die Angler können also alleine angeln gehen oder mit Angehörigen ihres Hausstands, soweit Landkreise oder Gemeinden nicht zusätzliche Beschränkungen zum Aufenthalt im öffentlichen Raum erlassen haben. Einige Kommunen in Süd- und Nordbaden (zum Beispiel Freiburg im Breisgau oder Bretten) haben Allgemeinverfügungen erlassen, die das Betreten öffentlicher Flächen grundsätzlich untersagen. Weiter heißt es: „Dort dürfen Sie nicht angeln gehen. Um sicherzugehen, fragen Sie bitte bei Ihrer Gemeinde an, ob zusätzliche Einschränkungen erlassen wurden.“

Ob man etwas fängt oder nicht, ist für viele Angler nicht so wichtig.

An diesem Vormittag möchte auch Helmut Seiler sein Angelglück am See in der Nähe des Wüstenbachs versuchen. Er lässt sich Zeit beim Aufbau seiner Ausrüstung, und nachdem die Angel ausgeworfen ist, gönnt er sich zunächst mal einen Kaffee. „Im Frühjahr, zu Zeiten von Lockdown und Kurzarbeit, war ich öfter als sonst da“, erzählt der Waiblinger. Seit 13 Jahren ist er Mitglied bei den Kirchberger Anglern. Ob er was fangen wird? Er zuckt die Achseln. Vielleicht gibt es heute einen frischen Fisch, vielleicht auch nicht. Das ist ihm nicht so wichtig. Bis zum frühen Nachmittag möchte er bleiben, die Sonne und die Ruhe genießen. Und wenn dabei noch ein Mittagessen herausspringt – umso besser.