Anonymus nimmt Abfallbetrieb ins Visier

Unbekannter Briefeschreiber sieht Verschwendung von Gebühren – AWRM-Chef Balthasar kontert Kritik: Fachlich nicht zutreffend

Schwere Vorwürfe erhebt ein Unbekannter in anonymen Briefen: Die Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM) und ihr Vorstandsvorsitzender Gerald Balthasar würden Millionen zum Fenster hinauswerfen, die Kontrolle im Aufsichtsrat versage, Kosten für Projekte seien schöngerechnet worden. Balthasar weist die einzelnen Kritikpunkte zurück: Sie seien fachlich nicht zutreffend.

Anonymus nimmt Abfallbetrieb ins Visier

Der neue Flüssigdüngerspeicher auf der Biomüllvergärungsanlage in Neuschöntal (links) hat Kontur angenommen. Auf das Rund wird noch eine Kuppel aufgesetzt, um Gas zu speichern. Fotos: A. Becher

Von Armin Fechter

BACKNANG/WAIBLINGEN. Zwei große Projekte der AWRM rückt der Verfasser der an die Redaktion gerichteten anonymen Schreiben in den Fokus: die laufende Deponieabdichtung auf dem Altteil der Deponie Steinbach und den Ausbau der Biomüllvergärung in Neuschöntal.

Stillgelegte Deponien, so der Unbekannte, sollten eine Oberflächenabdichtung erhalten, sobald sich die größte Menge der organischen Stoffe abgebaut hat. Das sei nach etwa fünf bis zehn Jahren der Fall. In Steinbach, 1994 dichtgemacht, hätte man seit mindestens zehn Jahren tätig werden können. Günstigere Baupreise, weniger anfallendes Sickerwasser und weniger Deponiegas – das hätte dem Bürger mehrere Millionen Euro an Gebühren ersparen können.

„Das ist Unsinn“, entgegnet Balthasar. Früher habe man einfach eine Erdschicht drübergezogen. Heute hingegen bedürfe es eines Bauwerks, das aus mehreren Schichten und empfindlichen Dichtungsfolien besteht und hundert Jahre halten soll. Der gärende Müllkörper aber setzt sich, und die Setzungen seien unterschiedlich verteilt. Deshalb habe man ein aufwendiges Monitoring betrieben, das zeigt, wann die Setzungen so gering sind, dass die Abdichtung möglich ist.

Als millionenschweren Schildbürgerstreich kritisiert der Anonymus die Aktionen zur Vergrämung und Umsiedlung von Tieren, die sich nur deshalb auf der Deponiefläche hätten ansiedeln können, weil man so lange mit der Abdichtung gewartet habe – dabei wolle die Forstverwaltung auf dem Gelände sowieso wieder dunklen Tann haben wie früher. Balthasar stellt zwar auch infrage, ob es sinnvoll ist, auf der abgedichteten Deponie wieder einen Nutzwald aufzubauen, er verweist aber auf die Rechtslage: Die Belange des Forsts seien ebenso zu beachten wie der Naturschutz. Deshalb habe man sich, ergänzt Technikleiter Lutz Bühle, um einen Ausgleich bemüht: Zweieinhalb Hektar würden andernorts aufgeforstet, um in Steinbach offene Bereiche für die Tierwelt zu schaffen.

Ums Geld geht es dem Briefeschreiber auch bei der Biovergärungsanlage. Beim Bau sei die Rede von etwa 10 Millionen Euro Kosten gewesen, daraus seien dann 14 geworden. Laut Balthasar betrafen die 10 Millionen Euro – genauer: 10,8 – nur das Bauwerk selbst. Die europaweite Ausschreibung in mehreren Losen habe einschließlich der Kosten fürs Grundstück 13,2 Millionen Euro ergeben.

Statt Pleiten, Pech und Pannen: „Die Anlage hat sich gelohnt“

Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der 2011 in Betrieb gegangenen Anlage weist Balthasar zurück: „Die Anlage hat sich gelohnt.“ Das vorherige Kompostwerk habe nur einen Teil der Bioabfälle aus dem Kreis verarbeitet, der Großteil sei für teures Geld in die neuen Bundesländer gekarrt worden. Zudem gewinne man mit der Biovergärung jährlich 10,8 Millionen Kilowattstunden grünen Strom – das gab es früher überhaupt nicht.

Die beiden Blockheizkraftwerke, die jetzt durch leistungsstärkere Motoren getauscht wurden, sind ein weiteres Thema für den Kritiker. Pleiten, Pech und Pannen hätten in der Vergangenheit für erhebliche Ausfallzeiten gesorgt. Die Anlage sei ständig am oder gar über dem Anschlag betrieben und heruntergewirtschaftet worden. Eigentlich müssten die Gasmotoren nämlich noch funktionieren und, da sie abgeschrieben sind, die Kassen klingeln lassen.

Auch da widerspricht Balthasar: Es habe keine Überbeanspruchung gegeben, die BHKWs, bei denen eine Lebensdauer von acht Jahren zugrunde liege, seien rund 8300 von 8760 Stunden im Jahr in Betrieb gewesen. Dem üblichen Verschleiß müsse man aber Rechnung tragen. Nach vier Jahren seien daher die Aggregate überholt worden, weitere vier Jahre später sei nun der Austausch fällig.

Dass dabei nicht eins zu eins getauscht wird, sondern die beiden 0,8-Megawatt-Motoren gegen ein 1,2- und ein 1,6-Megawatt-Kraftwerk, nährt weitere Skepsis: Was rechtfertigt diese Kapazitätserhöhung? Balthasar unterstreicht: Damit will die AWRM flexibler werden und Energie dann liefern, wenn sie gebraucht wird – und dazu wird auch der Gasspeicher gebraucht, der über dem neuen Flüssiggastank errichtet wird. 170000 Euro im Jahr erhofft sich Balthasar als Prämie dafür, dass Neuschöntal beispringt, wenn Wind und Sonne schwächeln. Bisher habe man überschüssiges Gas abgefackelt. Überdies könnten die neuen Motoren auch mehr Hitze liefern, die in der benachbarten Klärschlammtrocknung benötigt wird. Dort hatte es in der Vergangenheit Probleme gegeben, weil die Abwärme aus den BHKWs kaum den Bedarf erfüllte.

Da wäre vielleicht ein gemeinsames Dach von Vorteil gewesen, gibt der Unbekannte zu bedenken. Kein Thema für Balthasar: Der Landkreis müsse sich um den Müll kümmern, die Stadt Backnang um den Betrieb einer Kläranlage.

Mit Argwohn blickt der Briefeschreiber auch auf das Thema Flüssigdüngerspeicher. Von Anfang an sei klar gewesen, dass die Kapazität der beiden ersten Behälter nicht reichen würde. Ursprünglich seien nämlich größere geplant gewesen, aber weil die Kosten aus dem Ruder gelaufen seien, habe man reduziert und damit Lagerprobleme und höhere Betriebskosten hervorgerufen. Anders Balthasar: Die neue Düngemittelgesetzgebung zwinge zu einer längeren Lagerhaltung – neun statt sechs Monate –, daher ergäben sich größere Kapazitätsanforderungen. Ein einzelner Landwirt habe gar nicht die nötigen Flächen für so viel Dünger. Daher habe man bisher den Maschinenring als Partner mit im Boot gehabt, jetzt aber werde die Abnahme des Düngers europaweit ausgeschrieben. Balthasar rechnet dabei mit höheren Preisen als bisher.

Anonymus nimmt Abfallbetrieb ins Visier

Gerald Balthasar.

Kommentar
Schlüssig

Von Armin Fechter

Wie soll eine Redaktion mit anonymen Zuschriften umgehen? Soll sie solche Schreiben ignorieren und in den Papierkorb werfen? Oder soll sie den darin geäußerten Standpunkten doch Platz einräumen? Wir haben uns entschieden, die Punkte, die hier von unbekannter Seite angeschnitten werden, mit Abfallchef Gerald Balthasar zu diskutieren, weil sie Angelegenheiten von allgemeinem öffentlichem Interesse betreffen.

Balthasar hat sich den Fragen gestellt, er hat nicht hinterm Berg gehalten, und seine Erklärungen erscheinen schlüssig. Zwar klingen die Ausführungen und Vorwürfe des Anonymus – oder der Anonyma – auf den ersten Blick plausibel. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass viele Punkte einen Haken haben und alles etwas komplizierter ist, als es sich zunächst darstellen mag. Darauf weist Balthasar dann auch ein ums andere Mal hin. Da geht es um rechtliche Rahmenbedingungen ebenso wie um fachliche Aspekte und nicht zuletzt auch politische Bewertungen. Dass aber Abfallwirtschaft immer ein Verlustgeschäft ist, ist keine neue Erkenntnis.

a.fechter@bkz.de