Interview mit KSK-Chef

Ansgar Meyer über Skandale, Reformen und die Bundeswehr

Schweinskopfparty, Hitlergrüße, Munitionsdiebstahl – das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw hatte 2017 für Schlagzeilen gesorgt. Die Situation heute ist eine andere, wie KSK-Kommandeur Ansgar Meyer berichtet.

Ansgar Meyer über Skandale, Reformen und die Bundeswehr

Ein Kommandosoldat des Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, steht während eines Videodrehs zum Tag der Bundeswehr mit einem Zugriffsdiensthund, der einen Augen- und Ohrenschutz trägt, in einer Wiese.

Von Constantin Blaß

Im Interview spricht der 57-Jährige über Reformen, Stammtischparolen, Kommando-Soldatinnen, Fehlentscheidungen und darüber, was die Bundeswehr mit Windrädern gemeinsam hat.

Herr General, Herr Meyer, zwischen unserer Anfrage und dem heutigen Termin liegen gut acht Monate. Täuscht der Eindruck oder ist es schwieriger mit Ihnen einen Termin zu bekommen als mit einem Bundesminister?Ansgar Meyer: Ich gebe zu, dass ich gerade in meinem ersten Jahr als neuer Kommandeur viel unterwegs war. Zu meiner Dienstpostenbeschreibung gehört, in sehr viele Bereiche Verbindung zu halten. Der letzte größere Medientermin liegt aber tatsächlich schon wieder ein halbes Jahr zurück.

Seitdem war Ansgar Meyer zwar zum Beispiel auch beim Neujahrsempfang des Landkreises Calw am 1. Februar 2023 zugegen, das erste und bisher einzige Interview mit ihm als Kommandant des KSK stammt jedoch aus dem Sommer 2022 mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Vermutlich stand zunächst im Fokus, erst einmal in Ruhe arbeiten zu können und Ruhe in den Verband zu bringen.Meyer: Sagen wir mal so, es tat dem Kommando gut, für eine gewisse Zeit unter dem medialen Radar zu fliegen, um uns um unsere Belange zu kümmern. Nach der Eröffnung unseres neuen Besucherzentrums am 20. September 2022 sind wir aber wieder aktiver und sichtbarer.

 

Ein Jahr zuvor, seit Oktober 2021, haben Sie das Kommando beim Kommando Spezialkräfte übernommen. Wie war rückblickend Ihr Start?Meyer: Wir haben einen Personalwechsel auf vielen Führungspositionen vollzogen. Ich muss sagen, dass unsere Vorgänger, insbesondere General Markus Kreitmayr, das Feld sehr gut bestellt haben. Ein großer Teil des 60 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalogs nach der berechtigten Kritik am KSK war bereits umgesetzt. Der Reformprozess war in vollem Gange.

Die KSK-Skandale hatten 2017 fast zur Auflösung der Truppe geführt. Seitdem ist es ruhig geworden. Was auch an den Reformen liegt. Offiziere und Feldwebel des KSK müssen zum Beispiel Verwendungen an anderen Standorten durchlaufen, um immer wieder neue Impulse zu bekommen.

Die Reformen scheinen zu greifen.Meyer: Ich habe festgestellt, dass die überwiegende Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten den Reformprozess mitträgt. Das ist wichtig, damit wir uns auch auf die militärischen Angelegenheiten konzentrieren können. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, einen hohen Grad an Professionalität zu liefern. Es ist schön zu sehen, dass wir Stabilität in die Truppe bekommen haben.

KSK-Kommandeur Ansgar Meyer: Schlüssel liegt in der Kommunikation

Das Reformpaket umfasst viele Punkte, die auch kontinuierlich Anwendung finden, in denen es ums Miteinander geht, um Führung, um Werte. Gibt es Aspekte, die Sie herausheben wollen?Meyer: Das ist schwierig zu sagen, da die Maßnahmen oftmals zusammenhängen. Strukturelle Maßnahmen, die Transparenz nach Außen, die Akzeptanz des Reformprozesses im Verband. Ein Schwerpunkt liegt auf der politischen Bildung für alle, das wurde in der Vergangenheit zwar auch gemacht, aber nicht so intensiv wie jetzt.

Wie verhindern Sie Unzufriedenheit?Meyer: Der Schlüssel ist Kommunikation – das gilt für alle Bereiche. Es ist wichtig, so weit es geht zu vermitteln, was geplant ist. Und das verbunden mit einem hohen Grad an Verbindlichkeit, um Vertrauen aufzubauen. Das ist die Basis für jegliche Führungsphilosophie, die wir in unterschiedlichsten Gesprächsrunden vermitteln.

Können Sie ein Beispiel nennen?Meyer: Alle zwei bis drei Monate rufe ich den erweiterten Führungskreis zusammen. Dort erkläre ich allen militärischen Führern mein persönliches Lagebild und biete die Möglichkeit, darüber zu diskutieren. Damit kommen wir einen ordentlichen Schritt weiter. Unzufriedenheit muss früh identifiziert, aufgegriffen und diskutiert werden, um sie durch Erklärungen vor Entscheidungen abzustellen.

Etwas klischeehaft: Diskussionen bei der Bundeswehr sind erlaubt? Meyer: Ich bin 38 Jahre Soldat, Nachfragen waren immer erlaubt. Sachliche Kritik ist auch willkommen. Im militärischen Bereich gibt es jedoch auch einen Punkt, an dem Entscheidungen loyal umzusetzen sind, auch wenn man persönlich andere Vorstellung hat.

Stammtischparolen beim KSK? So reagiert der Kommandeur

Wie reagieren Sie, wenn Sie Stammtischparolen hören?Meyer: Ich nenne sie Flurgerüchte, die sind gefährlich, weil dadurch schnell schlechte Stimmung aufkommt. Das Gegenmittel ist offene Kommunikation, es gilt, sofort den Sachverhalt richtigzustellen.

Im Dezember 2022 wurde ein Reichsbürger verhaftet, der im selben Jahr noch beim KSK als Logistiker aktiv gewesen ist. Wurde das Image des KSK dadurch erneut beschädigt? Meyer: Mit den früheren Fällen, hat dieser Fall nichts zu tun. Wir hatten die betreffende Person aufgrund von Auffälligkeiten bereits gemeldet und anschließend eng mit dem militärischen Abschirmdienst zusammengearbeitet. Wenn irgendwo jemand KSK hört, dann gerät auch die Vergangenheit gleich wieder in den Fokus – das ist ein Automatismus, dessen wir uns bewusst sein müssen. Alle sind sensibilisiert, um in allen Bereichen Überzeugungsarbeit in Gesprächen zu leisten und ggf. zu melden. Da sind wir sehr weit.

Haben Sie aufgrund Ihrer niedersächsischen Heimat einen besonderen Draht zum Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius?Meyer: Nein, ich habe ihn nie persönlich kennengelernt. Gleichwohl habe ich genau verfolgt, wie er sich als Innenminister in Niedersachsen verhalten hat.

Wie beurteilen Sie den Wechsel an der Spitze des Ministeriums? War er nicht längst überfällig?Meyer: Ein Wechsel ist zunächst einmal ein ganz normaler Vorgang. So wie der jetzige Minister vorgeht, ist es wichtig und gut für die Bundeswehr. Er benennt offensiv die kritischen Punkte, kommuniziert auch klar, dass das 100 Milliarden-Paket für die Aufträge, die wir vor uns haben, nicht reichen wird. Das gefällt mir.

Seine Vorgängerin Christine Lambrecht wirkte deutlich unbedarfter.Meyer: Das war eine politische Entscheidung, die nicht in meiner Reichweite liegt. 

 

Offiziell möchte sich Ansgar Meyer nicht weiter zu den Eskapaden von Frau Lambrecht äußern. Die 57-Jährige, die im Oktober 2022 das KSK besucht hatte, hatte sich im Sommer 2022 mit fehlendem Wissen zum Panzer Gepard im Bundestag blamiert („Gepard ist kein Panzer“), wenige Wochen zuvor hatte sie zugegeben, immer noch nicht die Dienstgrade bei der Bundeswehr zu kennen – was bei den Soldatinnen und Soldaten deutschlandweit für reichlich Kopfschütteln gesorgt hat. Ein kommunikativ komplett missglücktes Silvester-Video bedeutete ihr Ende als Bundesministerin der Verteidigung.

Wenn man sich das multifunktionale Trainingszentrum des KSK anschaut, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass es an Investitionen nicht mangelt. Täuscht der Eindruck? Meyer: Geld spielt bei uns schon eine Rolle, es gibt Limitationen, und es wird nicht jeder Wunsch erfüllt. Aber wir sind mit Blick auf die Ausstattung gerade im Vergleich zum Rest der Streitkräfte privilegiert und grundsätzlich gut ausgestattet. Es gibt jedoch auch Lücken, die sich mit Blick auf die Landes- oder NATO-Bündnis-Verteidigung als schwierig darstellen.

Welche Lücken sind das?Meyer: Bei unseren NATO-Verpflichtungen sprechen wir von einem wesentlich größeren Kräftedispositiv, dass in unterschiedlichen Verfügbarkeiten bereitgehalten werden muss. All diese Einheiten müssen versorgt und führungstechnisch angebunden werden. Die notwendigen Erfahrungen sammeln wir zurzeit.

KSK in Calw: Welche Investitionen getätigt werden

Profitiert das KSK vom von der Politik beschlossenen 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr?Meyer: Wir werden an einigen Projekten im Bereich der Führungsfähigkeit oder Informationstechnik profitieren. Im Vergleich zu den großen Rüstungsprojekten wie zum Beispiel dem Kauf von Flugzeugen für die Luftwaffe, sind unsere zu klein, um einen prominenten Platz zu finden.

Allein im vergangenen Jahr 2022 sind ca. 6,6 Millionen Euro in neue Baumaßnahmen am Standort Calw geflossen. Darunter auch in das am 20. September 2022 eröffnete Besucherzentrum. Zudem wurden Investitionen in Höhe von 1,6 Millionen Euro in den Bauunterhalt, also in die Reparatur und Instandsetzung bestehender Infrastruktur investiert.

Ist es richtig, dass Sie trotz der jüngsten Investitionen einen Bau-Stau haben?Meyer: Das kann man so sagen. Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann geht es gar nicht primär ums Geld, sondern um die Bürokratie bei mit Sicherheit sehr stark ausgelasteten Bauämtern. Wenn wir über Infrastruktur sprechen, dann benötigt ein schnelles Projekt sieben Jahre – das ist zu lang. Es wäre daher schön, wenn es bei unseren aktuellen Projekten wie dem neuen Schießausbildungszentrum oder dem Ausbau des Unterkunftsbereichs schneller gehen würde. Aber auch hier stehen wir im Vergleich zu anderen Standorten gut da, insbesondere, wenn ich auf besondere Vorhaben wie das Besucherzentrum schaue, das wir in Rekordzeit eröffnen konnten.

 

Apropos Bauprojekte: Welches Zwischenfazit ziehen Sie zum Besucherzentrum?Meyer: Ein sehr positives, das Interesse ist groß bei den Bürgerinnen und Bürgern. Mitte Februar hatten wir den 5000. Besucher – das ist für eine Einrichtung dieser Größe nicht unerheblich. Erfreulich ist, dass das Interesse auf einem konstanten Niveau geblieben ist. Für mich ist es eine Perle, mit der ich aktiv werbe. Was Transparenz über unsere Arbeit betrifft, gehen wir mit dem Besucherzentrum an die Grenze des Möglichen.

Blicken wir zurück: Mit dem KSK hatten Sie lange nichts zu tun, Ihre Berufung hat durchaus überrascht: Was waren die Hauptgründe, dass Sie das Kommando im Oktober 2021 beim KSK übernommen haben?Meyer: Es sollte jemand sein, der langjährige Führungserfahrung hat. Und dass ich als letzter Kommandeur in Masar-e Scharif beim NATO-Einsatz in Afghanistan (Anm. d. Red.: Mission Resolute Support, 20. August 2020 bis zum 29. Juni 2021) ohnehin schon sehr eng mit dem KSK gearbeitet habe, war ebenfalls förderlich. 

Ansgar Meyer: Als der „Panzermann“ zum KSK nach Calw kam

Sie haben jahrelang Panzerbataillone geführt oder das Kommando innegehabt, war die Umstellung zum KSK groß?Meyer: Es ist nicht so, dass ich als „Panzermann“ beim KSK zum Raumkampf eingesetzt werde. Es geht darum, dass Kommando Spezialkräfte zu führen. Ich gebe zu, dass ich am Anfang auch Vertrauen aufbauen musste. Aber zumindest subjektiv glaube ich, angekommen zu sein. Jetzt müsste man nur fragen, ob die Wahrnehmung der Truppe genauso ist.

Im Büro des Kommandanten sitzen mit Oberstleutnant Kieron Kleinert und Hauptmann Nadine Henke zwei Vertreter der Medienabteilung – beide nicken. „Es war eine schwierige Zeit für das KSK. Wir haben das Gefühl, dass der General sehr viel Ruhe reinbringt und alle mitnimmt“, sagt die Pressesprecherin, die als gut vernetzt gilt. Und: „Wir sind sehr zufrieden.“

 

Themenwechsel: Seit gut einem Jahr führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Welche Konsequenzen hat das fürs KSK?Meyer: Natürlich haben wir keine direkten Berührungspunkte, indirekt hat der Ukraine-Krieg jedoch große Auswirkungen, weil der Konflikt zu einem kompletten Umdenken geführt hat. Es gilt, sich deutlich enger und intensiver in die NATO einzubinden. Darüber hinaus diskutieren und hinterfragen wir, welche möglichen Aufträge auf uns als KSK zukommen können. Reichen die Fähigkeiten? Müssen vorhandene weiterentwickelt oder sogar neue integriert werden? Hierzu nutzen wir auch unser Netzwerk mit anderen multinationalen Spezialverbänden. Auch innerhalb Deutschlands tauschen wir uns mit SEKs und GSG9 aus.

Wo siedeln Sie das KSK hinsichtlich der Leistungsfähigkeit im internationalen Vergleich an?Meyer: Mit unseren Fähigkeiten spielen wir in der oberen Liga und brauchen uns nicht zu verstecken. Klar, mit Blick auf die Anzahl der Spezialkräfte können wir uns zum Beispiel mit den US-Amerikanern und der Delta Force nicht vergleichen. Mit den Special Air Services (SAS) der Briten schon eher. 

Leiden Sie bei den Kommando-Soldaten auch unter „Fachkräftemangel“?Meyer: Es ist definitiv schwieriger geworden, den richtigen Nachwuchs zu finden. Die Bewerberzahlen sind okay, aber in Relation zu früheren Jahren, holen wir aus der Bewerberzahl nicht mehr so viel Potential heraus.

KSK-Soldaten: Psychische Voraussetzungen entscheidend

In welchem Bereich fehlt es?Meyer: Im physischen Bereich. Früher hat sich unsere Gesellschaft mehr bewegt, das schlägt sich nieder. Es gibt Bewerber, die können zum Beispiel nicht oder nicht gut genug schwimmen. Dann müssen wir beurteilen, ob wir es schaffen, die Schwimmfähigkeiten, die ein Kommando-Soldat benötigt, in einem angemessenen Zeitraum zu trainieren. Bei anderen fehlt die militärische Vorbildung, das wiederum können wir einfacher ausbilden. Kognitive Fähigkeiten sind wiederum nur begrenzt trainierbar. Um den Nachwuchs ohne Qualitätsverlust auch künftig zu garantieren, passen wir unser Verfahren zur Potenzialfeststellung zurzeit an.

Welche Rolle spielen die psychischen Voraussetzungen?Meyer: Das ist ganz entscheidend. Unter körperlicher Belastung in absoluten Ausnahmesituationen, in denen es um Leben und Tod geht, zu bestehen, dafür muss die Psyche funktionieren. Da geht es um charakterliche Voraussetzungen, mentale Fitness, Durchhaltevermögen, über die Grenzen hinauszugehen.

Allein die physischen Voraussetzungen haben es in sich: Unter anderem muss ein Lauf von zehn Kilometern idealerweise unter 45 Minuten absolviert, in zwölf Minuten mehr als 2900 Meter erreicht werden. Mehr als sieben Klimmzüge sollte auch jeder schaffen, genauso wie aus dem Stand zwei Meter und 45 Zentimeter zu springen. Erst danach hat man Zugang zum Potentialfeststellungsverfahren.

Zurück zum Ukraine-Krieg: Nach Jahren des Friedens hat sich in Deutschland die politische Sicht auf die Bundeswehr verändert.Meyer: Es hat nicht zuletzt durch den 24. Februar 2022 eine Schwerpunktverlagerung gegeben. Höhere Militärs der Bundeswehr haben schon viel früher darauf hingewiesen, dass die Landes- und Bündnisverteidigung oberste Priorität haben muss. Dass wir chronisch unterfinanziert gewesen sind, war kein Geheimnis. Aber erst vor einem Jahr ist die Dringlichkeit deutlich geworden.

Armee wieder aufzubauen, dauert Jahrzehnte

Rückblickend ist es leicht zu sagen, war es nicht fahrlässig, nicht schon 2014 die Bundeswehr zu stärken?Meyer: Für viele war die Bedrohung, die sich mit der Annexion der Krim abgezeichnet hat, noch zu weit weg. Nicht messbar. Es gab zudem auch andere dringliche Herausforderungen wie die Flüchtlings- und Corona-Krise, die von der Sicherheitspolitik abgelenkt haben. Erst danach kam der Paukenschlag und damit das notwendige Bewusstsein für Sicherheit in unserer Gesellschaft.

Enttäuschend muss es doch trotzdem sein, so lange nicht gehört worden zu sein?Meyer: Es hat sich abgezeichnet, dass wir nicht nur von Freunden umgeben sind, sondern dass es Risiko-Potential auch in Europa gibt. Da hätte man früher eingreifen können. Aus der heutigen Perspektive ist es immer einfacher, die Situation zu analysieren. Wer hat denn, als wir den Höhepunkt der Flüchtlingskrise hatten, an die Krim gedacht? Niemand. Es ging darum, Hundertausende an Geflüchteten aufzunehmen, zu versorgen und zu integrieren. Auch die Aussetzung der Wehrpflicht kann man rückblickend kritisieren, zumal dadurch die Ausbildungsorganisation komplett auf eine Berufsarmee umgestellt worden ist. Die Umkehrung dieses Prozesses ist auch die Schwierigkeit, sollte man wieder zur Wehrpflicht zurückkehren. Eine Armee zu reduzieren, geht rasend schnell, sie wieder aufzubauen, dauert Jahrzehnte.

Ansgar Meyer zur Situation in Russland: Ein Umsturz ist unwahrscheinlich

Wie lange wird der Ukraine-Krieg dauern?Meyer: Das ist schwierig zu sagen, da wir keinen vergleichbaren Konflikt kennen. Es war in den vergangenen Jahren eher damit zu rechnen, dass es – wenn es eine größere Auseinandersetzung geben sollte – zu einem Drohnenkrieg kommen wird, der auf der Cyber-Ebene geführt wird. Was wir aber in der Ukraine sehen, ist ein konventioneller Krieg. Da spielen zwar auch Drohnen und Cyber eine Rolle, aber nicht die dominierende. Abwegig ist in jedem Fall, dass es in Russland zu einer Revolution kommen und die Regierung abgelöst wird. Öffentliche Widerstände gibt es nicht. Ein Umsturz ist unwahrscheinlich – auch innerhalb der russischen Führung.

Halten Sie es für richtig, dass die Ukraine mit Waffen zur Selbstverteidigung unterstützt wird?Meyer: Ja. Das ist der einzige Weg, um etwas dem russischen Rüstungspotential entgegenzustellen.

 

Sprechen wir über das geplante KSK-Absetzgelände: Rund um das Waldhof-Gebiet werden Sie nicht mit offenen Armen empfangen…Meyer: Das ist derzeit nicht unser vorrangiges Problem. Wir haben ein Absetzgelände in Renningen, das aber anderweitig genutzt werden soll. Das Land Baden-Württemberg kommt nun seiner Pflicht nach, ein Ersatzgelände zur Verfügung zu stellen. Beim Waldhof-Gelände ist das der Fall, wobei wir in Sachen Entfernung dort schon an die Grenzen gehen.

Überraschen Sie die Widerstände vor Ort?Meyer: Nein. Es war zu erwarten, dass der eine oder andere Sorgen hat. Wir haben durch eine offensive Kommunikation vor Ort versucht, die Bedenken zu lindern. Der Prozess liegt aber nicht in unserer Hand. Wir können nur abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Wir sind gerne bereit, in der Kommunikation und Aufklärung Unterstützung zu leisten. Dass, was zum Teil an Szenarien aufgeworfen wird, ist sehr schwarzgemalt. Denn für uns kommt es bei Operationen darauf an, nicht gesehen und idealerweise sogar kaum gehört zu werden – das gilt auch für das Absetzen des KSK.

Es geht aber immerhin um 40 Hektar Ackerland, das wegfällt.Meyer: Noch einmal, ich verstehe die Ängste und Sorgen. Aber es wird kein neuer Truppenübungsplatz errichtet, der abgezäunt und mit Schildern versehen wird. Mehr oder weniger ist es eine eingezäunte Wiese. Es würde auch keine Start- und Landebahn geben, es wäre vielmehr eine Graspiste, die verdichtet wird, so dass leichte Maschinen landen können.

Ansgar Meyer vom KSK: Bei der Bundeswehr ist es so ähnlich wie bei Windrädern 

Vermissen Sie in der Gesellschaft eine gewisse Akzeptanz der Bundeswehr bzw. des KSK?Meyer: Manchmal schon. Allen ist klar, dass die Bundeswehr wichtig ist und sogar wichtiger wird – aber niemand will sie vor ihrer Haustür haben. Das ist wie bei den Windrädern, für die Energiewende sind sie unabdingbar, aber in der Nähe des eigenen Gartens sollen sie nicht stehen. 

Wann rechnen Sie damit, dass die Thematik Absetzgelände final geklärt ist?Meyer: Im Militär sprechen wir von „ungelenkten Raketen“, wenn der Zeitraum der Umsetzung unklar ist. Das ist hier der Fall.

Wäre das Gelände in Calw gäbe es vermutlich weniger Schwierigkeiten. Sie scheinen gut mit dem Landkreis und der Stadt klarzukommen.Meyer: Über die vielen Jahren ist in Calw eine tiefgehende Beziehung entstanden. Deswegen haben wir im Juli 2022 mit der Stadt und dem Landkreis ein Patenschafts-Dreieck geschlossen, das übrigens Begehrlichkeiten geweckt hat. 

Frauen beim KSK? Hürden sind sehr hoch

Inwiefern?Meyer: Ich wurde von einigen Bürgermeistern angeschrieben, ob nicht Verbindungen zu KSK-Kompanien eingegangen werden können. Aber da stoßen wir an unsere Grenzen, da wir auf den Schutz der Kommando-Soldaten und deren Angehörigen achten müssen. Das geht leider nicht.

Zum Schluss: Wie hoch ist der Frauenanteil in der KSK-Kaserne?Meyer: In der Bundeswehr gibt es die Vorgabe, 15 Prozent aller Stellen mit Frauen zu besetzen. Das Heer schafft das nicht, aber wir liegen mit gut neun Prozent sogar leicht über dem Heeresdurchschnitt.

 

Gibt es Kommando-Soldatinnen?Meyer: Wir warten noch auf die Erste. Der Bewerbungs- bzw. Eignungsprozess ist geschlechtsunabhängig. Wer das will, muss gewissen Anforderungen entsprechen. Die physischen Hürden sind groß, da wir das Gewicht der Ausrüstung nicht einfach reduzieren können. Aber warten wir mal ab, hin und wieder bekommen wir immerhin Bewerbungen.

Ansgar Meyer trat 1984 in die Bundeswehr ein. Seitdem hat er große Führungserfahrung in der Panzertruppe, dem Verteidigungsministerium sowie insgesamt drei Auslandseinsätzen im Kosovo und in Afghanistan gesammelt.

Zur Person Ansgar Meyer

Ansgar Meyer über Skandale, Reformen und die Bundeswehr

Seit Oktober 2021 ist General Ansgar Meyer Kommandeur des KSK. Auf dem Foto sitzt er an seinem aufgeräumten Schreibtisch.

Ansgar Meyer über Skandale, Reformen und die Bundeswehr

Selfie mit Ansgar Meyer und Constantin Blaß

Ansgar Meyer über Skandale, Reformen und die Bundeswehr

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) schaute im Oktober 2022 beim Kommando Spezialkräfte (KSK) vorbei.

Ansgar Meyer über Skandale, Reformen und die Bundeswehr

Ansgar Meyer bei einem Besuch der Bundesverteidigungsministerin Lambrecht im Oktober 2022.

Ansgar Meyer über Skandale, Reformen und die Bundeswehr

Brigadegeneral Ansgar Meyer, Kommandeur des Kommando Spezialkräfte in Calw, steht vor dem Eingang des Kommando Spezialkräfte.

Ansgar Meyer über Skandale, Reformen und die Bundeswehr

Brigadegeneral Ansgar Meyer steht vor dem neuen Besucherzentrum.

Ansgar Meyer über Skandale, Reformen und die Bundeswehr

Ansgar Meyer spricht bei der Eröffnung des Besucherzentrums des KSK in Calw. Das Besucherzentrum soll für eine transparentere Öffentlichkeitsarbeit des KSK sorgen.