Appell für eine Technologieoffenheit

Infoveranstaltung zum Thema Mobilität stößt auf großes Interesse  –  Dieselfahrverbote reichen gemäß den Rednern nicht aus

Verkehrspolitik darf den Individualverkehr nicht verteufeln. Das ist eine der Kernaussagen von den Experten bei der Informationsveranstaltung des FDP Ortsverbandes Backnanger Bucht und des Backnanger Bürgerforums. Und Grenzwerte sind nicht gleich Grenzwerte, wie die Besucher an diesem Abend erfahren konnten.

Appell für eine Technologieoffenheit

Ulrich Begemann wirbt in seinem Vortrag im Restaurant Stadtblick für synthetische Kraftstoffe. Diese seien momentan noch teuer, das ändere sich aber in den kommenden Jahren. Foto: J. Fiedler

Von Andreas Ziegele

BACKNANG. Der Andrang der Besucher wollte gar nicht abreißen. Die Veranstalter hatten offensichtlich ein Thema gefunden, dass den Menschen auf den Nägeln brennt. Unter dem Motto „Quo Vadis Mobilität – wie geht’s weiter?“ hatten der FDP Ortsverband Backnanger Bucht und das Bürgerforum Backnang zwei Experten eingeladen, die mit interessanten Ausführungen für viele der Gäste einen anderen Blick auf die Themen Fahrverbote und Grenzwerte werfen lassen.

Gudrun Wilhelm, Vorsitzende des FDP Ortsverbandes und Regionalrätin macht schon in der Begrüßung klar, dass das Thema Fahrverbote nicht nur auf Stuttgart beschränkt ist: „Der Luftreinhalteplan gilt für den Regierungsbezirk Stuttgart. Es wird nicht lange dauern, dann tritt der Teilplan Backnang in Kraft“, ist sie überzeugt. Wilhelm sieht Fahrverbote für eine Einkaufsstadt wie Backnang als reale Bedrohung. „Wenn ein Kunde nicht in eine Stadt fahren kann, dann fährt er eben in eine andere, wo es keine Fahrverbote gibt.“ Die Vorsitzende des Backnanger Bürgerforums (BfB), Charlotte Klinghoffer, Mitorganisatorin des Abends nutzt die Gelegenheit und stellt das BfB vor, bevor sie auf das Thema Mobilität zu sprechen kommt. Sie ist überzeugt, dass hier die Politik nicht mehr von der Regierung, sondern von Umweltverbänden gemacht wird.

Jochen Haußmann, Mitglied des Landtags und dort Sprecher für Verkehr und Infrastruktur für die FDP macht gleich zu Beginn darauf aufmerksam, zu welcher Bekanntheit Backnang mittlerweile gekommen ist: „So oft wie Backnang hat es nach Stuttgart schon lange keine Gemeinde aus Baden-Württemberg mehr geschafft, im „Heute-Journal“ oder in der „Tagesschau“ auf Landkarten aufzutauchen, die sich mit Luftverschmutzung beschäftigen“, sagt Haußmann. Mit seiner Aussage, dass sich das Thema Feinstaub in Stuttgart nahezu erledigt habe, überraschte er dann aber doch den einen oder anderen der Zuhörer. Wann immer es geht, nutzt Haußmann an diesem Abend die Gelegenheit, die Verkehrspolitik der Landesregierung infrage zu stellen. „Stickoxide kommen nicht nur vom Straßenverkehr“, und gibt sich nicht zum letzten Mal an diesem Abend als Fürsprecher der Autofahrer zu erkennen. „Von den 173 Tonnen Stickoxid, die im Jahr 2014 in Backnang angefallen sind, stammten 89 aus dem Straßenverkehr“, erklärt der FDP-Politiker, der keine neueren Zahlen zur Verfügung hat. An dieser Stelle verweist Haußmann auch auf die vielen Arbeitsplätze, die in der Region an der Autoindustrie hängen. „Es kann ja nicht sein, dass wir wirtschaftlich abstürzen, weil wir Grenzwerte einhalten.“ Den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sieht Haußmann kurz- und mittelfristig nicht in der Lage, den Individualverkehr mit dem Auto zu ersetzen. „Man braucht hier Visionen, aber die Schritte beim ÖPNV sind kleine.“ Abschließend machte Haußmann noch mal deutlich, dass Fahrverbote nicht der Weisheit letzter Schluss seien, sondern zuvor weitere Möglichkeiten geprüft werden müssten.

Ein ausgewiesener Experte in Sachen Elektromobilität ist der Heidenheimer Ulrich Begemann. Er leitet beim dortigen Unternehmen Voith den Bereich Neue Technologien. „Ich spreche heute Abend aber nicht im Namen der Firma Voith, sondern als Ingenieur, der sich über viele Jahre mit diesem Thema beschäftigt hat.“ Die wichtigste Entwicklung sieht er bei den sogenannten „E-Fuels“, das sind synthetische Kraftstoffe, die mittels Elektrolyse hergestellt werden. „Das ist im Moment noch ein relativ teures Verfahren mit einem schlechten Wirkungsgrad“, lässt der Ingenieur wissen. Abgesehen vom Preis, der aus seiner Sicht in den kommenden Jahren sinken wird, bezeichnet er dieses als „genial“ und plädiert für weitere Investitionen in dieses Thema. „Technologieoffenheit ist das Muss im Moment“, plädiert Begemann.

Die Batterietechnologie wird nach seiner Meinung nicht die Lösung für die Zukunft sein. „Die Lithium-Technologie ist nahezu am Ende“, meint Begemann und erzählt von einem Treffen mit dem Erfinder dieser Technik, der ihm genau das bestätigt habe. Möglicherweise komme ein Quantensprung durch die Feststoffzelle, diese sei aber derzeit im „Laborstadium“ und werde so schnell nicht kostengünstig zur Verfügung stehen. „Es wird acht oder zehn Jahre dauern, vorher wird diese Zelle nicht da sein“, ist sich Begemann sicher.

Bis zum Jahr 2030 müssen die Hälfte aller Fahrzeuge elektrisch betrieben sein, um die Vorgaben der EU einzuhalten. „Das was hier beschlossen wurde, ist eine verpflichtende Quote durch die Hintertür“, sagt Begemann und kann seinen Ärger darüber nicht verhehlen. „Sie werden dadurch gezwungen, ein solches Fahrzeug zu kaufen.“ Das ist aus seiner Sicht keine Technologieoffenheit. Zu den Kosten der Umsetzung der Energiewende hat Begemann auch Zahlen mitgebracht. Er spricht von rund zwei Billionen Euro in den nächsten Jahren, die hier nötig sein werden. „Das sind in jedem Jahr zig Milliarden Euro, die wir Deutschen hier aufbringen müssen und wo sollen die herkommen?“, fragt Ulrich Begemann. Er appelliert an eine sachliche Diskussion. „Wir müssen das Thema in der Mitte der Gesellschaft lösen und nicht mit Extrempositionen“, sagt Begemann und erhält dafür großen Applaus.