Zehn Jahre nach dem historischen Atomabkommen mit dem Iran liegt der Deal in Trümmern. Berlin will weiter verhandeln, um den Bau einer Atombombe diplomatisch zu verhindern. Wie wird Teheran reagieren?
Berlin, Paris und London hatten im Atomstreit mit dem Iran die Notbremse gezogen. (Archivbild)
Von Von Benno Schwinghammer, Jörg Blank und Christian Fahrenbach, dpa
New York - Knapp zehn Jahre nach dem historischen Atomabkommen mit dem Iran sind die UN-Sanktionen gegen das Land wieder in Kraft getreten. Die Frist für eine Einigung zwischen Teheran und seinen Verhandlungspartnern Deutschland, Großbritannien und Frankreich lief in der Nacht zum Sonntag um 2.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit ab.
Die drei europäischen Länder hatten die Rückkehr der Sanktionen auf den Weg gebracht. Sie werfen dem Iran vor, gegen das Wiener Atomabkommen von 2015 zu verstoßen - beispielsweise bei der Anreicherung von Uran weit über die Werte, die für zivile Zwecke nötig sind.
Die nun wieder geltenden Strafmaßnahmen umfassen unter anderem ein allgemeines Waffenembargo, ein Verbot weiterer Urananreicherungen sowie zahlreiche Sanktionen gegen Einzelpersonen und Organisationen zum Einfrieren von Geldern. Unter einem Waffenembargo versteht man ein Verbot, Waffen und Ausrüstungsgüter an das betroffene Land zu liefern. Der Iran hatte für den Fall der Wiedereinsetzung der Maßnahmen eine harsche Reaktion angekündigt.
Iran kritisiert Wiedereinführung als "null und nichtig"
Irans Außenminister Abbas Araghtschi kritisierte, die Maßnahme der drei europäischen Länder sei "aus rechtlicher und verfahrenstechnischer Sicht fehlerhaft und daher null und nichtig". Das Inkrafttreten der UN-Sanktionen stelle einen "eindeutigen Missbrauch" des Wiener Abkommens dar und sei weder politisch noch moralisch zu rechtfertigen, schrieb er an UN-Generalsekretär António Guterres.
Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatten Ende August den sogenannten Snapback-Mechanismus aktiviert. Er diente dazu, den Iran bei Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen im Rahmen des Atomabkommens wieder mit vorherigen Sanktionen belegen zu können. Die Europäer sind neben den USA, Russland und China Mitunterzeichner des Deals, der als Meilenstein der Diplomatie gilt. Teherans Partner Moskau hat bereits angekündigt, die Rückkehr der Sanktionen nicht umzusetzen.
Wiener Abkommen wird seit Jahren faktisch nicht mehr umgesetzt
Der Vertrag von 2015 sah eine Begrenzung der iranischen Urananreicherung auf maximal 3,67 Prozent sowie eine strenge Überwachung vor, damit Teheran keine Atombombe erlangen kann. Im Gegenzug sollten Sanktionen aufgehoben werden.
US-Präsident Donald Trump war der Vertrag, der unter seinem von ihm verachteten Vorgänger Barack Obama ausgehandelt worden war, seit jeher ein Dorn im Auge. 2018 kündigte Trump die Vereinbarung einseitig auf. Zugleich ließ er neue und härtere Sanktionen gegen den Iran verhängen.
Erhoffte Lockerungen und ein wirtschaftlicher Aufschwung blieben indes aus. Seitdem hatte Teheran die Pflichten, die sich aus dem Abkommen ergaben, zusehends missachtet. Seit Jahren bereits wird es faktisch nicht mehr umgesetzt. Teheran hat die Wiedereinführung der Sanktionen daher als illegitim kritisiert.
Europäer warnen Iran vor Eskalation, USA werben für Verhandlungen
Deutschland, Großbritannien und Frankreich warnten nun den Iran vor einer Eskalation des Atomstreits. "Wir fordern den Iran nachdrücklich auf, von jeglichen eskalierenden Maßnahmen abzusehen und sich wieder an seine rechtlich bindenden Sicherungsmaßnahmen zu halten", teilten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs (E3) in der Nacht gemeinsam mit. "Die Wiedereinführung von UN-Sanktionen bedeutet nicht das Ende der Diplomatie."
Auch die USA stellten dem Iran neue Verhandlungen in Aussicht. Außenminister Marco Rubio sagte, Präsident Trump habe deutlich gemacht, dass Diplomatie nach wie vor eine Option sei. "Ein Abkommen bleibt das beste Ergebnis für das iranische Volk und die Welt." Damit dies geschehen könne, müsse der Iran direkte Gespräche akzeptieren.
Vor wenigen Tagen hatte Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei möglichen Verhandlungen mit den USA eine klare Absage erteilt und Trump vorgeworfen, keine echten Gespräche führen zu wollen.
Außenminister Wadephul: Neues diplomatisches Kapitel aufschlagen
Bundesaußenminister Johann Wadephul hatte den Iran bereits vor Ablauf der Frist zu neuen Verhandlungen aufgerufen. "Mit dem Snapback endet ein Kapitel unserer diplomatischen Bemühungen", hatte der CDU-Politiker wenige Stunden vor dem Fristende in New York gesagt. Er fügte hinzu: "Der Iran hat die Möglichkeit, ein neues Kapitel von Diplomatie aufzuschlagen. Es ist an ihm, den Weg hin zu neuen Gesprächen zu beschreiten. Wir sind dafür bereit."
Wadephul sagte, die Formel der Wiener Atomvereinbarung sei einfach gewesen: Sanktionsaufhebung gegen Beschränkung des Atomprogramms. Der Iran habe über Jahre hinweg seine Verpflichtungen missachtet. "Es gibt keine plausible Begründung, Uran auf 60 Prozent anzureichern. Iran ist der einzige nicht-atomar bewaffnete Staat der Welt, der so hoch angereichertes Uran besitzt."
Laut einem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA verfügte der Iran vor Beginn des israelischen Kriegs gegen das Land im Juni über mehr als 400 Kilogramm Uran mit einem Reinheitsgrad von 60 Prozent. Für den Bau von Atomwaffen wäre eine weitere Anreicherung auf einen Reinheitsgrad von mehr als 90 Prozent erforderlich. Wie viel von dem Material und den Kapazitäten des Irans nach den schweren Angriffen der USA und Israels im Juni noch übrig ist, bleibt derweil umstritten.
Iranische Opposition im Exil begrüßt Maßnahmen
Die iranische Opposition im Exil bezeichnet die erneut in Kraft getretenen UN-Sanktionen als unerlässlich. Nur so könne die "religiöse Diktatur" daran gehindert werden, "in den Besitz einer Atombombe zu kommen", sagte die Präsidentin des im Iran verbotenen Nationalen Widerstandsrates (NWRI), Maryam Rajavi. Sie fügte hinzu: "Die endgültige Lösung ist ein Regimewechsel durch das iranische Volk, und das Recht auf Widerstand gegen das Regime des Terrors und der Massaker muss anerkannt werden."
Reaktion des Irans schwer abschätzbar
Wie sich die Einsetzung der früheren Sanktionen auswirken wird, ist schwer abzuschätzen. Die Islamische Republik könnte auf Konfrontationskurs gehen und ein Abkommen zur Wiederaufnahme von IAEA-Inspektionen aufkündigen.
Weitere mögliche Eskalationsschritte wären ein Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag oder sogar die Ankündigung, eine Atombombe zu bauen. Israel, die USA und europäische Länder werfen dem Land vor, nach Kernwaffen zu streben. Die iranische Führung weist dies zurück und verweist auch auf ein religiöses Rechtsgutachten von Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei, demzufolge Massenvernichtungswaffen verboten sind.
Sanktionen könnten Wirtschaftskrise im Iran verstärken
Die Sanktionen dürften für den Iran nach Einschätzung von Experten begrenzte wirtschaftlichen Folgen haben. Der Staat mit etwa 90 Millionen Einwohnern ist unter anderem bereits aufgrund von US-Strafmaßnahmen ökonomisch stark angeschlagen. Zudem ist das Vorgehen zwar ein weiteres Signal an Unternehmen weltweit, dass eine Zusammenarbeit mit dem Iran heikel werden kann. Viele internationale Unternehmen meiden den Iran jedoch bereits seit langem aus Sorge vor US-Strafmaßnahmen.
Bis jetzt war der Iran schon mit harten Strafmaßnahmen belegt, die vor allem auf den Energiesektor des öl- und gasreichen Landes zielen. Zudem ist das Land weitgehend vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen.