Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) legt nicht genug wirtschaftlichen Reformgeist an den Tag.
Von Eidos Import
Die Frage, wann sich ein Regierungschef zu schmerzhaften Strukturreformen durchringt, ist ein Pokerspiel. Dieses Wagnis gehen Politiker oft erst ein, wenn sie – wegen des Problemdrucks – kaum eine Alternative haben. Wer glaubt, mit Blick auf die nächste Wahl noch ein halbwegs passables Blatt auf der Hand zu haben, scheut eine Situation, in der kurzfristig die Karten neu gemischt werden. Auch dann, wenn Reformen langfristig besser fürs Land wären.
Geld ist Macht. In dieser Woche berät der Bundestag den Entwurf der Regierung für den Haushalt 2025. Damit verbindet sich die Frage: Will Friedrich Merz, der in der Außenpolitik rasant gestartet ist, auch im Inneren ein Reformkanzler werden? Wird der CDU-Politiker das Nötige tun, damit Deutschland dauerhaft zu neuer wirtschaftlicher Stärke findet? Es braucht, Stand jetzt, viel Optimismus, um daran zu glauben. Mit Recht warnt Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, eindringlich: „Wenn die Koalition sich auf den erweiterten Verschuldungsspielräumen ausruht und Strukturreformen vernachlässigt, wird sie scheitern und die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands verschärfen.“ Eine messerscharfe Analyse. Und ökonomisch leider sehr zutreffend.
In Deutschland lasten die hohen Sozialbeiträge schwer auf dem Faktor Arbeit. Die Finanzprobleme in der Kranken- und Pflegeversicherung sind akut. Dennoch hält sich der Elan, das Gesundheitssystem effizienter zu machen, in engen Grenzen. Auch bei der Rente, bei der die schlimmsten Probleme erst kommen, gibt Schwarz-Rot weiter Geld aus, als gäbe es kein Morgen. Das ist organisierte Verantwortungslosigkeit.
Merz, der sich in der Opposition als wirtschaftspolitischer Reformer inszeniert hat, weicht den offensichtlichen Herausforderungen aus. Es ist zu hoffen, dass er zumindest die Aufgabe des Bürokratieabbaus kraftvoll angeht. Sein Minister für Digitalisierung und Staatsmodernisierung, Karsten Wildberger, ein Politikanfänger aus der Wirtschaft, wird einen Kanzler brauchen, der ihm bei Konflikten im Kabinett beispringt.
Deutschland muss sich bewegen. Es muss einfacher werden, ein Unternehmen zu starten. Straßen und Brücken müssen schneller gebaut werden. Die Wirtschaft muss die nächsten Schritte in Richtung Klimaneutralität gehen. Die Arbeitskosten dürfen nicht ins Uferlose steigen. Sonst droht das Land im schlimmsten Fall tatsächlich zu einem Industriemuseum zu werden, in dem junge Menschen stillgelegte Fabriken besuchen können – und sich erklären lassen, wie dort einmal Wohlstand erwirtschaftet wurde.
Gerhard Schröder hat Deutschland einst mit der Agenda 2010 wieder fit gemacht. Davon hat Angela Merkel stark profitiert. Schröder hatte den nötigen Mut aber erst in der tiefsten Krise aufgebracht.
Und Merz? Er hat es aus Angst, seinen Sieg zu gefährden, im Wahlkampf versäumt, sich Legitimation für Reformen etwa bei der Rente zu holen. Stattdessen hat er den Eindruck erweckt, Verschärfungen beim Bürgergeld und wirksamere Kontrolle in der Flüchtlingspolitik reichten aus. In beiden Fällen sind Veränderungen richtig. Nur: Dadurch lösen sich die weit größeren demografischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes nicht in Luft auf. Dass Reformen allen – auch und gerade der gesellschaftlichen Mitte – etwas abverlangen werden, ist eine unbequeme Erkenntnis. Wahr ist es trotzdem.
Merz reicht es womöglich aus, als derjenige in die Geschichtsbücher einzugehen, der Deutschland als Außenkanzler wieder zu einem wichtigeren Spieler in Europa und der Welt gemacht hat. Für das Land ist das nicht genug. Deutschland braucht auch einen Innenkanzler.