Auf dem Weg zur Datenautobahn

Schnelles Internet wird Zug um Zug Realität. Seit Abschluss der Kooperation mit der Telekom im Mai 2019 sind in der Region Stuttgart 25000 Glasfaseranschlüsse realisiert worden. Bis Jahresende sollen 80000 dazukommen, davon über 18000 im Rems-Murr-Kreis.

Auf dem Weg zur Datenautobahn

Glasfaserausbau in der Backnanger Innenstadt am Ölberg: Das Pflaster erschwert das rasche Vorankommen. Foto: A. Becher

Von Armin Fechter

BACKNANG. Wer sehen will, welcher Aufwand dahintersteckt, wenn die Glasfaserkabel innerorts verlegt werden, kann sich in der Backnanger Innenstadt ein Bild davon machen. Zurzeit ist ein Trupp im Auftrag der Telekom im Bereich Ölberg dabei, den Untergrund für die neuen Leitungen zu öffnen und anschließend wieder zu schließen – ein mühsames und zeitraubendes Unterfangen bei dem Pflaster, das in der Altstadt verlegt ist und das hinterher wieder aussehen soll, als wäre nie etwas gewesen.

Schneller geht es dort, wo es die Arbeiter mit asphaltierten Oberflächen zu tun haben. „Trenching“ nennt sich das neue Ausbauverfahren, bei dem eine spezielle Fräse nur einen schmalen Graben aufschneidet, in den das Rohr für die Glasfaserkabel eingelegt wird. „Das ist acht- bis zehnmal schneller als der klassische Tiefbau“, erläutert Hans-Jürgen Bahde, der Breitbandbeauftragte der Region Stuttgart und Geschäftsführer der Gigabit-Region Stuttgart GmbH. Schon die geringere Breite als beim herkömmlichen Vorgehen mit dem Bagger sorgt für eine Beschleunigung, ebenso die geringere Tiefe, in der das Kabel verlegt wird.

Zeit ist beim Glasfaserausbau ein entscheidender Faktor. Dies nicht nur, weil sich die Gigabit-Region zusammen mit dem Kooperationspartner Telekom zum Ziel gesetzt hat, bis 2022 alle Schulen und bis 2025 alle Gewerbegebiete sowie mindestens 50 Prozent der Privathaushalte mit einem Zugang zu einem Glasfaseranschluss versorgt zu haben – bis 2030 sollen es dann 90 Prozent sein. Unter Zeitdruck steht der Glasfaserausbau vielmehr auch, weil Deutschland im internationalen Vergleich weit hinterherhinkt: In der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) reicht es mit 3,6 Prozent Glasfaseranschlüssen gerade mal für die 32. Stelle unter 37 Ländern.

Homeoffice ist zur neuen Normalität geworden.

Bahde unterstreicht deshalb: „Es gibt noch einiges zu tun.“ Dies auch im Hinblick auf die Coronafolgen: Homeoffice ist in den vergangenen Monaten zur neuen Normalität geworden. Viele Firmen stellen bereits die Weichen, damit das Arbeiten von zu Hause aus künftig standardmäßig betrieben werden kann. Dafür braucht es aber die Datenautobahn. Aber warum hinkt Deutschland bei der modernen Technik so weit hinterher? Bahde: „Wir haben seit Jahrzehnten ein gutes Kupfernetz. Das ist unsere Bürde.“

Allmersbach im Tal als Pilotgemeinde ist da schon weit voraus, wie Gerd Holzwarth, im Landratsamt als Dezernent für den Breitbandausbau zuständig, erklärt. Dort sollen die Arbeiten noch im August abgeschlossen werden. 2300 Haushalte sind dann in der Gemeinde mit Glasfaser erreicht. Die Versorgung für Gewerbegebiete in Backnang und Oppenweiler ist ebenfalls weit vorangekommen.

Wer wann zum Zug kommt, wo zuerst gebaut wird und wo später, das wird jeweils im Herbst entschieden. Zugrunde liegen die Bestandsaufnahmen der auf Landkreisebene gegründeten Breitbandausbau-Zweckverbände. In die Priorisierung fließt auch mit ein, welche Vorstellungen die Telekom von sich aus hat. Mit entscheidend ist ferner, wie eine Kommune sich beteiligen kann, zum Beispiel bei ohnedies laufenden oder projektierten Tiefbauarbeiten. Geprüft wird auch, wo aktuelle Straßenbauarbeiten genutzt werden können, um Rohre einzulegen. Vonseiten der Kommunen könne aber auch, so Projektleiter Helmuth Haag von der Gigabit-Region, ein Interesse bestehen, beispielsweise einen ganz neu hergestellten Gehweg nicht gleich wieder aufzureißen, sondern lieber andere Strecken bevorzugt in Angriff zu nehmen.

Grundsätzlich läuft der Ausbau, wie Bahde erläutert, an drei Linien entlang: Die eine ist der eigenwirtschaftliche Ausbau durch die Telekom, die bestimmte Gebiete als lukrativ einstuft; die zweite ist der Ausbau in wirtschaftlich weniger attraktiven Gebieten in Kooperation mit den Kommunen; und die dritte ist der staatlich geförderte Ausbau in unterversorgten Gebieten, für den die Kommunen mit Zuwendungen von 90 Prozent der Kosten rechnen können.

Beim Ausbau im Rahmen des Förderprogramms hat es allerdings auch schon gehakt. Beschwerden gab es beispielsweise anlässlich eines Besuchs des Bundestagsabgeordneten und Staatssekretärs Christian Lange in Aspach, Unmut über das umständliche und langwierige Förderverfahren äußerten kürzlich auch die Bürgermeister im Oberen Murrtal, die sich zu einem gemeinsamen Projekt zusammengeschlossen haben. Holzwarth beschwichtigt: Pannen in der Kommunikation – vor allem wenn auch noch Beraterfirmen dazwischengeschaltet sind – hätten zu Missverständnissen und Verzögerungen geführt. Aber: „Wir haben jetzt die Stränge aufgelöst.“ Und mit Blick auf Aspach: „Es geht weiter.“

„In Pandemiezeiten extrem wichtig“ sei schnelles Internet auch für Schulen und Krankenhäuser. Förderfähig sind dabei Schulen, die bisher mit Anschlüssen ausgestattet sind, die weniger als 30 Mbit pro Klasse plus 30 Mbit für die Verwaltung hergeben. In der ganzen Region sind das laut Bahde 600 Standorte, darunter auch Privatschulen. Im Rems-Murr-Kreis geht es um 184 Standorte, von denen laut Holzwarth allerdings rund 100 herausfallen, weil sie bereits so gut versorgt sind, dass sie über der Grenze liegen, vor allem kleinere Schulen. 51 sind bereits in Anträgen der Kommunen erfasst, und die übrigen will der Zweckverband noch in die Förderung gepackt kriegen. Parallel sollen auch die vorhandenen Anschlüsse noch einmal überprüft werden.

Ein Hindernis für den raschen Ausbau sieht Bahde darin, dass in Deutschland die Kabel im Boden verlegt werden sollen, während in anderen Ländern oberirdische Lösungen gang und gäbe seien. Das macht sich besonders bei abgelegenen kleinen Weilern bemerkbar, von denen es im Kreis 2100 gibt, allein in Alfdorf 600. Wenn aber beispielsweise Telefon- und Stromleitungen über Masten verlaufen, tauge dies, so Holzwarth, auch für das Glasfaserkabel.

„Wir sind nicht auf dem falschen Weg“, zieht Bahde ein Zwischenresümee. Das zeige allein schon die Tatsache, dass das Kooperationsmodell der Region Stuttgart in den Regionen Frankfurt/Rhein-Main und Heilbronn/Franken kopiert werde: „Die seriöseste Form des Neides.“ Zudem war der Chef der Gigabit-Region schon zweimal in Brüssel, um das Konzept vor der EU-Kommission vorzustellen.

140 Kilometer Glasfaserstrecke

Seit Bestehen der Gigabit-Kooperation wurden in der Region 1300 Kilometer Glasfaser verlegt, 140 Kilometer im Kreis. 40 von insgesamt 300 in der Region geplanten Netzverteilern wurden aufgestellt.

Im Rems-Murr-Kreis werden bis Jahresende 16700 Privathaushalte und 1600 Unternehmen erreicht.

Baden-Württemberg liegt bei Glasfaserausbau mit einem Anteil von 4,2 Prozent auf Platz zwölf in Deutschland und ist damit im Vergleich das schlechteste Flächenland. In der Region liegt der Anteil bei 5 Prozent (Vorjahr: 2,7 Prozent), im Rems-Murr-Kreis wegen der ländlichen Gebiete bei 1 Prozent, in Backnang bei 2 Prozent.