Auf leisen Sohlen

Eine Werkstatt und die Migration: Die Union entscheidet sich für Schlussstrich und Schulterschluss

Von Wolfgang Molitor

Die CDU nennt es Werkstattgespräch. Sie hätte es auch Hörsaalgespräch nennen können. Oder eine Mischung aus beidem. Aber dem handfesten Gefühl, in vier Arbeitsgruppen ganz nah bei den Problemen zu sein, sich sozusagen mit Hammer und Schraubenzieher am leidigen Migrationsthema abzuarbeiten, auf dass etwas Neues, Besseres entstehen möge, hat Annegret Kramp-Karrenbauer den Vorzug vor professoralen Gedankensprüngen gegeben. Werkstatt, das steht fürs Zupacken.

Dass die bis vor Kurzem für die politische Endabnahme zuständige Werkstatt-Meisterin ihren Spind geräumt hat und gar nicht mehr zu den Partei-Beratungen über Migration, Sicherheit und Integration eingeladen wurde, ist nicht nur optisch der Nachweis, dass sich die Union auf leisen Sohlen von Angela Merkel löst. Ein gutes Stück Vergangenheitsbewältigung, ein Hauch unvermeidliche Selbstkritik, eine Spur genervte Endabrechnung – von allem will sich die Partei nicht zu viel zumuten. Schließlich soll der Blick nach vorne gehen, soll Rechtfertigung und Handlungsfähigkeit in Einklang bringen. Schlussstrich und Schulterschluss, darauf soll’s hinauslaufen.

Es geht folglich um gemeinsame Handlungsempfehlungen an Parlament und Bundesregierung, um eine neue politische Selbstbestimmung, um jenen Schritt vom „Wir schaffen das“ zum „Wir haben verstanden“, ohne den es dauerhaft keine Schadenbegrenzung geben kann. Also bemühen sich CDU und CSU mit neuem Spitzenpersonal, einen schmerzfreien Spagat einzuüben, der beide Schwesternparteien mit der nötigen Elastizität verbindet statt trennt.

Während die SPD ihre teure Liebe zu sozialstaatlichen Füllhörnern als großkoalitionäres Unterscheidungsmerkmal wiederentdeckt, versucht die Union, das Thema innere Sicherheit in Einklang auch mit dem Zustrom und der Integration von vielen und vielem Fremden erfolgreich neu zu markieren. Das Signal für einen starken Staat, das Bayerns Innen­minister Joachim Herrmann fordert, muss auch von Annegret Kramp-Karrenbauer kommen. Die CDU wird deutlicher machen müssen als bisher, dass sie im eigenen Land durchzugreifen versteht, wenn – mehr jedenfalls als von vielen wahrgenommen – auch beim Thema Migration mehr Recht und Ordnung herrschen sollen, nicht zuletzt durch eine nachweisbar funktionierende Kontrolle. Es sei für die Bürger eine wesentliche emotionale Frage, wie stark das Vertrauen in den Staat und die Demokratie sei, sagt Herrmann.

Erste Akzente hat das „Werkstattgespräch“ gesetzt. Der Ruf nach beschleunigten Gerichtsverfahren in Asyl- und Ausländersachen gehört ebenso dazu wie eine konsequentere Bestrafung bei Fehlverhalten im Asylverfahren und mehr Befugnisse der Bundespolizei im Grenz- und Aufenthaltsrecht. Überfällige Schritte allesamt. Sicher: Der CSU geht es auch mit Markus Söder vorrangig um die kulturelle Identität des Landes. Und die CDU setzt auch mit Annegret Kramp-Karrenbauer weiter auf europäische Lösungen, den „zweiten Schutzmantel“. Diese vieltönige Bandbreite unter einem dichten Unions-Dach – das jedenfalls zeigt sich abseits der fachlichen Frontbegradigung bei diesem „Werkstattgespräch“ – wollen beide Parteien ausbauen.

Kramp-Karrenbauer hat während der beiden Tage nicht zum ersten Mal deutlich gemacht, nicht als Merkel-Kopie in die CDU-Geschichte eingehen zu wollen. „So etwas wie 2015“ dürfe sich nicht noch mal wiederholen, gab sie am Montag zu Protokoll – ohne Schuldzuweisung. Merkel wird es vernommen haben. Widerspruchslos.

wolfgang.molitor@stuttgarter-nachrichten.de