Debatte um Booster - Ist ein dritter Piks nötig?

Von Von Ulrike von Leszczynski, dpa

dpa Berlin. Dass ein Teil der Immunantwort nach zwei Corona-Impfungen mit der Zeit nachlässt, ist kein Geheimnis. Doch brauchen wir bald Auffrischungsimpfungen, wie Impfstoffhersteller nun raten? Die Wissenschaft hat ihre eigene Meinung dazu.

Debatte um Booster - Ist ein dritter Piks nötig?

Eine Klinik-Mitarbeiterin zieht den Covid-19 Impfstoff von Biontech/Pfizer für eine Impfung auf eine Spritze. Foto: Sven Hoppe/dpa

Sind in der Corona-Pandemie bald Auffrischungsimpfungen nötig? Die Einschätzung der Impfstoffhersteller Pfizer und Biontech, dass eine zeitnahe dritte Dosis notwendig ist, stieß am Freitag auf geteiltes Echo. „Es ist im Moment zu früh zu bestätigen, ob und wann eine Booster-Dosis bei Corona-Impfstoffen nötig sein wird“, antwortete die Europäische Arzneimittelagentur Ema auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Auch Forschern und der Politik in Deutschland fehlt noch eine ausreichende Datengrundlage für Auffrischungsimpfungen. Bisher wird sie für Hochbetagte und Immungeschwächte als besonders gefährdete Risikogruppen diskutiert - aber noch nicht für alle.

Das sagt der Hersteller

Die Impfstoffhersteller Pfizer und Biontech hatten am frühen Freitagmorgen deutscher Zeit gemeinsam mitgeteilt, dass sie von einem Rückgang der Schutzwirkung ihres Coronavirus-Vakzins ein halbes Jahr nach der zweiten Impfung ausgehen. Grundlage seien unten anderem vom israelischen Gesundheitsministerium aus der praktischen Anwendung erhobenen Daten. Auf dieser Basis sei es wahrscheinlich, „dass eine dritte Dosis innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach der vollständigen Impfung erforderlich sein wird“.

Bei ihrer laufenden Studie zu einer Booster-Impfung seien „ermutigende Daten“ zu beobachten. Bei 10 000 Teilnehmern, von denen die eine Hälfte den Impfstoff erhalte und die andere ein Placebo, sei die Zahl der Antikörper bei den Geimpften um das Fünf- bis Zehnfache höher als nach den ersten beiden Impfungen.

Zurückhaltende Experten

Für den Erlanger Infektionsimmunologen Christian Bogdan gibt es momentan allerdings keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz für die Aussage, dass eine dritte Impfung innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach abgeschlossener Grundimmunisierung notwendig werden könnte. Es sei zum Beispiel völlig normal, dass mit zunehmender Zeit nach einer vollständigen Grundimmunisierung die Serumspiegel der Antikörper gegen das Zielantigen der Impfung abnähmen, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Daraus kann nicht automatisch ein Verlust der klinischen Schutzwirkung abgeleitet werden.“

Auch für Leif Erik Sander, Infektionsimmunologe an der Berliner Charité, sieht in Auffrischungsimpfungen noch kein Allheilmittel. „Wir sollten uns darauf fokussieren, dass wir unsere Impfquoten hochbekommen“, sagte er. Das könne einen Schutz geben, der Booster nicht zeitnah nötig werden ließe - abgesehen von Bevölkerungsgruppen mit einem sehr hohen Infektionsrisiko. Für alle anderen könne man wahrscheinlich abwarten, wie viele Durchbruchsinfektionen es nach zwei Impfungen wirklich gebe und wie tolerierbar das sei. „Das ist eine politische Entscheidung.“

Die US-Gesundheitsbehörden machten kurz nach dem Statement von Pfizer und Biontech deutlich, dass Amerikaner, die vollständig geimpft seien, derzeit keine Auffrischungsimpfung benötigten. Die Behörden untersuchten diese Frage, verließen sich dabei aber nicht ausschließlich auf Daten von Pharmafirmen.

Das plant die Politik

Bund und Länder bereiten sich nach Angaben der Bundesregierung auf Auffrischungsimpfungen gegen Corona vor. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hätten über dieses Thema bereits gesprochen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag. Doch auch dem Bundesgesundheitsministerium reicht die Datenlage zur Empfehlung einer dritten Impfung noch nicht aus. Booster würden aber aller Wahrscheinlichkeit nach nötig sein. „Wir warten jetzt noch die Daten, die vorgelegt werden, ab, und entsprechend wird auch eine Empfehlung seitens der Ständigen Impfkommission dazu erfolgen“, hieß es. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte bereits zuvor grundsätzlich deutlich gemacht, dass bei Auffrischungsimpfungen als erstes wieder mobile Teams zu den besonders gefährdeten Pflegeheimbewohnern gehen sollten.

Die wirtschaftliche Komponente

Für Pfizer und Biontech ist ihr Corona-Impfstoff ein Milliardengeschäft. Im ersten Quartal 2021 erreichten die Umsätze von Biontech rund 2,05 Milliarden Euro - mehr als 70 Mal so viel wie im Vorjahreszeitraum (27,7 Mio). Der Anstieg sei vor allem auf die rasche Steigerung der weltweiten Versorgung mit dem Corona-Impfstoff zurückzuführen, hatte das Mainzer Unternehmen im Mai erklärt.

Nun aber einfach zu sagen, der Vorstoß von Biontech und Pfizer sei Humbug und die Pharmabranche wolle nur Geld drucken, das greife zu kurz, sagte Charité-Forscher Sander. Für Wissenschaftler sind alle Erfahrungswerte mit den unterschiedlichen Corona-Impfstoffen erst einmal wertvoll.

Zulassung notwendig?

Der Einsatz von Boostern in der Praxis wäre wohl kein großes Problem. Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts kann die Ständige Impfkommission eine Drittimpfung mit einem zugelassenen Impfstoff ohne explizite Änderung anregen. Voraussetzung seien entsprechende Daten zum Nachlassen der Impfwirksamkeit oder einer generell schlechteren Wirksamkeit bei bestimmten Gruppen. Impfstoffe, die jenseits der bisherigen Zulassungen auf neue Varianten zugeschnitten würden, müssten aber weiterhin von der Ema grünes Licht bekommen. Nach Einschätzung von Immunologe Christian Bogdan wirkt auch das Vakzin von Biontech und Pfizer bisher aber gut gegen die Delta-Virusvariante.

© dpa-infocom, dpa:210709-99-315559/7