Aufgeben ist keine Option

Sommerreportage: 24-Stunden-Wanderung auf dem Landschaftserlebnisweg ’sÄpple rund um die Backnanger Bucht

Der Landschaftserlebnisweg ’sÄpple rund um Backnang ist herrlich. Mit über 84 Kilometern aber leider auch ein wenig lang. Trotzdem haben sich am Wochenende 14 Wanderer vorgenommen, die ganze Strecke auf einen Rutsch abzulaufen. Und zwar innerhalb von 24 Stunden. Einer der Wandersleut ist BKZ-Redakteur Matthias Nothstein, der über die Schönheiten des Weges und die Freuden und Leiden der Mitstreiter berichtet.

Aufgeben ist keine Option

BKZ-Redakteur Matthias Nothstein erklärt Mitläuferin Heike die Funktionsweise der Lambachpumpe. Und zwar morgens um 3 Uhr mitten im Wald.

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Das Startfoto auf dem Parkplatz des Burgstaller Bahnhofs ist obligatorisch. 14 Wanderer haben sich auf Initiative von Lothar am Samstag um 10 Uhr eingefunden, um ’sÄpple zu erwandern. Und das bereits zum dritten Mal. Alle sind wohlgemut, und trotzdem frage ich mich, wie viele der Wanderer ich nach 24 Stunden am Ende der Wanderung wohl wieder auf dem Parkplatz sehen werde? Leichtsinnig gebe ich das Motto aus: „Aufgeben ist keine Option.“ Später werde ich noch bereuen, solch große Töne gespuckt zu haben.

Die ersten Kilometer nach dem Aufbruch sind perfekt, was in erster Linie daran liegt, dass noch keiner Blasen hat. Das wird sich bald ändern. Zudem ist das Wetter spitze. Die Sonne scheint, aber ohne Mörderhitze. Der Weg führt recht schnell zu einer der schönsten Passagen der Wanderung ins idyllische Wüstenbachtal. Um den Steinbruch bei Zwingelhausen herum geht’s nach Kleinaspach, wo nach 13 Kilometern die erste Rast bei einer privat organisierten Verpflegungsstation geplant ist. Bei Butterbrezeln, Wassermelone, Äpfeln und Studentenfutter kommt verbrauchte Energie wieder zurück. Aber ab jetzt wird es hügelig. Über die Weinberge vorbei am Flugplatz Völkleshofen geht es nach Altersberg, wo viele bei einem kurzen Stopp im Gasthaus Jägerhaus auf die wohltuende Wirkung einer Hopfenkaltschale setzen. Lange ausruhen geht aber nicht, denn der Zeitplan ist straff. Immer wieder führt der Weg zu markanten Aussichtspunkten. Das ist das Markenzeichen des Landschaftserlebniswegs: Ständig geht es hoch und runter, aber immer durch Streuobstwiesen, Weinberge oder Wälder. Und nie, wirklich nie auf dem kürzesten Weg von A nach B. Deshalb summiert sich die Strecke am Ende auf über 84 Kilometer.

Insgeheim habe ich damit gerechnet, am Tag des Andrea-Berg-Konzerts im Raum Aspach Heerscharen an Schlagerfans zu treffen. Doch auf dem Äpple ist von ihnen keine Spur zu sehen. Dafür nerven mich die wummernden Bässe aus dem Fautenhau seit Stunden. Nach der nächsten Rast am Rietenauer Brunnen geht es über die Heppseen in Richtung Schiffrain. Jetzt wummern die Bässe aus dem Rohrbachtal, wo die Handballer des HC Oppenweiler ihre Sporttage veranstalten. 50 Meter vor dem Festzelt biegt das Äpple links in den Wald ab. Ich bin mir sicher, das muss ein Fehler auf der Karte sein. Und auch meine Mitwanderer machen auf mich den Eindruck, als würden sie nach inzwischen zehn Stunden Laufen jetzt lieber auf den Bierbänken Platz nehmen.

Doch Lothar ist unbestechlich. Und er kennt den Weg genau. Und der führt übers Wilhelmsheim und den Reichenberg zum Einhorn in Oppenweiler. Dort ist das Abendessen eingeplant. Eine Stunde Pause, die längste des Tages. Inhaber Toni Wahl ist beeindruckt von der Leistung seiner transpirierenden Gäste, die er sicherheitshalber im Innenhof platziert hat. Eine gute Entscheidung. Anerkennend kündigt der Wirt an: „Der Espresso geht aufs Haus.“ Das Kaffeegetränk gegen 22 Uhr ist auch dringend nötig. Von Strecke und Zeit ist erst die Hälfte geschafft, aber die Akkus einiger Akteure nähern sich bereits bedenklich der Reserve. Obwohl die allermeisten die Tour schon von der Premiere und der Wiederholung im vergangenen Jahr kennen. Das kann eine zähe Nacht werden. Zumal erste Unkenrufe laut werden, dass es wohl regnen wird.

Nachdem alle Wasserflaschen wieder gefüllt sind, geht es gestärkt in die Nacht hinaus. Mit dabei ist jetzt auch Heike, sodass unsere Gruppe entgegen der Erfahrungen der vergangenen Jahre jetzt sogar wächst. Während aus der Ferne das Feuerwerk des Bergkonzerts grummelt, führt der Weg in dunkler Nacht über Ober-, Mittel- und Unterbrüden nach Lippoldsweiler. Und eigentlich über den Ebersberg. Doch das nächste Ziel ist s’Caféle von Hannelore Heller in Däfern. Sie hat sich bereit erklärt, die Verpflegung der Gruppe um 1.30 Uhr zu stemmen. Weil wir etwas hinter dem Zeitplan herhinken, beschließt Lothar: „Wir können die Frau, die extra wegen uns aufgeblieben ist, nicht warten lassen.“ So führt der Weg direkt nach Däfern. Ein doppelter Kaffee zwei Stunden nach Mitternacht macht mich wieder etwas munter, aber die Lust am Weiterlaufen sinkt, von Freude ist jetzt keine Spur mehr. Ich beneide ein wenig Anita, Monika, Lea und Andreas, die hier planmäßig in der Nähe ihres Wohnorts aufhören. Die Bewunderung der Gruppe gilt vor allem der 16-jährigen Lea, die 60 Kilometer durchgehalten hat.

Zwei Kaffee zwei Stunden nach Mitternacht machen wieder munter

So brechen wir nun zu elft auf in die Vollmondnacht. Der Weg führt etwas zurück in Richtung Ebersberg, bevor wir wieder auf die Originalstrecke stoßen. Stirnlampen erleuchten die Waldwege in Richtung Allmersbach, es ist mit fast drei Stunden die längste Etappe. Ausgerechnet jetzt fängt der Regen an. Mehr noch: Gewitterblitze zucken durch die Nacht und erleuchten den Wald taghell. Eigentlich sollte jetzt niemand im Freien unterwegs sein. Doch von einem Unterstand ist weit und breit keine Spur zu sehen. Die Laune rutscht in den Keller. Die Kräfte gehen aus, Schuhe und Socken sind nass. Die Blasen lassen sich jetzt nicht mehr verleugnen. Erste Zweifel kommen auf. „Aufgeben ist keine Option“, bekomme ich zu hören. Ansonsten wird es ruhig in der Gruppe. Die Gespräche werden weniger, meistens drehen sie sich um die korrekte Anwendung von Blasenpflastern. Es zünden nicht einmal die Witze über den Wolf, der in der Nähe von Rudersberg – also ums Eck – gesichtet worden sein soll. Als ein Unterstand fast schon nicht mehr nötig ist, erreicht die Gruppe das Heutensbacher Schützenhaus. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Das Ende der Tour noch nicht absehbar. Im Geiste gehe ich die Strecke durch: Allmersbach, Horbach, Waldrems, Maubach. Es ist noch ellenweit. Aber in Maubach erwartet uns Lothars Frau zum Frühstück. Vielleicht hilft das. Doch der Lichtblick wird durch einen Regenguss in Waldrems nicht unbedingt befeuert. Ich habe keine Lust mehr und verkünde, auszusteigen. „Aufgeben ist keine Option“, schallt es mir mehrstimmig entgegen. Mit letzter Kraft schleppe ich mich an den Frühstückstisch und ziehe Schuhe und Socken aus. Zu anderen Zeiten würde ich angesichts der klimatorischen Auswirkungen des Hauses verwiesen werden. Doch davon sind Gastgeber Lothar und meine Mitwanderer weit entfernt. Im Gegenteil. In einer gemeinsamen Aktion werden vier Blasenpflaster der Kategorie groß, größer, noch größer auf dem wunden Geläuf verteilt. Und nach vier Tassen Kaffee und zwei Wurstbrötchen geht es auf die letzte Etappe nach Erbstetten übers Freibad ins Buchenbachtal. „Kannst du die Schönheit der Landschaft genießen?“, fragt mich einer. Welch Sarkasmus. Jeder Schritt macht Meldung ins Schmerzzentrum, und die Kilometer ziehen sich. Doch dann, nach exakt 24 Stunden, ist das Ortsschild von Burgstall erreicht. Und kurz darauf der Parkplatz. Alle elf Wanderer haben es geschafft. Die GPS-Uhren schwanken in ihren Angaben zwischen 86 und 88 Kilometern. Beim Abschied haben alles es eilig, heimzukommen. Die Badewanne ruft. Zum Abschied bekomme ich mehrmals zu hören: „Aufgeben ist keine Option.“

Aufgeben ist keine Option

Spaß? Nach durchwanderter Nacht morgens um 6 Uhr im Regen. Ist das eine Frage? Fotos: privat

Info
’sÄpple

Der Landschaftserlebnisweg ’sÄpple führt als Rundwanderweg auf einer Länge von 84 Kilometern rund um Backnang. Das Markierungszeichen ist eine stilisierte Apfelblüte, wobei zum Teil ein einzelnes farblich abgesetztes Blütenblatt die Wegrichtung markiert.

Der Weg wurde 2016 eröffnet und führt großteils in Halbhöhenlage durch die Gemeinden Backnang, Allmersbach im Tal, Weissach im Tal, Auenwald, Oppenweiler, Affalterbach, Aspach, Kirchberg und Burgstetten. Dabei sind auf der gesamten Strecke etwa 2000 Meter Höhenunterschied zu überwinden.