Mercedes-Rennsport

Aufstieg unterm Hakenkreuz: Wie aus der Turbo-Gurke der Silberpfeil wurde

Vor 90 Jahren gewann Mercedes-Benz erstmals die damals wichtigste Grand-Prix-Serie. Einzig die Auto Union war Konkurrent. Dabei profitierten die deutschen Hersteller vom NS-Regime.

Aufstieg unterm Hakenkreuz: Wie aus der Turbo-Gurke der Silberpfeil wurde

Silberpfeil-Fahrer Rudolf Caracciola

Von Peter Stolterfoht

Um der Legendenbildung die persönliche Krone aufzusetzen, wiederholte Alfred Neubauer in seinen Memoiren noch einmal, was er davor schon zur Entstehungsgeschichte des Namens „Silberpfeil“ gesagt hatte. Die Version des legendären Mercedes-Rennsportleiters lautet so: Weil seine Rennwagen das damals zulässige Maximalgewicht von jeweils 750 Kilogramm knapp überschritten hätten, sei man 1934 in der Nacht vor dem Rennen auf dem Nürburgring auf die Idee gekommen, die weiße Lackierung entfernen zu lassen. Was vom damaligen Mercedes- Siegfahrer Manfred von Brauchitsch so auch wiederholt bestätigt worden war.

Gegen die Erklärung Neubauers, dass Silber bei Mercedes auf diese Weise farbtonangebend geworden ist, spricht: bei besagtem Rennen habe keine Gewichtsbeschränkung gegolten. So argumentieren die Experten, die Neubauers Silberpfeil-Erzählung bezweifeln. Von ihnen wird außerdem ins Feld geführt, dass der Begriff bereits 1932 vom Radioreporter Paul Laven verwendet worden sei – und zwar bei der Übertragung von der Berliner Avus-Strecke, um den siegreichen Mercedes SSKL mit von Brauchitsch am Steuer zu beschreiben. Was zweifellos einen Aufstieg für den zuvor vom Publikum als „Turbo-Gurke“ bezeichneten Wagen bedeutet hat.

Nazis sehen Rennsport als Projektionsfläche

Wie auch immer der Begriff „Silberpfeil“ entstanden ist, er wurde vom Mercedes jedenfalls dankend angenommen und bis heute gepflegt. Doch exklusiv hatten die Stuttgarter die Rennwagenbezeichnung anfangs nicht. Der „Silberpfeil“ galt im NS-Staat nämlich als Sammelbegriff für alle unter dem Hakenkreuz fahrenden deutschen Rennwagen; und damit auch für die ebenfalls silbernen Fahrzeuge der aufstrebenden Auto Union aus Sachsen, die aus dem Zusammenschluss von Audi, DKV, Horch und Wanderer entstanden war. Einen Stuttgarter-Bezug gab es dazu. Entstanden die Rennwagen der Auto Union doch nach den Plänen des Konstruktionsbüros von Ferdinand Porsche.

Die neuen Machthaber erkannten im Motorsport früh eine ideale Projektionsfläche, um ihr nationalistisches Gedankengut unters Volk zu bringen und dort zu verankern. In keinem anderen Sport kann die Sage von der Überlegenheit des todesmutigen deutschen Mannes und der deutschen Technik so pathetisch erzählt werden. Das Problem: mit Beginn der Nazidiktatur dominierte noch Italien mit Alfa Romeo das Geschehen. Das musste sich nach Ansicht des autobegeisterten Adolf Hitler schnell ändern – mit Blick auf die Europameisterschaft, die 1935 nach zweijähriger Pause als Königsserie des Autorennsports wieder ausgefahren werden sollte.

Ein deutscher Gesamtsieg, nach zwei italienischen Erfolgen in den Jahren 1931 und 1932, wurde zum Staatsziel ausgerufen. Und um dieses zu erreichen, stellten die Machthaber Mercedes und der Auto Union Millionensummen zur Verfügung. Eine Anschubfinanzierung, um Deutschland zum weltweit führenden Autoproduzenten zu machen. Eine führende Rolle im Rennsport sollte diese Ambitionen untermauern. Daneben waren die Intensivierung des Autobahnbaus und der in Aussicht gestellte Volkswagen weitere Begleitmaßnahmen

Während der Volkswagen erst nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur in Serie geht, stellen sich die Rennsporterfolge so früh wie von den Machthabern geplant ein. 1935 gewinnt Rudolf Caracciola im Mercedes W25 den Grand-Prix-Europameistertitel, die Entsprechung zur heutigen Formel 1. Dies gelingt „Karratsch“ noch zwei weitere Male (1937, 1938). Der weltoffene Caracciola, der einer Hoteliersfamilie aus Remagen am Rhein entstammt, passt aber nicht so recht zur Nazi-Ideologie. Das hat auch mit den italienischen Vorfahren zu tun, aber noch mehr mit dem Wohnort, der in der Schweiz liegt. Und den wird Caracciola auch auf Drängen Hitlers hin nicht verlassen, um „heim ins Reich“ zu kommen.

Ganz anders sieht das beim damaligen Toppiloten der Auto Union aus. Wenn sich die Nazis neben den besten Autos auch noch die ihrer Meinung nach perfekten Rennfahrer hätten zusammenbauen lassen können, sie hätten alle ausgesehen wie Bernd Rosemeyer. Mit den blonden Haaren und den blauen Augen entspricht er schon auf den ersten Blick dem braunen Idealbild vom arischen Helden. Und dann gewinnt der auch noch 1936 die wichtigste Grand-Prix-Serie und wird Europameister.

Danach wird Rosemeyer in Deutschland zu einer Art Übermenschen stilisiert. Dieser Aufgabe kommen die staatlich gesteuerte Presse und ihre linientreuen Schriftleiter (Nazi-Deutsch für Redakteure) mit täglich erscheinenden reich bebilderten Artikeln über den Staatsliebling eifrig nach. Und der Staatsapparat macht sich die Starinszenierung zunutze und Rosemeyer zum Obersturmführer, um so das schlechte Image der SS zu verbessern. Der Rummel um Rosemeyer wird noch einmal größer, nachdem er die berühmte Kunst- und Langstreckenfliegerin Elly Beinhorn heiratet.

Tödliche Rekordjagd

Auf dem Höhepunkt endet diese Karriere. Beim Versuch, den Geschwindigkeitsweltrekord auf der Autobahn zwischen Darmstadt und Frankfurt zu brechen, verunglückt Bernd Rosemeyer tödlich. Den auf knapp 430 Stundenkilometer beschleunigten Wagen erfasst ein Böe – er überschlägt sich. Dabei wird der damals 28-Jährige aus dem Wagen geschleudert und stirbt. Für die Nazis der klassische Fall von Heldentod, der mit einem Staatsbegräbnis zelebriert wird, bei dem Adolf Hitler die Trauerrede hält.

Überlebt hat Mercedes diese Zeit. Und die Erinnerung hält der Konzern allein schon mit den Silberpfeilen in der Formel 1 weiter wach. Zu dieser Geschichte gehören aber nicht nur die Erfolge, sondern auch der Kontext, in denen sie einst entstanden sind. Exemplarisch für die duckmäuserische Niedertracht eines Konzerns in der NS-Zeit steht die Entscheidung der Auto Union, den als Ersatz für Bernd Rosemeyer verpflichteten Hans Stuck gleich wieder aus dem Team zu werfen, weil der mit der „halbjüdischen“ Tennisspielerin, der späteren Sportreporterin Paula von Reznicek, verheiratet ist. Auf Staatsgeheiß wird die Ausbootung aber rückgängig gemacht, allein aus der Sorge heraus, dass dies Unmut unter den vielen deutschen Motorsportfans hervorrufen könnte.