Aus für Misteln auf der Streuobstwiese

Gemeinde Weissach kann erstmals ein größeres privates Gelände von der Plage befreien – Experte Seiter warnt eindringlich

Die immergrüne Mistel, um die sich viele Geschichten und Legenden ranken, ist zur Plage geworden: Landauf, landab hat sich die Pflanze, die ihrem Wirtsbaum Wasser und Nährstoffe entzieht, in den Beständen eingenistet. Die Gemeinde Weissach im Tal hat dem Schmarotzer den Kampf angesagt und jetzt erstmals gemeinsam mit einem privaten Eigentümer radikal abgeholzt.

Aus für Misteln auf der Streuobstwiese

Innerhalb weniger Jahre wird aus einem Keimling ein stattlicher Busch, wie Ingo Seiter zeigt. Die Pflanze schädigt ihren Wirtsbaum. Archivfotos/J. Fiedler

Von Armin Fechter

WEISSACH IM TAL. Für Bürgermeister Ian Schölzel handelt es sich um ein Vorzeigeprojekt, wie er neulich im Gemeinderat sagte. Nach vielen Jahren sei es jetzt gelungen, ein größeres zusammenhängendes privates Gebiet zu bearbeiten, auf dem etliche Bäume stark befallen waren.

Die Gemeinde hat dabei mit Ingo Seiter aus Berglen zusammengearbeitet. Der Inhaber eines Ingenieurbüros hat selbst einen Streuobsthof und ist ein ausgewiesener Experte in Sachen Baumschnitt und Streuobstwiesen und damit auch in puncto Misteln. Schon seit Jahren ist er im Auftrag der Gemeinde dahinter her, Streuobstwiesen zu reaktivieren.

Gründliche Baumpflege kommt oft über Jahre zu kurz

Dazu bedarf es in der Regel zunächst einer gründlichen Baumpflege, die oftmals über Jahre zu kurz gekommen ist. Seiter ist bei diesen Aktivitäten vor allem auf Grundstücken unterwegs, die der Gemeinde gehören, so im vergangenen Jahr in der Rufenklinge. Aber die Probleme machen ja nicht vor Grundstücksgrenzen Halt. Vielmehr geht es auch oft genug um private Flächen, auf denen die Bäume von der Mistel befallen sind. Anfangs oft unbemerkt, dauert es nur ein paar Jahre, bis der Keimling, der von Vögeln verbreitet wird, zu einem stattlichen Busch von über einem Meter Durchmesser herangewachsen ist.

Um die Bäume zu schützen und zu erhalten, müssen die Misteln entfernt werden, erklären die Obstbauberater des Landratsamts in einem Merkblatt. Denn die Pflanze, die keine Wurzeln im Boden hat, sondern über ein Saugorgan – ein sogenanntes Haustorium – im Holz des unfreiwilligen Wirts verankert ist, entzieht dem Baum Nährstoffe und Wasser und schädigt ihn so. Wenn dann nichts getan wird, stirbt der Baum bald ab.

Laut Ingo Seiter gibt es mehrere Gründe dafür, dass der Mistelbefall in den vergangenen Jahren so stark zugenommen hat: Die regelmäßige Pflege der Bäume bleibt aus, Streuobstflächen verwildern, das Klima verändert sich und begünstigt das Gedeihen der Mistel, außerdem können auch andere Bäume, beispielsweise Bachbegleitgehölz, zur Ausbreitung beitragen. Misteln seien wie ein Krebsgeschwür, warnt Seiter: „Nach ein paar Jahren sind die überall.“

Was Privatgrundstücke anbelangt, haben die Kommunen, wie Seiter erläutert, keine Handhabe, Eigentümer mit rechtlichen Schritten zur Mistelbekämpfung zu bringen. Dennoch gibt es Möglichkeiten, das Thema anzugehen. So können Kommunen die Eigentümer anschreiben und auf die Problematik hinweisen.

Darüber hinaus setzt der Experte darauf, dass das Land seine Streuobstkonzeption verlängert. Dann stünden Fördergelder zur Verfügung, um ganz gezielt Besitzer mit stark befallenen Flurstücken für den Einstieg in das Programm zu gewinnen. Weiter ist angedacht, im Rahmen des Vereins Schwäbisches Mostviertel ein Mistelprojekt anzustoßen.

Seiter regt auch einen jährlichen Mistelaktionstag an und empfiehlt der Gemeinde, bei der Mistelbekämpfung auf eigenen Grundstücken am Ball zu bleiben und auch entlang der Bachläufe aktiv zu werden.

Wenn dann aber der Experte in Sachen Misteln tatsächlich angreift, dann ist, so Seiter, ein Extremschnitt angesagt, der mit einem normalen Baumpflegeschnitt nichts mehr zu tun hat. Denn der betroffene Ast muss etwa 30 Zentimeter hinter der letzten Mistel abgesägt werden, um die Ausläufer des Gewächses sicher zu erwischen. Sind sogar die Hauptleitäste oder womöglich der Stamm betroffen, bleibt nur eins: die oberirdischen Mistelteile abreißen und anschließend die Wurzelstelle großräumig abraspeln. Solche Stellen müssen dann regelmäßig kontrolliert und die Prozedur muss gegebenenfalls wiederholt werden, erläutert Seiter.

Extremschnitt hat nichts mit normalem Baumschnitt zu tun

Zugleich räumt er ein: Ein Viertel der Bäume überlebt solche radikalen Eingriffe nicht. „Aber“, so Seiter, „ich habe nichts zu verlieren.“ Nichts zu tun, würde den sicheren Tod des Baumes bedeuten.

Seiter räumt aber auch mit dem Ammenmärchen auf, Misteln stünden unter Naturschutz: Dem sei noch nie so gewesen, erklärt er. Misteln dürften sogar ohne jede Einschränkung das ganze Jahr über entfernt werden. Nur wenn jemand die Absicht habe, die Misteln anschließend zu verkaufen, müsse die gewerbliche Nutzung angemeldet werden.

Kommunen sollten, so sein Rat, die am heftigsten betroffenen Gebiete systematisch aufnehmen, die Einwohner regelmäßig aufklären und die Besitzer anschreiben. Zudem solle man versuchen, die Besitzer mithilfe der vorhandenen finanziellen Anreize zur Pflege ihrer Bäume zu bewegen. Überdies sollten alle Bäume, auch schon die jungen, regelmäßig auf Mistelbefall kontrolliert werden.

Aus für Misteln auf der Streuobstwiese

Beim Schneiden bleibt oft nur noch ein Gerippe vom Baum übrig – seine letzte Chance.