Autobranche sucht Zuversicht auf neuer IAA

Von Von Jan Petermann, dpa, und Marco Engemann, dpa-AFX

dpa München. Die Befürchtungen, Corona könnte Autobauer existenziell treffen, waren überzogen. Inzwischen ist die Stimmung wieder besser. Dennoch plagen die Hersteller etliche Probleme, besonders die Chipkrise ist nicht vorbei. Bringt die IAA im neuen Format den ersehnten Schwung?

Autobranche sucht Zuversicht auf neuer IAA

Journalisten und Gäste schauen sich vor Beginn der Automesse IAA Mobility die neuen Modelle an. Foto: Sven Hoppe/dpa/Archivbild

Die globale Autoindustrie hofft bei der neu konzipierten IAA auf ein Durchstarten nach der Pandemie-Zeit. Viele Anbieter zeigten am Montag Fachbesuchern und Medien ihre Neuheiten in München - am Dienstag wird die nun IAA Mobility genannte Ausstellung dann offiziell von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet.

Der Zusatz im Namen soll andeuten, dass sich die Veranstalter vom Autoverband VDA und der Münchner Messegesellschaft umorientiert haben: Statt einer reinen PS-Schau in geschlossenen Hallen soll es eine Mitmach-Messe zum Ausprobieren sein. Aber trotz allgemeiner Corona-Erholung dämpft so manche Entwicklung die Begeisterung.

1. Die Autokonjunktur: Verglichen mit den besonders akuten Krisenmonaten im Frühjahr und Sommer 2020 geht es den meisten Herstellern und Zulieferern mittlerweile deutlich besser. Ausgerechnet jetzt, wo viele Verbraucher und Betriebe wieder die finanzielle Luft zur Bestellung neuer Fahrzeuge haben, hinkt der reale dem potenziellen Absatz jedoch hinterher.

VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sieht zwar eine „weiter positive und starke“ Gesamtkonjunktur, wenn man die Verunsicherung vieler Kunden und die gerissenen Lieferketten vor allem während der ersten Viruswelle des vergangenen Jahres als Vergleich zugrunde legt. Aber die aufgestaute Nachfrage lasse sich nicht so schnell abarbeiten. „Die Lieferzeiten für individuell konfigurierte Neuwagen sind jetzt häufig lang“, sagte er der dpa. „Das meiste, was wir direkt nach Corona noch in den Lagern hatten, ist jetzt auch verkauft.“

Das gilt für verschiedene Länder, aber speziell auch für Deutschland. Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte für den August gerade eher ernüchternde Neuzulassungszahlen gemeldet, bezogen auf den schon schwachen Vorjahresmonat kamen hierzulande zuletzt fast ein Viertel weniger Pkw auf die Straße. Zahlreiche Verbraucher weichen auf - ebenfalls knappere und teure - Gebrauchtwagen aus oder zögern weiter mit der Anschaffung eines Autos.

2. Das hartnäckige Halbleiter-Problem sorgt weiter für Einbußen auf der Produktionsseite. Analysten der Commerzbank stellten fest, dass auch die Zahl der in der Bundesrepublik hergestellten Autos im August gegenüber dem Juli stark absackte: „Offensichtlich bremst der Mangel an Vorprodukten immer stärker.“ Gemeint sind kostspieliger werdende Rohstoffe, aber auch die an vielen Stellen fehlenden Mikrochips. Die Unternehmensberatung PwC beurteilt die Pläne der Autoindustrie angesichts der Halbleiter-Lieferkrise mit großer Skepsis, es sei „keine kurzfristige Erholung der Versorgung zu erwarten“, sagte Autoexperte Tanjeff Schadt.

Pötsch sieht ebenfalls keine rasche Linderung. „Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass wir bis ins erste Halbjahr 2022, vielleicht auch noch weitergehender mit Auswirkungen zu rechnen haben“, meinte er.

Autobauer hatten den künftigen eigenen Bedarf nach dem Wiederanspringen der Nachfrage seit Ende 2020 unterschätzt und Lieferverträge storniert. Die entsprechenden Mengen fehlen jetzt, stattdessen werden oft Abnehmer aus anderen Wirtschaftszweigen vorrangig versorgt. VW-Konzernchef Herbert Diess hatte kürzlich angekündigt, auch Vertragsstrukturen mit Chiplieferanten auf den Prüfstand zu stellen: „In der Regel ist es ja so, dass wir sehr langfristige Verträge haben. Dann müssen wir uns wahrscheinlich direkter mit Halbleiterherstellern abstimmen und auch dort längerfristige Volumenzusagen eingehen.“

BMW-Chef Oliver Zipse ist ebenfalls skeptisch: „Ich denke, dass die grundsätzliche Anspannung in den Lieferketten die nächsten sechs bis zwölf Monate andauern wird.“ Bei Daimler gibt sich Vorstandschef Ola Källenius vorsichtig: „Die Situation ist volatil.“ Er hoffe, dass es im vierten Quartal besser werde. Erst 2023 erwartet er eine deutliche Entspannung.

3. Der E-Boom und seine wunden Punkte: Die Branche kann von Glück sagen, dass der Boom der Elektro- und Hybridfahrzeuge derzeit weiter anhält. Ohne ihn wäre das Geschäft in den vergangenen Wochen noch viel stärker abgerutscht. Laut VDA ist der E-Pkw-Anteil an den Neuzulassungen in Deutschland von mittlerweile 27,6 Prozent ein neuer Bestwert. Aber auch hier sind Elektronikteile dringend nötig.

Bosch-Chef Volkmar Denner rechnet dank der Komponenten für Elektroantriebe nach dem Corona-Knick mit einem ordentlichen Wachstumsschub. Der Umsatz der Autozuliefersparte des Technologiekonzerns soll dieses Jahr um zehn Prozent zulegen.

4. Wie grün sind die „grünen“ Strategien? Genau dies ist ein heftiger Streitpunkt: Nicht alle Autobauer können sich zur Definition eines klaren Ausstiegsdatums für Verbrenner durchringen. So kritisieren Klimaschützer VW, Daimler und BMW dafür, nicht spätestens 2030 Diesel und Benziner auslaufen zu lassen. Volkswagen begründet dies mit regional unterschiedlichen Marktbedingungen. Die Verkehrsexpertin von Greenpeace, Marion Tiemann, hält das für unzureichend - und übergab Diess in München das Dokument für eine vorbereitete Klage, die die Organisation zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) androht.

Bis 2030 will die Kernmarke des VW-Konzerns mehr als 70 Prozent ihrer Fahrzeuge in Europa vollelektrisch betreiben, in Nordamerika und China mindestens 50 Prozent. Diess betont, man tue schon viel - zudem müssten auch andere Sektoren ihren Beitrag zur CO2-Senkung leisten. BMW wies die Argumentationen der Kritiker ebenfalls zurück. Der Nabu schloss sich der Beurteilung von Greenpeace dagegen an - die kommende Bundesregierung müsse nach der Wahl Ende September „ein klares Bekenntnis zum Ende der Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren bis zum Jahr 2030“ abgeben.

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