Backnang kündigt Vertrag mit Regiorad

Nach nicht einmal einem Jahr beschließt der Gemeinderat den Ausstieg aus dem Fahrradverleihsystem. Wegen Vandalismus waren die Räder oft nicht nutzbar und der Anbieter bekam die Probleme nicht in den Griff. So blieben auch die Ausleihzahlen hinter den Erwartungen zurück.

Backnang kündigt Vertrag mit Regiorad

Jürgen Ehrmann vom ADFC bedauert, dass die Regiorad-Station auf der Südseite des Backnanger Bahnhofs bald abgebaut wird. Er fordert, dass das eingesparte Geld trotzdem dem Radverkehr zugutekommt. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Es ist gerade mal zehn Monate her, als das Projekt Regiorad auch in Backnang mit drei Stationen startete. Am Bahnhof, im Biegel und beim beruflichen Schulzentrum können sich Passanten seitdem ein Fahrrad oder ein Pedelec ausleihen. Je nach Tarif kostet das zwischen vier und zwölf Cent pro Minute, für Besitzer der sogenannten Polygocard ist die erste halbe Stunde mit dem Fahrrad beziehungsweise die erste Viertelstunde mit dem E-Bike sogar kostenlos.

Oberbürgermeister Maximilian Friedrich sprach bei der Einweihung im Mai 2022 von einem „wichtigen Baustein der lokalen Mobilitätswende“. Die Leihräder sollten dazu dienen, innerstädtische Wege, etwa vom Bahnhof in die Stadt, schnell und umweltfreundlich zurückzulegen. Aber auch Ausflüge sind mit den Rädern möglich, da diese an jeder der rund 260 Stationen in der Region Stuttgart abgegeben werden können.

Die anfängliche Begeisterung ist weg

Mittlerweile ist die anfängliche Begeisterung aber Ernüchterung gewichen, denn das erste Jahr lief ganz anders, als es sich die Verantwortlichen vorgestellt hatten. Von Beginn an gab es nämlich massive Probleme mit Vandalismus: Unbekannte traten die Räder um, zerstachen die Reifen oder rissen die Ladekabel heraus.

Hinzu kam, dass es der Betreiber des Systems, die Bahn-Tochter DB Connect, trotz vertraglicher Verpflichtung nicht schaffte, defekte Räder rasch auszutauschen oder zu reparieren. Das Unternehmen begründete dies mit Personalmangel und Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen. Das führte dazu, dass etwa an der Station in der Grabenstraße wochenlang überhaupt kein fahrbereites Fahrrad mehr zur Verfügung stand.

So ist es kein Wunder, dass auch die Ausleihzahlen hinter den Erwartungen zurückblieben: Im gesamten Jahr 2022 wurden gerade mal 230 Ausleihen registriert – das ist nicht mal eine Fahrt pro Tag. Gleichzeitig ist das Regiorad-System für die teilnehmenden Kommunen nicht billig. Obwohl die Zahlungen an DB Connect wegen des eingeschränkten Services bereits reduziert wurden, musste die Stadt Backnang im vergangenen Jahr rund 8.000 Euro dafür bezahlen, oder anders ausgedrückt: Jede einzelne Fahrt kostete die Stadt rund 35 Euro.

Stadt nutzt die letzte Chance zum vorzeitigen Ausstieg

Für Maximilian Friedrich steht der Nutzen in keinem Verhältnis zu den Kosten, die dieses Jahr noch einmal auf rund 30.000 Euro gestiegen wären. Deshalb empfahl der Oberbürgermeister dem Gemeinderat am Donnerstagabend den Ausstieg zum 31. Oktober. „Diese Kündigung ist schmerzlich, weil sie uns bei der nachhaltigen Mobilitätswende nach hinten wirft. Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist sie zum derzeitigen Zeitpunkt aber meines Erachtens unumgänglich“, sagte Friedrich. Auch deshalb, weil jetzt die letzte vorzeitige Ausstiegsmöglichkeit ist, ansonsten wäre die Stadt bis Ende 2026 vertraglich gebunden.

Die große Mehrheit des Gemeinderats sah das ähnlich. Lediglich aus der Grünen-Fraktion gab es leisen Protest. „Ich finde es traurig, dass wir vor dem Vandalismus kapitulieren“, sagte Stadträtin Ulrike Sturm, die sich ebenso wie ihr Fraktionschef Willy Härtner und Volker Dyken (Backnanger Demokraten) bei der Abstimmung enthielt. Sie hätte sich gewünscht, dass man dem Verleihsystem noch etwas mehr Zeit gibt.

Dieser Ansicht ist auch Ralf Maier-Geißer, der Gesamtkoordinator für das Regiorad-Projekt. „Ich finde es sehr schade, dass Backnang jetzt aussteigt“, sagt der Verantwortliche im Stuttgarter Rathaus. Denn er ist davon überzeugt, dass das Verleihsystem auch an der Murr noch ein Erfolg geworden wäre. „Viele der Probleme, die wir im vergangenen Jahr hatten, sind inzwischen gelöst“, erklärt Maier-Geißer. So habe DB Connect die offenen Personalstellen mittlerweile besetzt und überdies einen externen Dienstleister ins Boot geholt. Die Zahl der fahrbereiten Räder habe sich dadurch bereits deutlich erhöht und sei nun nicht mehr weit entfernt von den angepeilten 1700 Zweirädern in der Region.

Es könnte auch einfach länger dauern, bis sich das System etabliert

Eine Stichprobe in Backnang scheint den positiven Trend zu bestätigen: So waren gestern sowohl am Bahnhof als auch im Biegel mehrere fahrtüchtige Regioräder verfügbar. Maier-Geißer ist sich deshalb sicher, dass die Ausleihzahlen auch in Backnang gestiegen wären. Denn die Erfahrung habe gezeigt: „In der Regel dauert es zwei bis drei Jahre, bis die Leute die Vorteile des Systems für sich erkennen.“

Dazu wird es nun aber nicht mehr kommen: Bis Ende Oktober werden die drei Radstationen in Backnang wieder abgebaut, zwei geplante auf der Nordseite des Bahnhofs sowie in Maubach werden gar nicht mehr realisiert. Jürgen Ehrmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) bedauert das: „Eigentlich ist Regiorad eine super Sache.“ Allerdings habe er auch gewisses Verständnis für die Entscheidung des Gemeinderats. Wichtig ist für ihn nun aber, dass das gesparte Geld nicht im Haushalt verschwindet, sondern gezielt für die Förderung des Radverkehrs eingesetzt wird. Ehrmann kann sich beispielsweise ein Förderprogramm vorstellen, das Familien bei der Anschaffung eines E-Bikes oder eines Lastenrads finanziell unterstützt.

Oberbürgermeister Friedrich hält sich derweil noch ein Hintertürchen offen. Die Entscheidung für den Ausstieg gelte nur für den Moment, betonte er im Gemeinderat. „Das schließt nicht aus, dass wir bei besseren Rahmenbedingungen das Thema auch wieder aufnehmen können.“

Kommentar
Es fehlt der lange Atem

Von Kornelius Fritz

35 Euro städtischer Zuschuss pro Fahrt mit dem Leihfahrrad: Das klingt absurd. Würde die Stadt allen Regiorad-Kunden ein Taxi spendieren, käme sie günstiger davon. Schaut man allein auf die Zahlen, ist der Ausstieg aus dem System eigentlich die einzig logische Konsequenz.

Aber es lohnt sich, etwas genauer hinzuschauen: Dann erkennt man, dass es für die bescheidenen Ausleihzahlen im ersten Jahr nachvollziehbare Gründe gibt. Weil dem Anbieter DB Connect im vergangenen Jahr das Personal fehlte, standen an den Backnanger Radstationen lange Zeit mehr defekte als fahrtüchtige Räder, zeitweise war die Station in der Stadtmitte sogar komplett verwaist. Dass ein neues Verleihsystem so nicht in Schwung kommen kann, ist eigentlich offensichtlich.

Doch es gibt klare Hinweise, dass sich die Situation verbessert hat. Mit Beginn der warmen Jahreszeit könnte Regiorad nun auch in Backnang Fahrt aufnehmen. Das verhindert nun aber der Gemeinderat. Hoffentlich zeigt die Stadt bei anderen Klimaschutzprojekten mehr Ausdauer, sonst wird die Mobilitätswende in Backnang bereits auf den ersten Metern ausgebremst.

k.fritz@bkz.de

Was machen die anderen?

Aussteiger Backnang ist nicht die einzige Kommune, die von ihrem Kündigungsrecht zum 31. Oktober Gebrauch macht. Im Februar hatte bereits der Marbacher Gemeinderat den Ausstieg beschlossen, auch die Remstalgemeinden Schorndorf, Winterbach und Urbach haben ihre Verträge gekündigt. Weinstadt und Freiberg am Neckar sind bereits im vergangenen Jahr ausgestiegen. Begründet wurde dies jeweils mit zu geringen Ausleihzahlen im Verhältnis zu den Kosten.

Einsteiger Daneben gibt es aber auch Kommunen, die dem Verleihsystem weiterhin die Treue halten oder sogar neu einsteigen wollen. So hat etwa der Stuttgarter Gemeinderat kürzlich einstimmig entschieden, das Regiorad-Projekt weiterzuführen. In Rudersberg und Welzheim sollen dieses Jahr neue Verleihstationen entstehen.