Backnanger Ärzte wollen Versorgungszentrum stemmen

Backnang möchte mit einer Werbekampagne junge Ärzte nach ihrer Ausbildung in den Krankenhäusern in die Stadt locken. Finanzielle Anreize und die Vorteile eines medizinischen Versorgungszentrums sollen die Entscheidung erleichtern. Externe Beratungsfirma lotet das weitere Vorgehen aus.

Backnanger Ärzte wollen Versorgungszentrum stemmen

Die Praxis von Ute und Günther Ulfert betreut sehr viele Patienten. Wenn das Ärztepaar des alten Schlags einst in den Ruhestand treten wird, „dann brauchen wir vier Ärzte, um sie zu ersetzen“, so die drastische Zuspitzung von Wirtschaftsförderer Reiner Gauger. Foto: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. Über 50 Prozent der Hausärzte im Raum Backnang sind über 60 Jahre alt. Dies ist ein Fakt, der den Verantwortlichen in der Ärzteschaft Backnang und der Stadt große Sorge bereitet. Reiner Gauger, der Wirtschaftsförderer der Stadt, hatte es unlängst im Gemeinderat überspitzt formuliert: „Jeden Tag hören Ärzte auf und die Nachfolgefrage ist sehr, sehr schwierig.“

Die Schaffung eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) könnte eine Lösung darstellen. Denn die Gründe, warum sich nur wenige Ärzte nach dem Studium und der Ausbildung im Krankenhaus vorstellen können, eine Hausarztpraxis zu übernehmen, sind vielfältig. So gibt es die Furcht der jungen Leute, sich finanziell zu übernehmen. Zudem hat sich der Zeitgeist geändert. Rund 70 Prozent der medizinischen Hochschulabsolventen sind Frauen, die nicht bereit sind, ihr gesamtes Leben mit einer 100-Prozent-Stelle zuzubringen. Wobei die gängige Hausarztpraxis gerne auch einmal 50, 60 oder mehr Wochenstunden Schaffenskraft erforderlich machen kann. Die Ärztinnen heute wollen laut Gauger jedoch mehr Zeit für sich selbst und für die Familie. Und sie wollen sich mit einer eigenen Praxis nicht für immer und ewig an einen Ort binden, sondern mehr Freiheit.

Genau hier kommt das MVZ ins Spiel. In einem solchen sind die Ärzte angestellt und müssen somit kein eigenes finanzielles Risiko eingehen. Zudem sind Themen wie Teilzeitarbeit oder Urlaub keine großen Hindernisse. Doch wie könnte ein solches MVZ organisiert werden? Jens Steinat, Sprecher der Ärzteschaft Backnang, der eine Hausarztpraxis in Oppenweiler betreibt, beschäftigt sich seit Jahren mit dieser Frage. Dieser Tage haben sich interessierte Kollegen und Vertreter der Stadt zu einem Gedankenaustausch getroffen. Dabei sollte geklärt werden, ob es Interesse an einer solchen Einrichtung gibt. Die Antwort ist eindeutig: Ja. Bei dem Treffen haben zehn Ärzte Bereitschaft gezeigt, sich finanziell an einem MVZ zu beteiligen. Da es verschiedene Unternehmensformen gibt, war auch dies ein wesentliches Thema des Treffens, wobei eine starke Tendenz erkennbar war: Das künftige MVZ soll als eine Genossenschaft der Ärzte geführt werden. Steinat vergleicht das Projekt mit der Notfallpraxis, die auch von den Kollegen gestemmt wird, allerdings in der Rechtsform einer GbR.

Machbarkeitsstudie soll Antworten zu einem ganzen Fragenpaket geben

In den nächsten Monaten wird nun eine externe Beratungsfirma, die auch für den Städte- und Gemeindetag tätig ist, mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Die Berater sollen zudem alle Fragen zu den verschiedenen Organisationsformen, zu den benötigten Genehmigungen und rechtlichen Hürden sowie möglichen Standorten abklopfen. Doch das beste MVZ steht und fällt mit dem Fachkräfteangebot, also mit der Frage, ob es genügend interessierte Nachwuchsärzte gibt, die sich im Raum Backnang engagieren wollen. Gauger sagte, dass er mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der Ärzteschaft in ständigem Kontakt stehe. Nach langem Kampf mit der KV sei es zuletzt gelungen, eine Sonderzulassung für eine 50-Prozent-Stelle für eine Kinderärztin im Mittelbereich Backnang zu erreichen. „Nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, so Gauger.

Zudem würden Gespräche mit dem Investor auf der Oberen Walke laufen im Hinblick auf ein größeres Ärztehaus. Gauger plädierte für eine Werbungsoffensive für Ärzte. Im Großraum Backnang gebe es 2000 Ärzte in Krankenhäusern, im ganzen Ländle 4620 Ärzte an Unikliniken. Gauger: „Wir müssen jene Ärzte ansprechen, die in einem Alter sind, in dem sie eine Entscheidung treffen müssen. Nämlich die, ob sie nach der Studium und der Facharztausbildung im Krankenhaus bleiben oder sich niederlassen.“ Konkret sollte sich die Werbekampagne im Printbereich und in den Social-Media-Kanälen an diejenigen richten, „die in Backnang geboren wurden, die hier verwurzelt oder aufgewachsen sind und die hier Verwandtschaft oder irgendeinen Grund haben, zurückzukehren“. Da der Fachkräftemangel kein Problem ist, das nur im Backnanger Raum auftritt, sondern überall im ländlichen Raum, ist die Konkurrenz groß. Daher sollen auch finanzielle Anreize die Entscheidung erleichtern. Die KV hat zum Beispiel den Segen erteilt, sechs Hausarztsitze mit einem namhaften Betrag für die technische Ausstattung zu unterstützen. Oder wenn ein Arzt einen anderen Mediziner anstellt, bekommt dieser für drei Jahre einen erheblichen Lohnkostenzuschuss. Backnang sollte auch klären, ob in dem einen oder anderen Fall ein Mietzuschuss oder ein günstiges Startdarlehen gewährleistet werden kann. Schließlich würden junge Ärzte in den ersten sechs Monaten so gut wie keine Einnahmen haben, da die ersten Abrechnungen Vorlauf bräuchten. Interessenten müssten zudem beraten werden. Gauger: „Die brauchen einen Kitaplatz, einen Bauplatz, eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz für die Partnerin, da gehört einiges dazu, einen Arzt zu uns zu locken. Wir werden nicht die Einzigen sein. Aber wenn wir nichts tun, werden wir die Einzigen sein, die nichts tun.“

Kommt ein Investorenmodell in Frage?

Mit einem MVZ-Modell in Genossenschaftsform könnte sich Heinz Franke (SPD) anfreunden, nicht aber mit einem solchen in Form eines Investorenmodells, „das ist nicht prickelnd“. Bei Letzterem würden die Verantwortlichen hauptsächlich Wert auf eine möglichst hohe Rendite legen. Dies sieht Steinat genauso, auch er kritisiert solche Auswüchse im Gesundheitswesen. Deshalb wollte er solchen gewinnorientierten Investoren nicht kampflos das Feld überlassen. Gleichzeitig bezweifelt er, dass die Ärzte, wenn sie als Genossen ein MVZ betreiben, viel Gewinn machen werden. „Wir müssen wohl zufrieden sein, wenn sich die Investitionskosten nach ein paar Jahren amortisieren.“

Oberbürgermeister Maximilian Friedrich ergänzte, möglich sei auch die Kooperation von mehreren Ärzten oder ein Modell, bei dem zwei Hauptbeteiligte die Anstellung übernehmen. Im Fokus stehen nicht nur junge Ärzte, sondern auch solche in einem fortgeschrittenen Alter, die nicht mehr zu 100 Prozent arbeiten, aber ihre Erfahrung in Teilzeit weiter einbringen möchten. Denkbar wäre auch, die längst vom Landkreis gegründete MVZ GmbH mit Leben zu füllen. Diesen Schritt hätten die Verantwortlichen aus Rücksicht auf die Ärzteschaft bisher gescheut. Inzwischen gebe es jedoch mehrere mit Hausärzten unterversorgte Bereiche.

Vorhandene Praxen müssen gestärkt werden

Stadträtin Ute Ulfert (CDU) ist selbst Hausärztin. Sie gab zu bedenken, dass es zwar richtig sei, den Neuinteressenten zu helfen: „Aber wir müssen auch die vorhandenen Praxen stärken. Es ist nichts gewonnen, wenn neue Ärzte kommen, aber die vorhandenen Praxen dichtmachen.“ Sie bestätigte, dass der Nachwuchs das unternehmerische Risiko scheue, da vor der ersten Abrechnung sechsstellige Summen für Miete und Mitarbeiter anfallen, „die müssen dann erst einmal abgestottert werden“.

Reiner Gauger bezeichnete es ebenso wie Jens Steinat als großen Fehler, würden alle Ärzte in einem MVZ konzentriert werden und die Teilorte ausbluten. Beide erklärten, es sei ihnen durchaus bewusst, dass vor allem die südlichen Teilorte in einer sehr schwierigen Situation sind. Gerhard Ketterer (CDU) kritisiert, dass im Gesundheitszentrum ein ganzes Stockwerk mit einem Amt „fremdbesetzt“ ist. Man habe es nicht geschafft, das Stockwerk mit medizinischen Disziplinen zu belegen, obwohl das Geze als Ersatz für das weggefallene Kreiskrankenhaus geschaffen wurde. „Es hätte ein Magnet werden sollen für Ärzte und medizinische Einrichtungen. Das ist uns nicht vollständig gelungen.“