Backnanger Marktstraße bekommt Tempo 20 verordnet

Die Fußgängerüberwege vor dem historischen Rathaus und an der Einmündung der Uhlandstraße sollen mit der Umgestaltung entfallen. Der Backnanger Verkehrsausschuss spricht sich mit großer Mehrheit für die Neuerung aus.

Backnanger Marktstraße bekommt Tempo 20 verordnet

Der Zebrastreifen vor dem historischen Rathaus gehört bald der Vergangenheit an. Viele Fußgänger nutzen ihn eh nicht. Foto: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. In der Gerberstraße und im unteren Teil der Eduard-Breuninger Straße ist die Verkehrsgeschwindigkeit vor über einem Jahr auf 20 Kilometer pro Stunde reduziert worden. Und die Erfahrungen, die damit gemacht wurden, sind durchweg gut. Deshalb soll dieses Modell – korrekt heißt es verkehrsberuhigter Geschäftsbereich – auf die Marktstraße ausgeweitet werden. Dies bedeutet nicht nur, die Geschwindigkeit auf 20 Kilometer pro Stunde zu reduzieren, sondern in der Konsequenz müssen auch die Fußgängerüberwege wegfallen. So schreibt es die Straßenverkehrsordnung vor. Im Gegensatz zu einer Spielstraße bedeutet dies aber nicht, dass die Fußgänger „Vorfahrt“ haben. Die Regelung besagt vielmehr, dass die Passanten an jeder beliebigen Stelle die Straße queren können und die Autofahrer wie auch die Fußgänger besondere Rücksicht walten lassen müssen.

Die Leiterin des Rechts- und Ordnungsamts, Gisela Blumer, stellte den Mitgliedern des Verkehrsausschusses die konkreten Planungen vor. Weil es im Bereich der sogenannten Engelkreuzung mehrere Bushaltestellen und komplexe Verkehrsbeziehungen gibt, soll am Anfang der Marktstraße der obere Fußgängerüberweg erhalten bleiben. Deshalb kann der verkehrsberuhigte Bereich erst wenige Meter nach der Kreuzung beginnen. Enden wird er auf der Sulzbacher Brücke, sodass auch der dortige Zebrastreifen erhalten bleibt. Wegfallen werden hingegen die Überwege vorm Rathaus und an der Einmündung Uhlandstraße.

Änderung soll die Aufenthaltsqualitätin diesem Bereich verbessern

Die Motivation zur Umgestaltung geht auf mehrere Aspekte zurück. So erinnert Erster Bürgermeister Stefan Setzer, dass schon 2018 ein Konzept vorgestellt wurde, das eine einheitliche Gestaltung des Bereichs vom Bahnhof bis zur Sulzbacher Brücke vorsah. In dieser Idee sei damals schon die Umgestaltung der Marktstraße in einen verkehrsberuhigten Geschäftsbereich enthalten gewesen. Diese Verkehrsberuhigung bedeutet, dass die Fahrzeuge mit einer angemessenen Geschwindigkeit fahren müssen. So könne die Stadt jetzt schon die Aufenthaltsqualität verbessern, bevor die Straße an sich umgebaut wird. Eine noch stärkere Reduzierung der Geschwindigkeit auf sieben Stundenkilometer (Spielstraße) lässt die Straßenverkehrsordnung nicht zu, „dafür haben wir in diesem Bereich zu viele Fahrzeuge“, so Setzer.

Als weiteres Argument nannte Blumer, dass heute bereits die meisten Fußgänger nicht die Überwege nutzen, sondern kreuz und quer die Straßenseiten wechseln würden. „Die Fußgängerüberwege spielen nicht die große Rolle.“ Eine Voraussetzung für die Ausweisung eines verkehrsberuhigten Geschäftsbereichs ist eine hohe Fußgängerfrequenz. Deshalb ließ die Amtsleiterin diese zählen. Das Ergebnis: Im Bereich des Zebrastreifens auf Höhe des Rathauses waren an einem Werktag innerhalb von eineinhalb Stunden 498 Passanten unterwegs, im unteren Bereich des Totengässles sogar 502. Kriterium erfüllt. Zudem glaubt Blumer, dass die Reduzierung der Geschwindigkeit keine große Einbuße für die Verkehrsteilnehmer darstellt. Im Gegenteil, 85 Prozent der Autofahrer würden heute schon unter 30 Stundenkilometern fahren.

„Zebrastreifen bieten keine absolute Sicherheit.“

Die Umgestaltungsidee fiel bei den Ausschussmitgliedern auf fruchtbaren Boden. Rolf Hettich (CDU) lobte Tempo 20, sah aber Probleme beim Wegfall der Überwege. Fraktionskollegin Sabine Kutteroff räumte ein, Tempo 20 sei bergab gar nicht so einfach einzuhalten. Den Überweg beim Rathaus bezeichnete sie als „nicht so wichtig“. Anders sieht es ihrer Ansicht nach bei der unteren Querungshilfe aus. Kutteroff plädierte dafür, den Bereich früher enden zu lassen, sodass der Zebrastreifen an der Einmündung Uhlandstraße erhalten bleiben kann. „Wenn wir oben in der Marktstraße später anfangen können, dann können wir unten auch früher enden“, so ihre Logik. Siglinde Lohrmann (SPD) lobte die geplante Neuerung alleine schon deshalb, weil ihrer Ansicht nach Fußgängerüberwege eine falsche Sicherheit vorgaukeln. Sie erinnerte an Todesfälle und sagte: „Zebrastreifen bieten keine absolute Sicherheit.“ Auch Blumer verwies auf Studien, wonach Überwege nicht immer das Sicherste seien. Alle Stadträte betonten die Wichtigkeit, dass die Verkehrsteilnehmer mit Schildern und Anzeigetafeln auf die neuen Begebenheiten hingewiesen werden müssen. Blumer kündigte Geschwindigkeitskontrollen an und verwies darauf, dass die Reduzierung um zehn Stundenkilometer sich auch deutlich beim Bremsweg bemerkbar mache.

Lutz-Dietrich Schweizer (CIB) nannte die Neuerung „sinnvoll und konsequent“, auch im Hinblick auf die Veränderungen, die in der Marktstraße in den nächsten Jahren noch kommen sollen. Er bezweifelte, dass es dadurch weniger Verkehr in der Marktstraße geben wird: „Es wird alles nichts nützen, denn mit 20 Sachen zu fahren ist besser als im Stau zu stehen.“ Er spielte damit auf die Tatsache an, dass viele Autofahrer die Marktstraße nur deshalb als schnelle Abkürzung befahren, weil die Ampelschaltung auf der Annonaystraße täglich den Verkehr stocken lässt. Simone Kirschbaum (SPD) regte an, Radfahrer sollten künftig die Marktstraße bergauf auf einem Radweg auf der linken Seite befahren dürfen. Blumer sagte ihr zu, die „kreative Idee“ zu prüfen, und verwies auf solche Lösungen in anderen Städten.

Acht Mitglieder des Verkehrsausschusses empfahlen dem Ausschuss Technik und Umwelt (ATU), die Neuerung zu beschließen, drei enthielten sich. Der ATU trifft demnächst die Entscheidung.

Kommentar
Ein mutiger Schritt

Von Matthias Nothstein

Der Verkehr ist einem ständigen Wandel unterzogen, nicht nur in Backnang. Die Tendenz ist eindeutig: Die Autofahrer sollen langsamer fahren und die Rechte der Fußgänger werden gestärkt. Der Wegfall der Zebrastreifen ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Denn es stimmt, wenn die Autofahrer noch langsamer unterwegs sind, werden die Überwege einfach nicht mehr benötigt. Die Passanten haben schon längst im wahrsten Sinne des Wortes mit den Füßen abgestimmt und queren auf dem gesamten Straßenabschnitt die Fahrbahn.

Ein wirklicher Nachteil ist der Wegfall der „sicheren Querungshilfe“ jedoch für Kinder oder beeinträchtigte Passanten. Sie wussten bisher, dass die Autofahrer an diesen Stellen ganz besonders Rücksicht auf sie genommen haben. Deshalb ist es ganz wichtig: Wenn die Änderung kommt, dann muss auch die Geschwindigkeit der Fahrzeuge kontrolliert werden. Und im besonderen Fall der steilen Marktstraße gilt dies auch für die Fahrradfahrer.

Der Schritt ist mutig. Aber der Wandel ist wichtig, damit die Aufenthaltsqualität Schritt für Schritt verbessert werden kann.

m.nothstein@bkz.de