Kritik am Corona-Appell von Bund und Ländern

Von Von Martina Herzog, dpa

dpa Berlin. Den einen reichen die neuen Corona-Vereinbarungen nicht. Andere fürchten um die Demokratie, wenn das Infektionsschutzgesetz geändert wird. Der Präsident des Lehrerverbands bringt indes eine neue Idee für Schüler ins Spiel.

Kritik am Corona-Appell von Bund und Ländern

Der Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor ist am Abend menschenleer. Foto: Paul Zinken/dpa

Vertreter von Lehrer- und Ärzteschaft haben die Corona-Vereinbarungen von Bund und Ländern als unzureichend kritisiert.

„Was wir dort erleben als Showdown von Eitelkeiten hilft niemandem“, beklagte der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, am Dienstag im SWR. Für das Gesundheitswesen sei es fünf vor zwölf.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, bedauerte, dass mögliche Beschlüsse über striktere Hygieneregeln für Schulen auf kommende Woche vertagt wurden. „Das könnte sich noch bitter rächen“, sagte er dem Nachrichtenportal „Watson“. Er warnte, später könnten drastischere Maßnahmen nötig werden. Im Gespräch mit der „Passauer Neuen Presse“ brachte er die Idee eines freiwilligen Zusatzjahres ins Spiel, das etwa für Schüler in Abschlussklassen oder mit besonderem Förderbedarf helfen könnte, dauerhafte Lernrückstände zu vermeiden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte ein, dass die mit den Ministerpräsidenten getroffenen Entscheidungen zur Corona-Krise aus ihrer Sicht teils zu langsam fielen. „Ich werde weiter der ungeduldige Teil in dieser Sache sein“, versicherte die CDU-Politikerin bei einer Konferenz der „Süddeutschen Zeitung“.

Merkel hatte sich von dem Treffen mit den Ministerpräsidenten am Montag weitere Verschärfungen erhofft. Übrig blieb indes vor allem ein Appell an die Bürger, ihre privaten Kontakte noch einmal deutlich zu reduzieren.

Die Kanzlerin rechnet mit schwierigen Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten der Länder über eine Corona-Strategie bis Weihnachten und Silvester. „Ich hoffe, dass wir nächste Woche zu weiteren Dingen kommen“, sagte sie nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in einer virtuellen Sitzung der Unionsfraktion. Von Teilnehmern wurde sie mit den Worten zitiert: „Das werden sehr, sehr schwierige Entscheidungen werden.“ Die nächsten Beratungen Merkels mit den Ministerpräsidenten sind für den 25. November geplant.

Der Bundesverband der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst drang auf verpflichtende Regelungen. „Den Gesundheitsämtern steht das Wasser bis zum Hals, wir schaffen es nicht mehr, die Kontaktpersonen nachzuverfolgen“, sagte die Vorsitzende Ute Teichert im Interview mit WDR2. „Von daher wären einheitliche Beschlüsse für uns sehr hilfreich gewesen.“

Die Corona-Neuinfektionen lagen am Dienstag zum zweiten Mal in Folge unter dem Wert der Vorwoche. Die Gesundheitsämter meldeten dem Robert Koch-Institut (RKI) 14.419 neue Corona-Infektionen - knapp 1000 Fälle weniger als vor einer Woche. Am vergangenen Dienstag hatte die Zahl bei 15.332 gelegen - und damit erstmals seit September unter dem Wert vom Dienstag zuvor (15.352).

In Berlin bereitete sich die Polizei derweil auf Demonstrationen und womöglich gewalttätige Proteste von Gegnern geplanter Neuregelungen im Infektionsschutzgesetz vor, über die der Bundestag am Mittwoch abstimmen sollte. Das Bundesinnenministerium lehnte indes im Einvernehmen mit Bundesrat und Bundestag zwölf Anträge auf Zulassung von Versammlungen in der Umgebung der beiden Institutionen ab. Der Sicherheitsbeauftragte des Bundestags hatte zuvor an die Abgeordneten geschrieben, dass das Berliner Landeskriminalamt Anlass zur Sorge sehe, „dass der Parlamentsbetrieb beeinträchtigt wird, weil sowohl mit Angriffen auf die Gebäude des Deutschen Bundestages und auch auf Personen“ zu rechnen sei.

Bundestagsabgeordnete wurden zudem mit Tausenden kritischen Emails bombardiert. Viele haben nach Angaben Abgeordneter identische Textstellen. Manche Absender zogen Vergleiche zum „Ermächtigungsgesetz“ von 1933. Damals hatte sich der Reichstag selbst entmachtet und die Gesetzgebung auf Reichskanzler Adolf Hitler übertragen.

Das Infektionsschutzgesetz war im Zuge der Corona-Pandemie schon mehrfach reformiert worden. Unter anderem wurde eingeführt, dass der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen und wieder aufheben kann. Wird eine solche Lage festgestellt, was der Bundestag im Frühjahr getan hat, bekommt das Bundesgesundheitsministerium Sonderbefugnisse, um Rechtsverordnungen zu erlassen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss. Normalerweise ist bei Verordnungen der Regierung ein Ja der Länderkammer notwendig.

Mit der erneuten Reform des Infektionsschutzgesetzes werden nun weitere Details geregelt. Unter anderem soll ein neuer Paragraf 28a ins Gesetz eingefügt werden, der im Detail auflistet, welche Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und zuständigen Behörden gegen das Coronavirus verordnet werden können. Das sind etwa Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebote, eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum oder auch Beschränkungen oder Schließungen von Geschäften und Veranstaltungen - also Vorgaben, die in der Corona-Pandemie auch bereits gemacht wurden.

Opposition, Wirtschaftsverbände und Juristen kritisieren das Vorhaben. Sie sehen zu starke Eingriffe in die Grundrechte und fordern mehr Mitsprache der Parlamente bei den Corona-Maßnahmen.

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Kritik am Corona-Appell von Bund und Ländern

Merkel hatte sich in einer Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise beraten. Foto: Odd Andersen/AFP/POOL/dpa

Kritik am Corona-Appell von Bund und Ländern

Eine Mund-Nasen-Bedeckung hängt in einem geparkten Auto in Berlin. Beim Treffen am Montag konnten sich Kanzlerin und Ministerpräsidenten im Wesentlichen nur auf dringliche Appelle an die Bürger in der Corona-Krise verständigen. Foto: Kay Nietfeld/dpa