Beim Artenschutz zählt jeder Quadratmeter

Artenschutz vor der Haustür Zum Auftakt unserer neuen Serie erklärt die Vorsitzende des Backnanger Nabu Anja McGrath im Interview, wie es um die Biodiversität in der Region bestellt ist.

Beim Artenschutz zählt jeder Quadratmeter

Ihren eigenen Garten hat Anja McGrath naturnah gestaltet, unter anderem mit Eidechsenburgen und einer Totholzhecke. Fotos: Tobias Sellmaier

Mit Kampagnen wie „Rettet die Bienen“ sind Artenschutz und Biodiversität in den vergangenen Jahren in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Warum sind biologische Vielfalt und deren Schutz gerade jetzt wichtig?

Ich weiß nicht, ob das tatsächlich bei den Leuten angekommen ist. Die Honigbiene, um die es ja meistens geht, für die ist meistens gesorgt, das machen die Imker. Wir haben aber um die 560 Wildbienenarten in Deutschland. Um die müssen wir uns Sorgen machen, denn die verschwinden so langsam. Überhaupt verschwinden nicht nur ganze Arten, sondern die Anzahl der Tiere und die Anzahl der Pflanzen innerhalb der Arten werden weniger. Das ist wirklich dramatisch. Ältere Leute sagen oft: Früher war es im Frühling viel lauter. Man hat viel mehr Vögel gehört als jetzt. Durch manche Wiesen konnte man früher kaum durchlaufen, weil es so viele Frösche gab. Jetzt freut man sich über jeden einzelnen Frosch oder Vogel, den man sieht. Deswegen ist Artenschutz wichtig.

Was sind hier in der Region die größten Hindernisse für den Artenschutz?

Da gibt es viele. Ich möchte den Fokus gar nicht so sehr auf die Landwirtschaft oder die großen städtebaulichen Eingriffe in die Natur lenken. Denn daran kann man als Einzelner nicht viel ändern. Bei vielen ist einfach nicht mehr das Bewusstsein dafür da, was man selber alles machen kann. Man schiebt es gerne auf die anderen und sagt: Ich kann ja eh nichts bewirken. Aber das kann man sehr wohl. Auch auf kleinem Raum, jeder Quadratmeter zählt.

Was sind die größten Fehler, die man in der Vergangenheit da gemacht hat?

In Sachen Garten, dass man den Fokus auf exotische Pflanzen gelegt hat, dass man sich nicht an die Arten hält, die immer schon da waren. Und dann auch, was gerade in den letzten Jahren so modern geworden ist, dass alles so aufgeräumt und akkurat ist. Gerade in Neubaugebieten sieht man das bei den Schottergärten. Da darf kein Unkraut da sein und man mag es auch nicht, wenn die Tiere im Garten sind. Vögel machen Dreck, Laubbäume schmeißen Laub ab. Da wird alles auf einheitliche Sauberkeit getrimmt hat und man lässt keine Natur mehr zu. Und wer neue Häuser baut, denkt meist auch nicht an die Gebäudebrüter – Spatzen, Schwalben und so weiter.

Bei manchen ist vielleicht der Wille da, aber nicht das Wissen. Gibt es Falschinformationen, die sich halten?

Zum einen, dass man denkt, dass man mit einem Insektenhotel den Bienen etwas Gutes tut. Es gibt nur ganz wenige Arten, die in solche Insektenhotels reingehen, nämlich vor allem die Mauerbienen. Und so eine Biene braucht ja auch Nahrung, also Pflanzen. Bunte Pflanzen zu haben heißt noch lange nicht, dass man damit Artenschutz betreibt. Naturnahe Wiesen sehen ganz anders aus als diese bunten Blumenmischungen, die man im Baumarkt kaufen kann. Eine falsche Auffassung ist auch, dass ein Naturgarten viel Arbeit macht. Beim Anlegen ja, aber danach braucht der gar nicht mehr so viel Pflege. Man muss den Rasen nicht wöchentlich mähen und man muss die Hecke auch nicht quadratisch stutzen oder viel gießen. Die einheimischen Arten vertragen einen trockenen Sommer normalerweise. Heimische Gehölze ernähren beispielsweise auch wesentlich mehr Insektenarten, wovon wiederum Vögel und Igel profitieren. Auch bei Wespen gibt es viele Vorurteile. Nicht alle sind aggressiv und stechen. Wir bekommen viele Anfragen von Leuten, die Nester loswerden wollen, dabei sind es oft Arten, die ganz friedlich sind.

Beim Thema Artenschutz sind derzeit vor allem Insekten, besonders die Bienen, in den Fokus gerückt worden. Welche anderen Tierarten sind aktuell in der Region bedroht?

Auf jeden Fall Amphibien. Hier ist die Anzahl in der Region dramatisch zurückgegangen. Die Lebensräume verschwinden und damit auch die Tiere. Es gibt überall Straßen, auf denen sie überfahren werden. Was auch ein großes Problem ist, ist der Rückgang der Bodenbrüter, Rebhühner zum Beispiel. Den Kiebitz gab es früher hier in der Gegend, der ist weg.

Wie schätzen Sie die Gärten in der Region ein? Gefällt Ihnen, was Sie sehen?

Teils, teils. Ich kenne gute Beispiele, aber in den Neubaugebieten herrscht leider meistens dieses triste Grau. Die Häuser sind grau, die Gärten sind grau. Neben dem Schotter gibt es vielleicht noch ein Trampolin für die Kinder, aber für Vogel und Igel sieht man da leider wenig. Ich kenne auch sehr viele gute Beispiele, die will ich gar nicht verschweigen. Wenn ich das jetzt aber mit Norddeutschland vergleiche: An der Küste sehen die Gärten ganz anders aus. Da gibt es so viel mehr Vögel als bei uns. Ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Offizielle Stellen versuchen gezielt, Anreize zu setzen. Zum Beispiel ist der Blumenschmuckwettbewerb der Stadt Backnang um einen Wettbewerb für naturnahe Gärten ergänzt worden. Hat sich diesbezüglich in den vergangenen Jahren etwas verändert?

Der gute Wille ist da, an der Umsetzung hapert es manchmal, leider auch am Geld. Es gibt einzelne Menschen in den Stadtverwaltungen, die sich dafür einsetzen, für die wir sehr dankbar sind. Aber es gibt zum Beispiel keinen Naturschutzbeauftragten. Manchmal fehlt es auch am Wissen. Da werden Wildblumenwiesen angelegt, dann wird aber zur falschen Zeit gemäht. Und dann ist natürlich die ganze Arbeit, die man vorher gemacht hatte, für die Katz. Dass der Naturgartenwettbewerb mit dem Blumenschmuckwettbewerb zusammengelegt wurde, das habe ich schon kritisiert, denn das sind zwei völlig unterschiedliche Ansätze. Uns geht es nicht um exotische Blumen und Geranien, sondern um den Naturgarten und gut. Aber dass der überhaupt gemacht wird, finde ich schon gut.

Das würden Sie sich von offiziellen Stellen wünschen?

Dass von Verwaltungsseite mehr Budget, mehr Personal eingeplant wird. Man könnte zum Beispiel auch in die Bebauungspläne aufnehmen, dass bei Neubauten Brutmöglichkeiten angebracht werden. Manche Städte haben das schon. Oder dass man eben bei der Ausweisung von neuen Industriegebieten vorgibt, dass Flachdächer begrünt werden sollen. Dass man auf den Erhalt von Biotopen mehr achtet oder versucht, neue zu schaffen. Oft geht es nur darum, Ökopunkte zu scheffeln. Da schafft man ein Biotop und überlässt es sich selbst. Die Ausgleichsmaßnahmen sind nicht immer zielführend oder die Erreichung der gesetzten Ziele wird nicht überprüft.

Wenn wir uns jetzt eher den Privatpersonen zuwenden: Es verfügt nicht jeder oder jede über einen eigenen Garten. Wie ist ein Beitrag zur Biodiversität auch auf kleinem Raum möglich?

Auf einem Balkon kann man auch viel machen. Werner David in München hat Dutzende von Wildbienenarten auf seinem Balkon, obwohl der nicht groß ist. Über ihn kann man sich im Internet informieren. Es hat natürlich auch nicht jeder einen Balkon. Dann könnte man zum Beispiel eine Patenschaft für eine städtische Grünfläche übernehmen. Das bietet Backnang zum Beispiel an. Oder man engagiert sich bei einem der Naturschutzverbände. Beim Nabu kann man zum Beispiel bei der Amphibienwanderung helfen. Es gibt auch viel Arbeit im Hintergrund, wenn man nicht direkt am Tier arbeiten will. Stellungnahmen verfassen zum Beispiel, wenn neue Baugebiete ausgewiesen werden. Da braucht man Leute, die sich mit politischen Vorgängen auskennen, aber auch solche, die wissen, welche Arten wo vorkommen.

An welchen Projekten arbeitet denn der Nabu aktuell?

In Backnang ist unser großes Projekt der Amphibienschutz an der Pfaffenrinne. Da brauchen wir immer Helfer. Dann haben wir auch ein Steinkauzprojekt, bei dem wir Nisthilfen für Steinkäuze in den Streuobstwiesen hier verteilt haben. Die müssen kontrolliert und gereinigt werden. Und dann beteiligen wir uns auch an kreisweiten Projekten. Der Gebäudebrüterschutz ist uns immer wichtig. Die Verbände in den Nachbargemeinden machen da ganz viel, Aspach zum Beispiel. In Fellbach gibt es ein Projekt für die Rebhühner, zudem kümmern sie sich um Wanderfalken.

Nachdem wir nun viel über Probleme und auch Fehler gesprochen haben: Gibt es denn auch gute Nachrichten oder Erfolge der letzten Jahre?

Ja, auf jeden Fall. Bei unseren Amphibien an der Pfaffenrinne ist die Anzahl sprunghaft gestiegen, unter anderem, weil wir sie über die Straße tragen. Bei den Steinkäuzen sind die Bestände relativ stabil im Kreis. Ohne unsere Schutzmaßnahmen gäbs die hier so nicht mehr. Uns freut natürlich jeder Vogel, der ein Heim findet. Und auch jeder, der uns von dem Igel berichtet, der in seinem Garten rumwuselt. Die kleinen Sachen zählen, weil die dann die Masse wieder ausmachen. Mir geht es nicht darum, irgendwas und irgendjemanden schlechtzumachen, sondern darum, gute Beispiele zu zeigen und die Leute von der Natur zu begeistern. Wenn da jeder ein bisschen machen würden, wäre schon wirklich viel geholfen.

Das Gespräch führte Lorena Greppo.

Neue Serie

In unserer neuen Reihe „Artenschutz vor der Haustür“ wollen wir in den kommenden Wochen anhand von Beispielen aus der Region aufzeigen, wie sich Privatpersonen für mehr Biodiversität einsetzen können.