„Beim Klimaschutz gibt es kein Zurück“

Das Interview: Am Dienstag tritt der neue Landtag von Baden-Württemberg zu seiner ersten Sitzung zusammen. Erstmals wird der Wahlkreis Backnang dort nicht mehr von einem CDU-Abgeordneten vertreten, sondern vom Grünen Ralf Nentwich.

„Beim Klimaschutz gibt es kein Zurück“

Ralf Nentwich freut sich auf seine neue Aufgabe als Landtagsabgeordneter. Der 39-jährige Lehrer sieht seine berufliche Zukunft in der Politik. Foto: G. Habermann

Von Kornelius Fritz

Der Wahlkreis Backnang galt in der Vergangenheit als tiefschwarz. Hätten Sie sich vor ein paar Jahren vorstellen können, dass hier mal ein Grüner das Direktmandat gewinnt?

Tatsächlich war Backnang bisher kein Wahlkreis, wo man als Grüner einen Blumentopf gewonnen hat. Aber ich glaube, man würde keinen Wahlkampf machen, wenn man nicht immer die tiefe Hoffnung gehabt hätte, dass es einmal zu diesem Wechsel kommt. Und durch den Rückzug von Wilfried Klenk haben sich dann neue Möglichkeiten eröffnet.

Seit der Landtagswahl sind fast zwei Monate vergangen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Es war eine sehr spannende Zeit. Das Leben ändert sich von einem Tag auf den anderen. Schon am Wahlabend ist ein regelrechter Tsunami an Glückwünschen auf mich eingeprasselt. In der Woche drauf ging es dann schon mit der ersten Fraktionssitzung los. Gleichzeitig haben die Vorbereitungen im Wahlkreis begonnen, wo es ja noch nie eine grüne Infrastruktur gegeben hat. Das macht es natürlich sehr viel schwieriger, weil ich nicht einfach das Büro eines anderen Abgeordneten übernehmen kann. Es war schon eine riesige Kraftanstrengung, denn bis vor wenigen Tagen hatte ich ja noch zwei andere Jobs als Leiter des Kreismedienzentrums und als Lehrer an der Max-Eyth-Realschule.

Konnten Sie diese Jobs einfach aufgeben?

Ja. Bei der Arbeit im Kreismedienzentrum wäre es gar nicht erlaubt, sie neben einem Landtagsmandat auszuüben, weil es da zu einem Interessenskonflikt kommen könnte. Auch in der Schule war es möglich, dass ich beurlaubt wurde.

Sehen Sie Ihre Zukunft nun als Berufspolitiker oder wollen Sie irgendwann wieder in Ihren gelernten Beruf zurückkehren?

Ich sehe meine Zukunft schon als Berufspolitiker, sonst hätte ich diesen Weg nicht eingeschlagen. Deshalb hoffe ich auch, dass die Wähler mich in fünf Jahren wieder bestätigen. Aber ich habe meinen Beruf immer mit Leidenschaft ausgeübt und denke, ein Lehrer wird im Herzen immer Lehrer bleiben. Viele Kontakte, die ich im Medienzentrum aufgebaut habe, etwa zu den Bürgermeistern und Kommunen, werde ich auch in meiner neuen Rolle nutzen können.

Die Grünen-Fraktion im neuen Landtag hat 58 Mitglieder, Sie sind einer von 22 Neulingen. Wie wurden Sie von den Fraktionskollegen aufgenommen?

Wir Neuen wurden sehr, sehr offen aufgenommen. Ich denke, das ist auch prägend für die Grünen-Fraktion, dass es da kein Gegeneinander gibt, sondern eine offene, wertschätzende Willkommenskultur. Viele kannte ich auch schon von früher. Ich war ja Bundessprecher bei der Naturschutzjugend Deutschland. Jetzt habe ich einige alte Weggefährten wieder getroffen.

Der bisherige Backnanger Abgeordnete Wilfried Klenk ist als parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium Mitglied der Regierung. Sie werden als Neuling wohl erst mal kleinere Brötchen backen müssen.

Ja, natürlich. Mein großes Ziel ist erst mal, eine gute Arbeit im Wahlkreis zu machen und Strukturen aufzubauen, um die Kommunen und die Wirtschaft vor Ort bestmöglich zu unterstützen und für die Anfragen der Bürgerinnen und Bürger ein offenes Ohr zu haben. Wenn man das solide und gut macht, dann hat man in den ersten fünf Jahren schon mehr als genug zu tun.

Sind die Aufgaben und Themenschwerpunkte in der Fraktion schon verteilt? Wo werden Sie sich künftig im Landtag einbringen?

Meine Themenschwerpunkte sind Bildung und Digitalisierung und mit meiner Nabu-Vergangenheit natürlich auch der Natur- und Umweltschutz. Die Plätze in den Ausschüssen sind aber noch nicht verteilt. Das wird erst bei einer Klausurtagung Mitte Mai passieren.

Und wie präsent werden Sie in Ihrem Wahlkreis sein? Wollen Sie hier ein eigenes Büro eröffnen?

Ja, ich habe dazu schon mit Ricarda Lang, die bei der Bundestagswahl hier im Wahlkreis antritt und auf einem sehr sicheren Listenplatz steht, Gespräche aufgenommen. Wir wollen nach Möglichkeit sogar zwei Wahlkreisbüros zusammen eröffnen: einen „Flagship-Store“ in Backnang und außerdem ein Wahlkreisbüro in Murrhardt. Wo diese Büros sein werden, ist aber noch eine kleine Überraschung.

Bei den Grünen wurde intern gestritten, ob man die grün-schwarze Koalition fortsetzen oder lieber mit SPD und FDP eine Ampelkoalition bilden soll. Letztlich hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit seinem Votum für Grün-Schwarz durchgesetzt. War das auch Ihre favorisierte Koalition?

Wenn ich ehrlich bin, ja. Ich hätte mir beides vorstellen können. Bildungspolitisch hätten wir auch mit der SPD einen guten Partner gehabt. Aber wenn wir unser großes Thema Klimaschutz gut auf die Straße bringen möchten, dann brauchen wir auch die Bürgermeister, denn Klimaschutz wird vor allem in den Kommunen gemacht. Und das funktioniert in der Fläche besser mit der CDU.

Bei der Zoom-Diskussion unserer Zeitung vor der Landtagswahl hatten Sie beklagt, dass die CDU beim Klimaschutz bisher eher gebremst hätte. Glauben Sie, dass Sie diese Bremse in den nächsten fünf Jahren lösen können?

Ich glaube, wir haben sie schon ganz gut gelöst, weil die CDU durch das Wahlergebnis einsehen musste, dass der Wählerwillen für mehr Klimaschutz einfach da ist. Unser Ministerpräsident hat nicht umsonst die Zielvorgabe „Erstens Klimaschutz, zweitens Klimaschutz, drittens Klimaschutz!“ ausgegeben. Da müssen wir dicke Bretter bohren und der Koalitionsvertrag trägt eine sehr grüne Handschrift.

Viele Vorhaben stehen allerdings unter Finanzierungsvorbehalt. Werden die großen Pläne am Ende am fehlenden Geld scheitern?

Natürlich wäre es besser, wenn die Geldtöpfe voll wären. Das stimmt schon. Aber gerade beim Klimaschutz sind wir uns in der Koalition einig, dass es kein Zurück mehr gibt, sondern nur noch ein Vorwärts. Zum Beispiel durch die Fotovoltaikpflicht bei Neubauten und Dachsanierungen. Wenn ich daran denke, wie viele Vorbehalte es dagegen in der letzten Legislaturperiode auch vonseiten der CDU noch gab, dann sind wir jetzt schon einen riesigen Schritt weiter.

Und was sind Ihre Ziele und Pläne für den Wahlkreis Backnang?

Hier liegt mir vor allem die Transformation und Innovationsförderung der Wirtschaft sehr am Herzen, etwa bei den Automobilzulieferern. Dabei will ich die Unternehmen im Wahlkreis Backnang bestmöglich unterstützen und Anreize für Start-ups schaffen. Auch das Thema Bildung wird eine zentrale Rolle spielen. Wie bringen wir die schulische Digitalisierung deutlich voran, schließen die durch die Pandemie entstandenen Lernlücken und vermitteln in den Schulen die Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert? Insgesamt müssen wir unseren Wahlkreis und Baden-Württemberg zukunftsfest machen. Das gilt für die natürlichen Lebensgrundlagen ebenso wie für die wirtschaftlichen und sozialen. Wichtig hierbei sind die Klimaneutralität und der Schutz der Artenvielfalt, damit auch unsere Kinder und Enkelkinder noch einen lebenswerten Planeten vorfinden.

Die Bürgermeister erhoffen sich von den Abgeordneten auch immer Unterstützung für neue Straßen, die ihren Ort entlasten. Sind sie da bei Ihnen an der falschen Adresse?

Was das Thema zukunftsfähige Mobilität angeht, werde ich natürlich ein Ansprechpartner für die Bürgermeister vor Ort sein. Und in einer ländlichen Region wird das Automobil auch in den nächsten Jahren noch wichtig sein. Aber ich glaube, gerade bei klammen Kassen ist jetzt erst einmal wichtig, dass man die bestehende Infrastruktur erhält. Da gibt es ja auch im Wahlkreis Backnang viele Straßen, die man auf Vordermann bringen sollte.

Ralf Nentwich

Ralf Nentwich wurde 1982 in Backnang geboren und ist in Murrhardt aufgewachsen. Nach dem Abitur am Wirtschaftsgymnasium in Backnang studierte er an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg Realschullehramt mit den Fächern Deutsch und katholische Religion.

Nach dem Studium unterrichtete er zunächst an einer Realschule in Calw. 2010 übernahm er die Leitung des Kreismedienzentrums in Backnang, das 2017 mit dem in Waiblingen fusionierte. Parallel dazu unterrichtete er mit einem Teildeputat an der Max-Eyth-Realschule in Backnang.

Bereits in jungen Jahren engagierte sich Ralf Nentwich im Naturschutz. Von 2007 bis 2010 war er Bundesjugendsprecher der Naturschutzjugend im Nabu Deutschland. Den Grünen trat er erst 2017 bei, zwei Jahre später wurde er für die Partei in den Murrhardter Gemeinderat gewählt.

Ralf Nentwich ist verheiratet und hat zwei Kinder (zehn und sieben Jahre alt). In seiner Freizeit spielt er Gitarre und ist gerne sportlich in der Natur unterwegs. Außerdem ist er Bienensachverständiger und Hobbyimker mit 20 eigenen Bienenvölkern.