Berlin lehnt Mays Wunsch nach erneutem Aufschub ab

Die britische Premierministerin will Kanzlerin Merkel von einem Brexit bis Ende Juni überzeugen

Von Jan Dörner

Ohne eine Einigung droht am Freitag der ungeordnete Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Ein möglicher Ausweg ist ein Aufschub von zwölf Monaten.

Berlin/London Vor dem europäischen Brexit-Krisengipfel wirbt die britische Premierministerin Theresa May in Europa intensiv dafür, den EU-Austritt ihres Landes bis Mitte des Jahres zu verschieben. May ist deswegen am Dienstagmittag zunächst bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin zu Gast, am Abend wird sie von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Paris empfangen. In der großen Koalition stößt Mays Plan jedoch auf Ablehnung. „Das von ihr vorgeschlagene Brexit-Datum am 30. Juni ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel, wenn sie keine konkreten Schritte aufzeigen kann, wie die Zeit bis dahin genutzt werden soll“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), unserer Zeitung. Das Ziel müsse daher ein geordneter Brexit auf Grundlage des ausgehandelten Deals noch vor der Europawahl sein, die in Deutschland am 26. Mai stattfindet.

Auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, wies Mays Vorschlag zurück. „Immer neue Verschiebungen ergeben keinen Sinn“, sagte Schmid unserer Zeitung. „Eine Verschiebung bis Ende Juni ist abzulehnen, weil sonst eine Teilnahme Großbritanniens an den Europawahlen im Mai notwendig wäre. Dies ist aber mit einem sich anschließenden Austritt nicht vereinbar.“

Ohne eine Einigung droht ein ungeregelter Brexit bereits am Freitag mit unvorhersehbaren Folgen etwa für die europäische Wirtschaft. May will daher die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden EU-Staaten am Mittwoch in Brüssel von dem Aufschub bis Ende Juni überzeugen. Die Europäische Union beharrt allerdings auf dem mühsam verhandelten Austrittsvertrag, den das britische Unterhaus bereits dreimal abgelehnt hat. Die politisch schwer angeschlagene Regierungschefin verhandelt daher mit Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn über einen Ausweg – ­allerdings mit ungewissem Ausgang.

Unterstützung für die Haltung der großen Koalition in der Brexit-Frage kommt aus der Opposition im Bundestag: „Eine Verlängerung der Brexit-Frist kann es nur im Gegenzug für echten Fortschritt geben“, sagte der europapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Link, unserer Zeitung. „Denn auch die bisher große Flexibilität der EU stößt an ihre Grenzen, wenn eine Fristverlängerung die Integrität der Europawahlen bedroht.“ Es brauche daher konkrete Zusagen, die auch im britischen Parlament eine Mehrheit finden.

Der Geduldsfaden der Europäischen Union mit Großbritannien ist angesichts der politischen Blockade in London zum Zerreißen gespannt. „Wir können nicht auf Dauer in diesem Schwebezustand sein, der die Europäische Union komplett lähmt“, sagte die Grünen-Europapolitikexpertin Franziska Brantner unserer Zeitung. Es gebe in Europa wichtige Themen, die „dringend“ angepackt werden müssten, wie den Klimaschutz, das Thema soziale Gerechtigkeit, die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion oder die europäische Haltung zu außenpolitischen Fragen.

Der frühere Außenminister Boris Johnson, einer von Mays stärksten parteiinternen Rivalen, schrieb in einer Kolumne für den „Daily Telegraph“, Mays Verhandlungsangebot an Corbyn sei „so entmutigend, dass man es kaum glauben kann“. Dennoch wollte May die Gespräche am Montag fortsetzen. Ein Regierungssprecher sagte, das Ziel sei, den Tag über mit der Opposition im Kontakt zu bleiben – in der Hoffnung, dass das später am Tag zu offiziellen Gesprächen führe.

Oppositionsführer Corbyn fordert unter anderem, dass das Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU bleibt. Gleichzeitig bekommt auch er Gegenwind in seiner Partei: Achtzig Abgeordnete unterzeichneten einen Brief an den Parteichef, in dem sie ihn auffordern, in den Gesprächen eine Garantie für ein zweites Brexit-Referendum über ein etwaiges Abkommen auszuhandeln. May hatte zuletzt am Freitag um eine Fristverlängerung bis Ende Juni gebeten. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte seinerseits einen „flexiblen“ Brexit-Aufschub von zwölf Monaten ins Spiel gebracht. In diesem Fall müsste Großbritannien an der Europawahl teilnehmen, die vom 23. bis zum 26. Mai stattfindet.