Bertelsmann und die „Champion“-Strategie

Von Von Anna Ringle, dpa

dpa Gütersloh. Vom Abo-Lesering zum Konzern: Reinhard Mohn, der jetzt 100 Jahre alt geworden wäre, war Wegbereiter für die internationale Größe von Bertelsmann. Warum das Unternehmen jetzt aktuell wieder auf Größe setzt.

Bertelsmann und die „Champion“-Strategie

Reinhard Mohn mit dem Bertelsmann Volkslexikon (1957). Foto: Bertelmann-Unternehmensarchiv/dpa

Mit Bertelsmann verbinden wohl viele aus der älteren Generation in Deutschland eine Mitgliedschaft im Lesering oder dem späteren Buchclub.

Das Prinzip aus den 1950er Jahren kam bei vielen an: Als Abonnenten erhielten sie regelmäßig Bücher zu einem günstigeren Preis. Heute ist Bertelsmann ein weltumspannender Konzern und setzt Impulse, die ganze Branchen aufhorchen lassen. Im zweiten Halbjahr wird das im deutschen Medienmarkt wieder zu beobachten sein.

Bertelsmann setzt auf ein breites Portfolio

Der nach wie vor im westfälischen Gütersloh ansässige Konzern mit rund 17,3 Milliarden Euro Gesamtumsatz 2020 scheint schon länger die Ernte für seine Strategie einzufahren, auf ein breites Portfolio zu setzen. Bertelsmann steht hinter dem Unternehmen Arvato, das etwa Finanzdienstleistungen für Unternehmen anbietet. Bertelsmann steht auch hinter Reality-Shows bei RTL. Und das Unternehmen ist daran beteiligt, wenn die Obamas Bücher herausgeben.

Von Musik, Radio über Zeitschriften bis Bildungsgeschäft: In der Corona-Krise zeigte sich, dass wegbrechende Erlöse bei der Werbung in den Medien durch andere Geschäftsfelder abgefedert werden konnten. 2020 verbuchte der Konzern mit rund 1,46 Milliarden Euro sogar einen höheren Gewinn als 2019 (1,1 Mrd Euro).

Reinhard Mohn entwickelte als Schlüsselfigur das Unternehmen, das bis heute in der Hand von Stiftungen und der Familie ist, zu einem großen Konzern. Der Patriarch wäre am 29. Juni 100 Jahre alt geworden, er starb mit 88 Jahren im Jahre 2009 und hinterließ seiner Familie viel Macht und Einfluss. Zu ihrem 80. Geburtstag übergab seine Frau Liz Mohn vor einigen Tagen das Amt des einflussreichen Familiensprechers an ihren Sohn Christoph Mohn und damit an die sechste Familiengeneration. So sollen die Interessen der Familie bei Bertelsmann weiter gewahrt bleiben.

Delegation von Verantwortung

Der Historiker Joachim Scholtyseck hat sich durch Archivmaterial zur Firmengeschichte gearbeitet. Sein aktuelles Buch über Reinhard Mohn ist untertitelt mit „Ein Jahrhundertunternehmer“. Was war das Besondere an der Unternehmer-Biografie?

Scholtyseck nannte der Deutschen Presse-Agentur „die Idee der Delegation von Verantwortung“. „Reinhard Mohn wird nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in ein Unternehmen mit 80 Mitarbeitern mehr oder weniger reingeworfen.“ Er sei auf die Zuarbeit wichtiger Mitarbeiter angewiesen gewesen. Mohn übernahm 1947 in fünfter Generation den C. Bertelsmann Verlag. „Das Prinzip Herr-im-Hause, bei dem der Chef alles bestimmt, das war in der damaligen Unternehmerschaft gängig. Mohn hat sich davon in den 1950er Jahren verabschiedet. Für die damalige Zeit ist das ungewöhnlich.“

Auch das Prinzip der Mitbestimmung – „das spielt für ihn eine ganz große Rolle. Der Betriebsrat wird mit einbezogen, er hat ein verhältnismäßig gutes Verhältnis zu den Gewerkschaften, was damals ungewöhnlich war“, erläuterte der Historiker. Partizipation und Transparenz hätten ihn ausgemacht. In kürzester Zeit habe er als Unternehmer auch das Feld der Buchclubs aufgebaut. „Er hat damit ganze Generationen und auch bestimmte Milieus erstmals zum Lesen gebracht.“

Kooperationen und Verzahnung

Der heutige Konzernchef Thomas Rabe und die Konzernspitze setzen schon seit längerem nicht nur auf ein breites Portfolio, sondern auch auf dessen Verzahnung. Im Medienmarkt ist das besonders deutlich zu sehen: Zeitschriften, TV und Audio tauschen Inhalte aus und gehen Kooperationen ein - es entstehen mehr Produkte zu einem Thema zum Beispiel mit ergänzenden Podcasts oder Dokus.

Dahinter steht auch die Strategie „Champions“ - also Größe in einem gewissen Marktumfeld. Rabe betonte immer wieder, dass er nationale „Champions“ in europäischen Märkten schaffen wolle, um so auch der internationalen Streamingkonkurrenz wie Netflix und Amazon regional etwas entgegensetzen zu können.

Über die RTL Group, die mehrheitlich zu Bertelsmann gehört, wurde jüngst der Vorstoß gemacht, in Frankreich durch eine Fusion der zwei TV-Gruppen TF1 und M6 einen solchen „Champion“ entstehen zu lassen. Der eigene Anteil an M6 (48,3 Prozent über die RTL Group) soll zunächst komplett in das neu fusionierte Unternehmen eingebracht werden und danach teilweise an TF1-Eigentümer Bouygues verkauft werden. Das soll langfristig Wertschöpfung für die RTL-Group-Aktionäre bringen.

In der vergangenen Woche folgte der nächste Schritt: In den Niederlanden will die RTL Group ihr Mediengeschäft mit dem von John de Mols Medienkonzern fusionieren. Und am Montag wurde bekannt, dass sich die Gruppe in Belgien von ihrem Fernsehgeschäft trennen will und es an zwei Medienunternehmen verkauft.

Dass Bertelsmann den Weg konsequent gehen will, zeigt sich zurzeit auch an der Prüfung, wie eng das Hamburger Zeitschriftenhaus Gruner + Jahr („Stern“, „Geo“), das zu Bertelsmann gehört, künftig mit der Mediengruppe RTL Deutschland zusammenarbeiten wird. Die Gedankenspiele reichen bis zu einer Fusion, was in der Medienwelt kontrovers diskutiert wird. Im zweiten Halbjahr will Bertelsmann entscheiden, wie die Zusammenarbeit am Ende aussehen wird.

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