Bescheidene Fußballparty in Bácsalmás

Deutschland gegen Ungarn, das war 1954 das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft. Heute ist es nur ein EM-Vorrundenspiel, doch in Ungarn fiebern die Fans dem Duell entgegen – auch in der Backnanger Partnerstadt.

Bescheidene Fußballparty in Bácsalmás

Viel Enthusiasmus, wenig Abstand: Im Puskás-Stadion von Budapest ticken die Uhren etwas anders als im restlichen Europa.Foto: Imago

Von Klaus Loderer

BÁCSALMÁS/BACKNANG. Die Fußballfans in Ungarn sind wieder optimistisch. Das erste Spiel ihres Teams gegen Portugal ging zwar mit 0:3 verloren, aber gegen Weltmeister Frankreich schaffte die Mannschaft überraschend ein 1:1-Unentschieden und hat an diesem Mittwoch mit einem Sieg gegen Deutschland die Chance, ins Achtelfinale einzuziehen. Wobei die Ungarn nicht nur auf dem Platz für Gesprächsstoff sorgen. Die Spiele in Budapest finden nämlich im prall gefüllten Puskás-Stadion statt. Von den 67000 Plätzen werden 55000 besetzt. Von Abstand oder Maskenpflicht ist hier nichts zu sehen, allerdings sind Impfung, Test oder der Nachweis der Genesung Voraussetzung für den Stadionbesuch. Und auch Public Viewing ist in Ungarn möglich. Auf dem Budapester Heldenplatz können sich bis zu 10000 Menschen treffen.

Doch was bemerkt man davon in Backnangs ungarischer Partnerstadt Bácsalmás? Natürlich fällt das Public Viewing in der südungarischen Kleinstadt bedeutend bescheidener aus. Die große Fußballparty gibt es hier nicht. Im Zentrum ist von Fußball wenig zu spüren. Auf die Frage, wo man denn in Bácsalmás gemeinsam Fußball schauen könne, erzählt János Krix, dass das bei ihm schräg gegenüber geht. Der aus Kunbaja stammende László Lovas hat an der Straße zum Bahnhof ein Zelt aufgebaut – oder nennen wir es besser einen Sonnenschutz. Er ist Betreiber der Újvárosi Trafik, was sich mit „Neustädter Kiosk“ übersetzen lässt. Dort zweigt auch die Backnang Út ab, die Backnanger Straße. Die Lage ist verkehrsgünstig gelegen, so kommen auch Zufallsgäste. Den großen Bildschirm nutzen nicht nur die Männer der Nachbarschaft gerne, um sich die Spiele anzuschauen. Zumal es in Bácsalmás ja schon so sommerlich warm ist, dass man gerne im Freien sitzt.

Vor der deutschen Mannschafthaben die Ungarn Respekt.

Das Spiel Ungarn gegen Portugal schauten sich dort etwa 35 Personen an. Es waren überwiegend junge Männer, wenige Frauen. Dass die ungarische Mannschaft weiterkommt, würden die Bácsalmáser Fußballfans schon gerne sehen. Man freut sich, dass sich die Spieler bisher so wacker geschlagen haben. Denn ihnen ist bewusst, dass die Mannschaft schwere Brocken zu bewältigen hat, immerhin spielt sie in der Vorrunde gegen lauter frühere Europameister. Entsprechend fiebern die Ungarn auch dem Spiel gegen Deutschland entgegen. Denn gerade vor dieser Mannschaft hat man in Ungarn besondere Hochachtung.

Zoltán Krix, der gerade bei Verwandten zu Besuch in Großaspach ist, weiß noch zu berichten, dass auch Álbin Rapcsák auf der Terrasse vor seiner kleinen Kaffeebar in der Köztársaság Utca die Möglichkeit geschaffen habe, Fußballspiele zu schauen. Ansonsten bevorzugen es die Bácsalmáser, die Fußball-EM vor dem heimischen Fernsehgerät zu verfolgen. Das Fußballspiel Deutschland gegen Ungarn wird sich Zoltán bei einem Besuch beim Schwager seiner Frau in Neulehe bei Papenburg anschauen. Da wird er dann der ungarischen Mannschaft die Daumen drücken.

Bácsalmás hat natürlich auch seine eigene Fußballgeschichte. Der dortige Fußballverein wurde immerhin 1913 gegründet. Auch ein international tätiger Schiedsrichter stammt aus Bácsalmás, nämlich der inzwischen knapp 87-jährige István Kamarás, der es in seinem beruflichen Leben immerhin zum Vizepräsidenten des Komitatsgerichts der Baranya in Fünfkirchen (Pécs) brachte. Zwischen 1971 und 1973 pfiff er bei EM- und WM-Qualifikationsspielen und war später auch als Fußballfunktionär engagiert.

„Goldene Mannschaft“ stand 1954 im WM-Endspiel

In den vergangenen Jahren war Ungarn nur selten bei internationalen Turnieren dabei. Eine Ausnahme war die Europameisterschaft 2016 in Frankreich: Damals schied die ungarische Mannschaft im Achtelfinale nach einem 0:4 gegen Belgien aus.

In der ungarischen Nationalliga ist es fast schon normal, dass der Verein Budapest Ferencváros die Meisterschaft gewinnt. Gerade geschah das nach einem Sieg gegen Újpest FC zum dritten Mal in Folge. Es ist der 32. Meistertitel des Vereins.

Gerade scheint es mit dem ungarischen Fußball auch international aufwärts zu gehen. Im vergangenen Jahr holte Ferencváros mit einem Unentschieden gegen Dynamo Kiew den ersten Champions-League-Punkt seit 25 Jahren. Und in diesem Jahr ist Ungarn an der Europameisterschaft beteiligt.

Früher war Ungarn einmal eine bedeutende Fußballnation. Die „Goldene Mannschaft“ war nach dem Zweiten Weltkrieg legendär. Gestoppt wurde sie erst von den Deutschen im WM-Endspiel 1954 in Bern. Schon 1938 war Ungarn bis ins WM-Endspiel gekommen. Die ungarischen Fußballer dieser Zeit wurden sogar in einer Operette verewigt: Paul Abrahams „Roxi und ihr Wunderteam“ feiert den ungarischen Fußball. In der fiktiven Geschichte siegt das Team am Ende.

Für Diskussionen sorgt bei dieser Europameisterschaft auch die ungarische Haltung zu Rassismus und Diskriminierung. Bei einem Vorbereitungsspiel pfiffen ungarische Fans die irische Mannschaft aus, weil die Spieler als Zeichen gegen Rassismus auf dem Platz niederknieten. Beim Spiel gegen Frankreich wurden dunkelhäutige Spieler von den Rängen rassistisch beleidigt.