BetreutesTräumen

Zum 25. Geburtstag ist das Musical in Stuttgart so stark wie selten in seiner wechselvollen Geschichte

Von Uwe Bogen

Musicalgründer Rolf Deyhle trug eine rote Smokingjacke – und auch sonst dick auf. Mit 1500 Magnumflaschen Schampus und überquellenden Büfetts ist 1994 dank „Miss Saigon“ in Stuttgart-Möhringen die große Welt angekommen. „Man vergisst, dass man bei Schwaben ist“, schrieb Michael Graeter in der „Bunten“. Noch frühmorgens hatte der Vater aller Klatschkolumnisten „gefüllte Töpfchen mit Kaviar“ vorgefunden.

Stuttgart war in die erste Show-Liga aufgestiegen. Kritiker warnten vor kulturellem Fast Food. Stadtwerber indes freuten sich. Ein Jahr nachdem der Hubschrauber von Saigon auf der Bühne zu knattern begann, stiegen die Hotelübernachtungen um 20 Prozent. Bis heute ist das Musical wirtschaftsfördernd. Oberbürgermeister Fritz Kuhn lässt sich in den Möhringer Theatern selten blicken – er bevorzugt die „hohe Kunst“ des Balletts und Schauspiels – , aber die Landeshauptstadt profitiert von Deyhles einst umstrittenem Tatendrang.

Das Leben des Musicalkönigs liefert mit Aufs und Abs bis zu seinem Suizid 2014 Stoff für die Bühne. Er war ein vielseitiger Visionär: Den Musicalboom in Deutschland löste er mit aus, die Fußball-WM machte er profitabel, rutschte dann aber mit der Stella AG in die Insolvenz. An diesem Montag, wenn im Palladium-Theater der 25. Geburtstag des Stuttgarter Musicals mit einem Benefizkonzert, bei dem unter anderen Max Mutzke auftritt, gefeiert wird, könnte er stolz auf sein Lebenswerk sein.

Wichtig fürs Überleben der Stuttgarter Musicals war und ist, dass mit der Stage Entertainment ein international tätiger Konzern seit 2002 das Sagen hat, der dank eines finanziellen Polsters Fehlentscheidungen leichter wegsteckt. Nur noch in Einjahresschritten plant der Musicalmarktführer. Auch die neuen Besitzer halten an zwei Spielstätten auf den Fildern fest: Im vergangenen Jahr hat der familiengeführte US-Mediengigant Ad­vance Publications, der unter anderem die „Vogue“ und „Vanity Fair“ verlegt, die vom Holländer Joop van den Ende gegründete Stage zu 100 Prozent übernommen.

Davor besaßen Luxemburger Finanzinvestoren 60 Prozent des Konzerns und hatten einen harten Sparkurs gefahren. In Berlin wurde gar ein Theater geschlossen. Der Primus der Branche sollte nach den Regeln der Renditeorientierung spielen – möglichst Erfolgsstoffe aus dem englischsprachigen Raum. Experimentierfreudig geht anders. Weil die Besitzer nun US-Medienleute sind, so wird erwartet, schreitet die Disney-Fixierung weiter voran. Bewährtes landet in Stuttgart zum zweiten Aufguss. Neue Stücke kommen nach Hamburg oder Berlin.

Auch wenn Stuttgart nur die zweite Wahl bei der Showverteilung ist, spielen die hiesigen Ticket-Preise in der Spitzenklasse. Wer Disneys „Aladdin“ samstagabends besucht, zahlt vorn schlappe 179,90 Euro. Kritik an saftigen Preisen weist die Stage mit dem Hinweis zurück, man bekomme keine Subvention und müsse Geld für die Stoffentwicklung zurücklegen. Und bei günstigeren Preisen würden nicht mehr Besucher in die Theater strömen, heißt es bei dem Konzern.

„Aladdin“ ist nach der Euphorie des Starts oft ausgebucht. Zum 25. Geburtstag gibt sich das Musical in Stuttgart stark wie selten in seiner wechselvollen Geschichte. Musical ist betreutes Träumen mit viel Leidenschaft, großen Gefühlen und Herzschmerz. Wenn das Publikum für gutes Geld Superleistungen erhält, blüht die Illusion ohne Reue. Bei den Preisen ist nun aber endgültig ein Niveau erreicht, das nicht mehr weiter steigen darf. Sonst leidet Stuttgarts große Musicalliebe.

uwe.bogen@stzn.de