Bewährungsstrafe für Überfall auf Spielcasino

Ein Jugendarrest zeigt bei einem 20-Jährigen Wirkung. Reue und Entschuldigungen werden im Urteil berücksichtigt.

Bewährungsstrafe für Überfall auf Spielcasino

BilderBox.com/Erwin Wodicka

Von Hans-Christoph Werner

MURRHARDT/WAIBLINGEN. Ein 20-Jähriger musste sich vor dem Jugendschöffengericht Waiblingen wegen räuberischer Erpressung, Körperverletzung und Diebstahls verantworten. 2019 häufen sich in Murrhardt die Überfälle. An den Tatorten fand die Polizei keine verwertbaren Spuren. Aufnahmen einer Überwachungskamera blieben ohne Aussagekraft. Man sieht die maskierten Täter nur kurz durchs Bild huschen. Ein Funkzellenabgleich zur Tatzeit erwies sich als zu aufwendig. Allein das stand für die Ermittler fest: Die Täter müssen aus der Stadt kommen, denn sie waren stets zu Fuß geflüchtet. Schließlich erhält die Polizei einen Insidertipp. Der junge Mann wird überprüft, sein Zimmer in der elterlichen Wohnung durchsucht, das Handy beschlagnahmt. Und siehe da, auf dem Handy verräterische Mitteilungen an die Freundin. Mit Anklageschrift skizziert die Staatsanwältin drei Taten des Angeklagten. Die Befragung von acht Zeugen fügt Puzzleteil an Puzzleteil.

Gemeinsam mit seinem Freund soll der 20-Jährige im November 2019 eine Spielhalle überfallen haben. Dabei bedroht das Duo eine 56-jährige Mitarbeiterin und einen zufällig anwesenden Lieferanten von Backwaren mit einer Schreckschusspistole. Als die Angestellte 600 Euro aus der Kasse nimmt und dem Duo übergibt, gelingt es ihr, Alarm auszulösen. Bis die Polizei eintrifft, sind die Räuber allerdings zu Fuß in der Innenstadt abgetaucht.

Nur zehn Tage später geht der 20-Jährige alleine los, mit der Schreckschusspistole seines Freundes in der Tasche. Diesmal will er eine Toto-Lotto-Annahmestelle plündern. Die 53-jährige Angestellte erweist sich als sehr resolut. Die Anweisung des jungen Mannes „Geld her!“ kontert sie mit: „Du kriegst keins!“ Als die Frau ihn zurückdrängen will, tritt er ihr gegen den Schenkel. Sie geht zu Boden, erhält zwei Tritte gegen den Kopf, schreit wie am Spieß und hat noch die Kraft, einen Mülleimer und einen Alukoffer gegen den Eindringling zu werfen. Dieser macht sich ohne Beute davon.

Im Juli 2020 hat es der junge Mann zu später Stunde eilig. Er will zu Fuß in Waiblingen die letzte S-Bahn Richtung Backnang erreichen. Schneller freilich wäre der Weg mit einem Fahrrad zu machen. Just da entdeckt der 20-Jährige, der mit einem Unbekannten unterwegs ist, ein an ein Haus gelehntes Mountainbike. Einer der beiden steigt über den Zaun. Zu zweit hieven sie das Fahrrad über den Zaun und machen sich davon. Doch der Besitzer bemerkt die Aktion und nimmt mit seinem Pkw die Verfolgung auf. Stundenlang kurvt er, zum Teil mit Unterstützung von Ehefrau und Sohn, durch das Wohngebiet. Irgendwo müssen sich die Diebe versteckt haben. Ein Anrufer meldet bei der Polizei eine verdächtige Person im Gebüsch. So wird der 20-Jährige – sein Kompagnon kann entkommen – entdeckt. Der Radbesitzer kommt dazu und kann den Ursprung der nächtlichen Verfolgungsjagd aufklären.

Zu allen drei Straftaten bekennt sich der Angeklagte freimütig. Warum er das getan habe, will der Richter wissen. In einer Scheinwelt habe er gelebt, sagt der Angeklagte. Dass sein Handeln andere Personen in Mitleidenschaft ziehe, daran habe er nicht gedacht. Vor dem Spielcasinoüberfall hatte er mit seiner Familie gebrochen, schon wochenlang bei seiner Freundin gelebt. Dann brauchte er Geld. Aber das sei, so der Angeklagte, Vergangenheit. Vier Monate nach dem Raddiebstahl musste er wegen einer Drogensache vier Wochen in Jugendarrest. Diese Zeit habe ihn geläutert. Er fand zurück in seine Herkunftsfamilie, hat seitdem einen geregelten Job.

Der Angeklagte bietet den Überfallopfern Schmerzensgeld an.

Bei allen Zeugen bleibt der Angeklagte seinem Vorhaben treu. Er entschuldigt sich, wenn auch manchmal mit ausführlichen Schilderungen seiner damaligen Befindlichkeit. Beiden Frauen, die durch die Überfälle physisch und psychisch geschädigt wurden, bietet er Schmerzensgeld an. Die Staatsanwältin rechnet dem Angeklagten seine Entschuldigungen gegenüber den Opfern wie auch sein Geständnis hoch an. Dass sich die Straftaten während einer „dummen kleinen Zeit“, wie der Angeklagte formuliert hatte, zugetragen haben, will sie ihm nicht so richtig abnehmen. Eine kriminelle „Wahnsinnskarriere“ habe er hingelegt. In der Klassifizierung der Verbrechenstatbestände folge auf Erpressung mit vorgehaltener Pistole nur noch der Mord. Besonders hebt die Anklagevertreterin auf die Lage der Opfer der Überfälle ab. Diese konnten eine Schreckschusspistole nicht von einer echten Waffe unterscheiden und standen deshalb Todesängste aus. Würde bei der Strafzumessung, so die Juristin, Erwachsenenstrafrecht angewendet, so wäre eine Gefängnisstrafe von drei Jahren oder mehr zu erwarten. So aber könne man es bei zwei Jahren auf Bewährung nach Jugendstrafrecht belassen.

Der Verteidiger sieht seinen Mandanten in etwas anderem Licht. Reflektiert sei er, was er, der Verteidiger, bei Gleichaltrigen sonst selten erlebe. Reumütig habe er sich gezeigt. Pläne habe er, in die Familie sei er wieder aufgenommen. Das Strafmaß stellt er in das Ermessen des Gerichts, betont nur, dass die Strafe unbedingt zur Bewährung ausgesetzt sein müsse. Das Urteil des Schöffengerichts folgt dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Zwei Jahre auf Bewährung. Zur Auflage wird dem 20-Jährigen gemacht, an die geschädigten Frauen 800 beziehungsweise 2000 Euro zu zahlen. Auch mit dem Eigentümer des Mountainbikes solle er sich auf Wiedergutmachung einigen.