Biotope werden kartiert

Von der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg beauftragte Experten sind in den kommenden Monaten unter anderem in Backnang, Allmersbach im Tal und Burgstetten unterwegs, um alle gesetzlich geschützten Biotope im Offenland zu erfassen.

Biotope werden kartiert

Bei einer Geländebegehung – wie hier in Rudersberg nahe der Burg Waldenstein – notieren sich die Kartierer rund um Herbert Targan unter anderem, welche Pflanzenarten vorkommen. Foto: privat

Von Lorena Greppo

Rems-Murr. In den Monaten Mai und Juni hat Herbert Targan alle Hände voll zu tun. Zehn bis zwölf Stunden am Tag ist er im Gelände unterwegs, zum Teil auch samstags und sonntags. „Da bin ich abends ganz schön platt“, gibt der Biologe und Geobotaniker vom Planungsbüro Stadt Land zu. Er ist eine von etwa 90 Personen, die im Auftrag der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) unterwegs sind, um Offenlandbiotope zu kartieren. Zwischen zwei und vier Landkreise werden im Jahr abgearbeitet; in diesem Jahr sind neben dem Bodenseekreis sowie den Kreisen Lörrach und Böblingen auch Teile des Rems-Murr-Kreises dran, darunter Backnang, Allmersbach im Tal und Burgstetten. Für diese Kommunen ist auch Targan eingeteilt.

Backnang, weiß er, ist im Vergleich dicht besiedelt, weist eine hohe Freizeitnutzung sowie intensive Landwirtschaft auf. Blumenreiche bunte Wiesen wird der Biologe hier wohl nicht ganz so oft finden. In Allmersbach sei die Landschaft schon vielfäliger, auch weil die Flächen steiler werden und nicht mehr ganz so dicht bebaut sind.

Die Zielsetzung der Aktion sei die systematische Erhebung von Lebensräumen, erklärt Projektleiterin Verena Niegetiet. Sie soll einen Überblick über die Lage, Verbreitung und den Zustand dieser geben. Erfasst werden geschützte Biotope wie Mähwiesen, Wacholderheiden, Nasswiesen und Feldecken im Offenland. Die erhobenen Daten können dann als Grundlage für einen Biotopverbund, eine Landschaftsplanung oder für Schutzgebietsausweisungen dienen. „Die artenreichen Biotope Baden-Württembergs prägen das Landschaftsbild und bieten zahlreichen vom Aussterben bedrohten Arten eine Heimat. Die Kartierungen liefern unverzichtbare Datengrundlagen, um diese Kleinode zu erhalten“, erläutert Werner Altkofer, stellvertretender Präsident der LUBW. Ergebnisse fließen auch in die Förderkulisse der Landwirtschaft ein.

Bei Wiesen gibt es viele Grenzfälle, hier ist Fingerspitzengefühl gefragt

Was aber macht eigentlich ein Kartierer? Im Moment ist vor allem Geländearbeit angesagt. Das bedeutet: Ausgestattet mit Luftaufnahmen durchlaufen die Kartierer das komplette Offenland einer Kommune und schauen, wo es gesetzlich geschützte Bioope gibt. Idealerweise passiert dies vor der ersten Mahd, im Zweifelsfall kommen die Kartierer aber auch später noch einmal, falls sie vor einem frisch gemähten Grundstück stehen. Äcker sind nicht von Interesse, weshalb Herbert Targan im Backnanger Süden etwa mit dem Auto unterwegs sein wird und sich nur die Wiesenstücke genauer anschaut. Um zu erkennen, wann eine Wiese beispielsweise als Mähwiese gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) gilt, ist Fachkenntnis gefragt. „Wenn auf einer Wiese hauptsächlich Löwenzahn und Wiesen-Fuchsschwanz blühen, handelt es sich um eine Fettwiese. Um das zu sehen,muss ich nicht alles abgehen“, sagt Targan. Allerdings sei es nicht immer so leicht mit der Einordnung. Vor allem Wiesen seien eine schwierige Geschichte, hier gebe es viele Grenzfälle. „Da ist Fingerspitzengefühl erforderlich“, führt er aus. Zudem spreche man sich mit Kollegen oder Mitarbeitern des Betreuungsbüros ab. So sei auch die Qualität der Kartierung vergleichbar.

Für eine Schnellaufnahme wird ein fünf mal fünf Meter großes Stück, welches repräsentativ für die Fläche ist, zehn Minuten lang untersucht. Werden in diesem Zeitraum mehr als 20 Arten entdeckt, so gilt die Wiese als artenreich. Vor Kurzem habe er bei einer Schnellaufnahme 45 Arten entdeckt, berichtet der Biologe. „Das ist ein Highlight. Der Standard sind zwischen 25 und 30 Arten.“ Auch zeichnen sich verschiedene Wiesen durch das Vorhandensein sogenannter Kennarten aus. Auf einer Glatthaferwiese beispielsweise findet man neben der namengebenden Pflanze auch Wiesenlabkraut oder Wiesen-Storchschnabel. Geprüft wird auch, ob die Wiesen mager sind und wie hoch das Vorkommen von Nährstoffanzeigern wie Löwenzahn, Wiesenkerbel und Giersch ist.

Sind diese und weitere Kriterien erhoben, vergibt der Kartierer als letzten Schritt jeder Fläche eine Note. Von den etwa 70 Wiesen, die Herbert Targan in den vergangenen Tagen und Wochen kartiert hat, seien die meisten in schlechtem Zustand, berichtet er. Zwischen 60 und 70 Prozent der Flächen hätten die Bewertung C bekommen. Die Bestnote A hätten lediglich fünf bis zehn Prozent der Wiesen bekommen.

Zum Teil sei es dramatisch, wie wenig das Potenzial der Wiesen genutzt wird, sagt Targan und erklärt: „Die Artenvielfalt geht mit nachlassender Nutzung zurück.“ Weniger stark sei hingegen der Einfluss von Wetter. Extremphänomene wie Dürresommer machten sich erst bemerkbar, wenn sie öfters hintereinander auftreten. Das zeige sich, wenn für den Eigentümer die zweite Mahd nicht mehr lohne. Für die Eigentümer ergeben sich übrigens auch Änderungen, sollte ihr Grundstück als geschütztes Biotop ausgewiesen werden. So dürfte die Nutzung auf einem FFH-Lebensraumtyp beispielsweise nicht intensiviert werden, erklärt Niegetiet. Alle Veränderungen und Störungen, die sich negativ auf die Fläche auswirken, sind verboten. Allerdings, fügt sie an, ergeben sich auch Vorteile für die Eigentümer: Etwa könne man für deren Erhalt eine Förderung bekommen.

Bis in den Herbst werden die Lebensräume in der Region erfasst

Zweck Kartierungen dienen als wichtige Grundlage zur Bestandsaufnahme und Bewahrung von bedeutenden Biotopen für Naturschutz und Landwirtschaft. In Baden-Württemberg verantwortet die LUBW diese Aufgabe. Dabei werden auch artenreiche Mähwiesen erfasst, für deren Erhalt Baden-Württemberg eine besondere Verantwortung in Deutschland trägt.

Gesetzliche Grundlage Das Naturschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg sieht eine regelmäßige Aktualisierung der gesetzlich geschützten Biotope vor. Eine weitere gesetzliche Grundlage ist die europäische Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, kurz FFH-Richtlinie). Im Rahmen der Berichtspflicht zur FFH-Richtlinie müssen alle Mitgliedsstaaten Daten zum Vorkommen und zur Verbreitung erheben und alle sechs Jahre an die EU melden.

Zeitraum Die Kartierungen haben begonnen und erstrecken sich bis in den Herbst. Im Rahmen der Erhebungen ist es den fachlich versierten Kartierenden als Beauftragten der LUBW grundsätzlich erlaubt, Grundstücke im Gelände ohne vorherige Anmeldung zu betreten.

Rückblick Die letzte Kampagne zur kompletten Erfassung der Offenlandbiotope in allen 1101 Gemeinden Baden-Württembergs wurde in den Jahren 1992 bis 2004 durchgeführt. Der derzeit laufende Durchgang startete im Jahr 2010. 796 Gemeinden wurden seitdem erfasst. Nach Abschluss der diesjährigen Erhebungen werden die Daten der Öffentlichkeit über den Daten- und Kartendienst der LUBW gegen Ende 2023 zur Verfügung gestellt. Die Kartierergebnisse aus den letzten Jahren bis einschließlich 2020 sind hier bereits abrufbar.

Regionale Besonderheiten

Jeder Kreis beherbergt bedeutende Biotope und Besonderheiten. Im Rems-Murr-Kreis sind neben Trockenmauern und Hohlwegen auch zahlreiche Nasswiesen als Besonderheiten zu verzeichnen. Im Rems-Murr-Kreis werden in diesem Jahr folgende Kommunen kartiert: Allmersbach im Tal, Backnang, Berglen, Burgstetten, Fellbach, Kernen im Remstal, Korb, Remshalden, Rudersberg, Waiblingen und Weinstadt.