Gedenkveranstaltung mit Steinmeier in Berlin

Bisher erst 20 Visa an Betroffene des Erdbebens erteilt

Die von der Bundesregierung verkündeten Visaerleichterungen greifen nicht, beklagt die Türkische Gemeinde in Deutschland. Darauf deutet auch die Zahl der bisher erteilten Visa hin.

Bisher erst 20 Visa an Betroffene des Erdbebens erteilt

Frank-Walter Steinmeier nahm an einer Gedenkveranstaltung am Brandenburger Tor teil.

Von Jan Sellner

Zwei Wochen nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit bisher mehr als 47 000 Toten hat sich die Türkische Gemeinde in Deutschland mit einem eindringlichen Appell für weitere Visaerleichterungen an die Bundesregierung gewandt. Sie könne Erdbebenopfern schnell und kostenlos helfen, „indem sie die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen anpasst, damit Betroffene aufgenommen werden können“, sagte der aus Stuttgart kommende Bundesvorsitzende Gökay Sofuoğlu anlässlich einer Gedenkveranstaltung am Brandenburger Tor, an der am Montagabend Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilnahm.

„Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt!“

Die Aufnahmebereitschaft in der türkischen Community in Deutschland sei groß. Die Bundesregierung müsse „unbedingt erleichterte Visabestimmungen folgen lassen. Es ist wirklich absurd, dass die Menschen aus den Erdbebenregionen ihre Pässe, Nachweise der Krankenversicherung oder ein biometrisches Foto vorlegen sollen“, sagte Sofuoğlu. Das sei in der aktuellen Notsituation kaum möglich. „Menschen aus Deutschland muss es erlaubt werden, einige dieser Nachweise selbst zu liefern, aber noch besser wäre es, die Bürokratie auf ein echtes Minimum zu reduzieren“, betonte er. Auch angesichts von Nachbeben müssten die Menschen so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht werden. „Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt!“, sagte Sofuoğlu.

Bundesregierung besteht auf einem gültigen Reisepass

Die Bundesregierung hatte vergangene Woche Visaerleichterungen zugesagt, besteht jedoch weiterhin unter anderem auf einem gültigen Reisepass als Voraussetzung für ein Visum, das zu einem dreimonatigen Aufenthalt bei Verwandten in Deutschland berechtigt.

Der Co-Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Aslıhan Yeşilkaya-Yurtbaye, forderte ein noch weiter gehendes Entgegenkommen: „Den Menschen, die keine Familie ersten und zweiten Grades in Deutschland haben, können wir nicht sagen ‚dein Nachbar wird in Sicherheit nach Deutschland gebracht, du aber nicht, sorry‘.” Auch ihnen müsse geholfen werden, bis sie in ihrer Heimat wieder eine Perspektive hätten. Innerhalb von 90 Tagen sei dies nicht möglich. „Daher muss die Bundesregierung die Aufenthaltsdauer deutlich verlängern und Programme für Wiederaufbauhilfen auflegen“, forderte er.

Die Zahl der bisher bewilligten Visa für Erdbebenopfer ist verschwindend gering. Auf Anfrage unserer Redaktion ließ das Auswärtige Amt wissen: „Bis Freitagnachmittag haben unsere Auslandsvertretungen in der Türkei in dem seit 13. Februar laufenden vereinfachten Verfahren 20 Visa ausgestellt.“ In welche Regionen in Deutschland die Betreffenden untergebracht seien, sei aus den Daten nicht ersichtlich.

Faeser und Baerbock reisen ins Erdbebengebiet

Die baden-württembergischen Landtagspräsidentin Muhterem Aras erklärte, die Ausstellung von Reisepässen in der Türkei benötige laut türkischem Konsulat mehrere Wochen. In einem Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sie am Wochenende gefordert, Personalausweise als Identitätsnachweis zu akzeptieren. Eine Antwort des Bundesinnenministeriums steht noch aus.

Faeser und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wollen am Dienstag gemeinsam in die Türkei reisen und sich dort Ort ein Bild von den deutschen Hilfsgüterlieferungen machen, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Montag mit.