Boeings, Babysund Balance

Katrin Junker arbeitet am Stuttgarter Flughafen, als Kinderkrankenschwester am Olgahospital und als Yogalehrerin

Von Viola Volland

Diese Frau hat verdammt viel Energie: Katrin Junker aus Stuttgart hat nicht nur einen, sondern gleich drei Jobs. Und zwar nicht wegen des Geldes, sondern aus Leidenschaft.

Stuttgart Das Handy am Ohr, steht Katrin Junker an einem Dienstagvormittag auf dem Vorfeld desManfred-Rommel-Flughafens. Position 11 ist bereit. Es liegen keine scharfen Gegenstände auf der Bahn, das hat sie kontrolliert. Jeden Moment erwartet sie eine Maschineaus Tegel, einen Airbus 319. „Die Katrin hier, mit der Eurowings Tegel, haben wir irgendwelche Specials?“, spricht sie ins Telefon. „Keine Specials, alles klar.“ Nichts Spezielles zu beachten.

Junker ist Ramp-Agent, auf Deutsch Rampen-Agentin. Sie ist eine von 16 Frauen, die diese Arbeit am Stuttgarter Flughafen machen – und eine, die heraussticht. Denn die 37-Jährige kennt sich nicht nur auf dem Vorfeld bestens aus, sondern auch im Kinderkrankenhaus. In ihrem „richtigen Leben“, wie sie sagt, ist sie Kinderkrankenschwester imOlgahospital, als stellvertretende Leiterin der Neonatologie, der Station für kranke Neugeborene. Und nebenher bringt sie an zwei Abenden die Woche als Yogalehrerin Männer und Frauen zum Schwitzen.

Ihr Ex-Freund, ein Pilot, hatte sie auf den Job als Ramp-Agent aufmerksam gemacht. Vor zwei Jahren hat die Stuttgarterin angefangen. Einmal die Woche steht sie seither auf dem Vorfeld, in grellgelber Warnweste und Sicherheitsschuhen – bei Sonne, Regen, Wind, Schnee. Nicht wegen des Geldes macht sie das. Seit sie in ihrem Hauptberuf auf 80 Prozent reduziert hat, verdiene sie unterm Strich sogar weniger. Die Arbeit am Flughafen, sagt sie, sei für sie der Ausgleich zur Arbeit in der Klinik. Flugzeuge nennt sie ihre Leidenschaft. Katrin Junker, die mit Flughafen-Blick wohnt, kennt alle Typen. Es wäre ihr Traum, eine A380 abzufertigen. Doch der Riesenjet landet nicht in Stuttgart.

Um 5.45 Uhr war an diesem Tag Schichtbeginn. Die Eurowings ist ihre sechste und letzte Maschine des Tages. Eben hat sie auf Position 54 eine Flybe abgefertigt, jetzt ist die Maschine aus Tegel dran. Als Ramp-Agent koordiniert sie die Abläufe auf dem Vorfeld – bei ihr laufen alle Informationen ein. Wie die mit den „Specials“. Das sind Fluggäste mit besonderen Bedürfnissen: Rollstuhlfahrer, Kinder, die ohne Eltern reisen, Tiere. Noch ein Anruf: Sie notiert Zahlen zu Passagieren, Gepäckstücken, Gewicht. „312 Kilo, alles klar.“

Mit Gehörschutz auf dem Kopf nähert sich Junker der Schnauze des Flugzeugs. Eine Klappe geht auf, sie verbindet sich über ein langes Kabel mit dem Cockpit, nun kann sie mit dem Piloten sprechen. Sie stellt sich in Sichtweite auf. Dann gibt sie das Signal: beide Arme nach oben, die Daumen nach innen. Die Bremsklötze liegen in Position.

Nun wird es hektisch. Katrin Junker hat erst mal keine ruhige Minute mehr und legt in der nächsten halben Stunde reichlich Meter zurück. Sie geht zum Gepäcklademeister, zum Tankwagen, einmal ums Flugzeug, prüft, ob der Airbus Schäden hat. Weiter ins Cockpit, zurück zum Tankwart – 5,4 Tonnen Kerosin soll er tanken. Sie holt am Gate, wo die Abfertigung der Passagiere nach Berlin läuft, die Passagierliste. Kaum ist sie zurück, klingelt erneut das Handy. Mehrere Fluggäste seien nicht aufgetaucht, erfährt sie. Das Problem: Einer habe Gepäck eingecheckt. Die Gepäckstücke sind schon verladen, der Koffer des Mannes muss wieder raus. Sie informiert den Lademeister – und kann Momente später die Suche abblasen. Der Mann hat es doch in den Flieger geschafft.

Wenige Minuten später: Katrin Junker hat den Airbus auf den Weg Richtung Startbahn gebracht, das Schichtende naht. Bevor sie ins Auto steigt, um zum Kontrollposten zu fahren, tut sie, was sie jetzt immer macht: Sie zieht ein Fläschchen Händedesinfektionsmittel aus der Hosentasche. „Ein Relikt aus der Klinik“, sagt sie und lächelt.

Hände desinfizieren – damit beginnt auch ihr Arbeitstag im Stuttgarter Kinderkrankenhaus Olgahospital. Katrin Junker trägt nun, drei Tage später, Schwesternkleidung: hellgrünes Hemd, weiße Hose, dazu Turnschuhe. An den Flughafen erinnern nur ihre Ohrstecker in Form kleiner Flugzeuge. Sie wusste schon mit 15, dass sie Kinderkrankenschwester werden wollte. Auslöser war die Geburt ihres Cousins, der zu früh auf die Welt kam. Als sie ihn als zartes Wesen damals das erste Mal im Krankenhaus sah, war ihr klar, dass genau das einmal ihre Aufgabe werden sollte: Frühchen versorgen. Auch während der Ausbildung, in der sie verschiedenste Abteilungen durchlief, änderte sich der Wunsch nicht mehr. „Ich wollte immer zu den Babys.“

Auf ihrer Station, der Neonatologie 2, liegen die Frühchen, die nicht auf Beatmung angewiesen sind, außerdem kranke Neugeborene und Mehrlinge. Auch Säuglinge aus derBabyklappehaben sie schon aufgenommen. Es berührt sie, wenn sie Babys so ganz allein auf der Neo liegen sieht. „Da nehme ich mir auch die Zeit, sie zu halten“, sagt sie. Ein besonderes Bedürfnis nach Nähe hätten auch Babys von drogenabhängigen Müttern, die auf Entzug ins Leben starten. Sie seien oft sehr unruhig. Gerade ist kein derart belastetes Kind auf Station. Es ist nach 9 Uhr, drei Stunden sind seit Schichtbeginn vergangen. In den Zimmern ist es ruhig. 22 der 24 Bettchen sind belegt, alle Babys sind gewaschen, angezogen, gefüttert und schlafen.

Jetzt ist Kobra dran, in ihrem Büro. Das ist in diesem Fall keine Yoga-Ãœbung, sondern ein Dokumentationsprogramm. Ist es nicht anstrengend, zwei Schichtjobs zu kombinieren? „Nein“, sagt sie, das erleichtere es sogar. „Ich schichte gerne“, einen Job von 9 bis 17 Uhr könne sie sich nicht vorstellen.

Kobra ist erledigt, Katrin Junker geht zum Stützpunkt der Station, richtet Medikamente, schaut, in welchen Zimmern Unterstützung benötigt wird. Um 10.30 Uhr zum Beispiel in einem Vierbettzimmer. Die nächsten Milchfläschchen stehen an. Junker zieht sich einen Kittel über, beugt sich über das Bettchen eines Jungen. Seine Verdauung hat gut gearbeitet. „Na, da hat mir einer ein Geschenk gemacht, wie das duftet“, sagt sie mit zärtlicher Stimme. Sie löst mit geübten Handgriffen die Kabel, die mit dem Ãœberwachungsmonitor verbunden sind. Der Junge streckt ein Füßchen hoch in die Luft. Sie wickelt ihn, ölt ihm die Beine ein. „So, gleich geht’s los, dann kriegst du dein Essen.“

Sie desinfiziert sich die Hände, nimmt das Baby auf den Arm, legt es sich, gestützt auf eine Lagerungsrolle, auf den Schoß, wie das auf Station bei Frühchen üblich ist. „Jetzt geht’s los, mein Kleiner.“ Der Junge hält sich an ihrem Daumen fest, während er am Fläschchen saugt. 60 Milliliter Milch soll er trinken. Das dauert seine Zeit, aber er schafft es – und darf zurück ins Bettchen. Er gähnt – und schläft. Junker zieht die Spieluhr auf.

Das Diensthandy klingelt. Eine Kollegin ist dran mit schlechten Nachrichten. Sie ist krank, fällt für mindestens drei Tage aus. Also Hände desinfizieren und zurück ins Büro. Es ist ihre Aufgabe, Ersatz zu suchen. Sie schreibt die Dienstpläne für die Station, inklusive Nachtschichten und Wochenenddiensten. Es erinnert sie an das Spiel „Tetris“. „Ich liebe es, Fortschritte zu sehen: wenn der Dienstplan fertig ist, das Flugzeug pünktlich rausgeht – oder die Yogateilnehmer glücklich nach Hause gehen.“

Sie treibt viel Sport – und Yogalehrerin ist ihr dritter Job. Zweimal die Woche fährt sie in den Stuttgarter Westen, um in einem Studio zu unterrichten. Das Training beginnt um 19 Uhr. Man merkt Katrin Junker nicht an, dass sie seit 14 Stunden auf den Beinen ist. Sie wirkt immer noch frisch.

„Wir starten in der Kindspose“, gibt sie als erste Anweisung mit ruhiger Stimme. Es folgen viele weitere Figuren, in ihren Kursen geht es sportlich zu. Mal macht sie die Ãœbungen vor, mal geht sie zwischen den Teilnehmern umher, korrigiert hier und da eine Stellung, drückt einen Fuß hinunter, damit es stärker zieht – und erinnert daran, tief zu atmen. Die Yogafiguren wechseln sich ab: das Brett, der Hund, die Kobra, der Krieger. In zahlreiche Stellungen bringt sie die sechs Frauen und zwei Männer, die diesmal dabei sind, in den 75 Minuten. „Es darf mehr oder weniger elegant aussehen“, sagt sie milde, als eine Frau das Gleichgewicht verliert – und als sie es dann doch schafft, die Figur einzunehmen, folgt prompt das Lob: „Ein Träumchen!“

Schließlich liegen alle Teilnehmer entspannt auf dem Rücken, zwei Frauen haben sich zugedeckt. Katrin Junker löscht das Licht, sitzt hinter einer Kerze im Schneidersitz. Sie schickt alle auf eine gedankliche Reise, weit weg von der Matte, auf eine Blumenwiese oder an den Strand oder ins Bett. „Versucht, ganz einfach eurem Atem zu lauschen“, sagt sie. Dann ist sie still bis zum Abschluss. „Ich wünsche euch einen wunderschönen Abend. Namaste.“ Alle Kursteilnehmer verlassen den Raum. Katrin Junker rollt ihre Yogamatte ein. Jetzt fehlt nur noch eines. Sie greift in ihre Tasche, holt das Fläschchen Sterillium heraus. Der Arbeitstag ist beendet.