ARD-Talkshow Maischberger

Boris Palmer: „Sehr klares Koalitionsangebot“ an AfD denkbar

Der Tübinger OB Boris Palmer liefert sich in der ARD mit Juso-Chef Philipp Türmer einen heftigen Schlagabtausch. Kontrovers geht es um Rente, Migranten und die AfD.

Boris Palmer: „Sehr klares Koalitionsangebot“  an AfD denkbar

Der Tübinger OB Boris Palmer zu Gast bei Sandra Maischberger.

Von Christoph Link

Auch Ex-Finanzminister Christian Lindner hatte am Donnerstag am Ende der Talkrunde von Sandra Maischberger einen Auftritt und monierte die „hämischen Kommentare“, die er über seinen neuen Job bei einem Autohändler zu hören hat. Doch dazu später, denn durchaus spannend war das Wortgefecht, dass sich zunächst die Hauptgäste lieferten: der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer und der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos, Ex-Grüner), den die Moderatorin als „den berühmtesten Bürgermeister dieses Landes“ vorstellte. Der Schlagabtausch ging los mit dem in der SPD laufenden Mitgliederbegehren gegen die Bürgergeldreform, die schärfere Sanktionen bringt. Er halte es für falsch, so der Juso Türmer, dass einem Bürgergeldempfänger, nur wenn er einen Brief vom Jobcenter nicht öffne, gleich die Leistungen und die Miete gestrichen werde. „Das geht nicht. Wir müssen in unserem Sozialstaat einen gewissen Standard sichern.“ Sonst werde das Heer der Obdachlosen noch größer.

Palmer lobt Widerstand der JU

Schon da ging Boris Palmer auf Gegenkurs, da baue Türmer einen Popanz auf. Denn in den Behörden arbeiteten „keine mitleidlosen, unbarmherzigen Trottel“, sondern Mitarbeiter mit Augenmaß und in Tübingen werde jedem Obdachlosen eine Unterkunft angeboten. „Der Ernst der Lage“ sei aber doch ganz woanders, und zwar in der schlimmsten Industriekrise seit Gründung der Republik und gleichzeitig der schlimmsten Finanzkrise der Kommunen. Es gehe jetzt darum, die Belastung für Arbeitnehmer und Betriebe zu senken, gerade bei den Sozialbeiträgen, und deshalb gehe es mit der jetzigen Rentenpolitik auch nicht so weiter. Denn mit ihr werden die Rentenbeiträge von 18,6 Prozent derzeit schon in vier Jahren auf 20 Prozent ansteigen. Und der demografische Wandel werde die Belastung noch erhöhen. Mit dem avisierten Rentenpaket der Koalition und der langfristigen Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent werde eine Politik „gegen die Mathematik und die Interessen der jüngeren Generation gemacht“, meinte Palmer. Er riet den Jusos, sich dem Widerstand der Jungen Union gegen den Gesetzentwurf von Ministerin Bärbel Bas (SPD) anzuschließen.

Einigkeit bei der Vermögensfrage

Türmer wollte davon selbstverständlich nichts wissen, auch er wolle einmal als Rentenzahler von der gesetzlichen Rente leben und das durchschnittliche Rentenniveau liege nur 100 Euro über der Armutsgrenze. „Es gehört zur Generationengerechtigkeit, dass die Rente nicht kaputt gespart wird.“ Türmer forderte eine grundlegende Rentenreform, die Einbeziehung von Selbstständigen, Beamten und Politikern ins Rentensystem und ein stärkeres Zur-Kasse-Bitten der Vermögenden. Zumindest in dem Punkt gab ihm Palmer recht. Der nächste Zwist lauerte aber schon beim Thema Migrationspolitik: Da vertrat Türmer den Standpunkt, dass Migranten ständig zu Unrecht mit Kriminalität in Zusammenhang gebracht werden. Tübingen habe nur einen Migrantenanteil von 18,6 Prozent, seine Heimatstadt Offenbach aber habe 65 Prozent Migrantenanteil. „Wir sind in Offenbach aber die sicherste Großstadt in Hessen und die viertsicherste Deutschlands.“ Palmer wertete dies als „billigen Taschenspielertrick“, denn es gehe in seinen Warnungen vor Ausländerkriminalität nie um die Migranten an sich - um den Arbeiter am Band in Stuttgart oder die Krankenschwester in Offenbach- sondern um die Straftaten von Geflüchteten. Und da zeige die Statistik der Polizei bei Afghanen, Irakern und Syrern eine sechsfache höhere Quote als ihr Bevölkerungsanteil ausmacht. Manche leugneten den Klimawandel und „andere die Realität von Gewalt“, meinte Palmer. Türmer hatte vorgeschlagen, man müsse die sozialen Ursachen von Gewalt bekämpfen, auch Palmer leuchte das ein, aber man brauche dazu auch „harte Maßnahmen“ mit Repression und Polizei.

Moderatorin rügt Palmer

Auch beim Umgang mit der AfD trennten beide Studiogäste Welten. Palmer plädierte dafür, angesichts von Umfragewerten von 40 Prozent in ostdeutschen Ländern „die AfD begrenzt in Verantwortung zu nehmen“. Was gebe es denn für eine Alternative, fragte er. „Ich gehe pragmatisch an die Sache ran.“ Denkbar sei, dass die CDU einen Ministerpräsidenten stelle und auch den Verfassungsminister – um Risiken für die Verfassung auszuschließen – und dass man der AfD ein „sehr klares Koalitionsangebot“ mache.

Wie erfolgreich eine solche Regierung sei, werde dann man sehen. Laut ihrem Wahlprogramm, wo die AfD beispielsweise ein Rentenniveau von 70 Prozent fordere, verfüge die AfD aber über „noch weniger Realismus als Herr Türmer und die Jusos“. Diese Bemerkung ist von Moderatorin Maischberger gerügt worden. „Herr Palmer, Sie werden schon wieder persönlich, wo es doch auch sachlich ginge.“ Türmer hingegen nahm es gelassen, er hält es für „sehr gefährlich“, die AfD in Regierungsverantwortung zu nehmen und erinnerte an das Ende der Weimarer Republik. Es gebe gute Gründe für ein Verbotsverfahren gegen die AfD, da müsse man „endlich Nägeln mit Köpfen machen“. Könne man machen, meinte Palmer: „Aber das geht schief, das prophezeie ich Ihnen.“

Lindner erklärt seinen Autohandel

Aktuelle Fragen nach der AfD oder einer möglichen Minderheitsregierung der Union wollte der Studiogast Lindner, Liberaler und Ex-Finanzminister, nicht beantworten. Er sei jetzt kein Parteipolitiker mehr und sei nicht verpflichtet, sich zu allem eine Meinung zu bilden. Auf die Frage von Maischberger, was er in der Ampel-Regierung falsch gemacht habe, entgegnete Linder, das habe sie ihn doch schon früher einmal gefragt. Es sei die Reaktion auf das Haushaltsurteil von Karlsruhe gewesen, da sei der Ampel das Geld ausgegangen und man hätte sich neu verständigen müssen. Am Rentenpaket von Schwarz-Rot bemängelte Lindner, dass die Balance nicht stimme und es zulasten der Jüngeren gehe, vor allem wenn man bedenke, dass die ein Jahr ihres Lebens vielleicht auch noch für die Wehrpflicht opfern müssten. Seinen neuen Job bei einem mittelständischen Autohändler erklärte Lindner damit, dass er schon immer für die „individuelle Mobilität mit dem Auto ein Herz“ gehabt habe. „Wir haben Gebrauchtwagen, Neuwagen und Jahreswagen“, sagte er über das Sortiment. Manche hätten gedacht, er würde jetzt Hedgefonds-Manager in New York werden, berichtete Lindner und er sei überrascht von manchen Reaktionen auf seine Entscheidung: Die Mischung Auto, Mittelstand und Sandersdorf – ein Ort in Ostdeutschland – habe für einige„hämische Kommentare“ gesorgt. Das zeige doch, das was „schief“ laufe in Deutschland. Lindner selbst will daran nichts ändern. Er habe nach 25 Jahren keine Sehnsucht, wieder für politische Ämter zu kandidieren: „Jetzt sind andere dran.“