Vor Corona-Crash? - Autobranche blickt auf finstere Monate

Von Von Jan Petermann, Andreas Hoenig und Nico Esch, dpa

dpa Berlin/Hannover. Die Finanzkrise machte staatliche Stützungsmilliarden nötig, der Abgasskandal kostete viel Geld und Vertrauen. Jetzt steht die Autoindustrie vorm nächsten Härtetest: Covid-19 lässt die Nachfrage massiv sinken. Und es könnte noch ungemütlicher werden.

Vor Corona-Crash? - Autobranche blickt auf finstere Monate

Der VDA sieht die Auto-Branche infolge der Corona-Krise schwer unter Druck. Foto: Jan Woitas/ZB/dpa

Wie lange geht das gut? Die Autohersteller sind von der Corona-Krise bereits schwer getroffen. Viele Fabriken bleiben vorübergehend geschlossen, im März brachen die Absätze nach dem Marktabsturz in China nun auch in Deutschland ein.

Um 38 Prozent gingen die Neuzulassungen im abgelaufenen Monat zurück, wie der Branchenverband VDA am Freitag meldete. Das war der höchste Rückgang seit der Wiedervereinigung. Gleichzeitig produzierten die Hersteller 37 Prozent weniger Einheiten. Doch die große Phase der Unsicherheit dürfte für die deutsche Schlüsselindustrie jetzt erst richtig beginnen.

Bangen in der Leitbranche: Über 800 000 Menschen arbeiten bundesweit bei Autobauern und Zulieferern. Weltweit stehen die meisten Werke still - Infektionsrisiken konnten teils nicht ausreichend verringert, wichtige Teile nicht mehr beschafft werden. Lieferketten sind gekappt, Beschäftigte warten auf die Rückkehr an den Arbeitsplatz. Viele Firmen haben ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt oder versuchen, den Nachfrageeinbruch durch Urlaubsausgleich und Nutzung der Arbeitszeitkonten abzufedern.

„Wir stehen vor einer Herausforderung in bisher nie gekanntem Ausmaß“, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Wie lange die Krise anhält, ist unklar. Der Branchenexperte Stefan Bratzel erwartet, dass der globale Automarkt in diesem Jahr um 17 und in Europa um 21 Prozent absacken könnte - ein noch relativ optimistisches Szenario, das von Beschränkungen des öffentlichen Lebens auf höchstens acht Wochen ausgeht. Es werde „erhebliche Verwerfungen“ geben.

VW, Audi, Porsche: Volkswagen hat die Produktionsunterbrechung in allen deutschen Werken gerade bis zum 19. April verlängert, 80 000 Menschen sind in Kurzarbeit. In vielen weiteren europäischen Fabriken sowie in Amerika und Russland ruht der Betrieb ebenfalls. Laut Konzernchef Herbert Diess verliert VW im „Shutdown“ pro Woche bis zu zwei Milliarden Euro an Liquidität: „Wir machen keinen Absatz, wir machen keinen Umsatz außerhalb Chinas.“ Die Finanzsparte legte neue Anleihen im Volumen von 2,15 Milliarden Euro auf. Markenfinanzchef Alexander Seitz betonte: „Die Corona-Krise ist beispiellos und wird ohne Zweifel Einfluss auf die Geschäftsentwicklung haben.“

Die Tochter Audi fuhr ihre Werke in Europa und Mexiko herunter, dem Betriebsrat zufolge stehen die Bänder „voraussichtlich für längere Zeit“ still. Porsche geht am Montag in die dritte Schließungswoche, am Stammsitz in Stuttgart-Zuffenhausen und in Leipzig ist Kurzarbeit angesagt. Vorstandschef Oliver Blume fährt „auf Sicht“. Für das erste Quartal rechnet er mit einem Absatzrückgang um etwa zehn Prozent.

Daimler, BMW, Opel: Bei Daimler sollte eigentlich das Sparprogramm von Vorstandschef Ola Källenius Fahrt aufnehmen. Nach einem harten Jahr mit Gewinneinbruch hat der Konzern schon genug Probleme. Seit zwei Wochen steht die Produktion nun weitgehend, am Montag gehen Zehntausende Beschäftigte für zunächst zwei Wochen in Kurzarbeit. In einem Überlebenskampf sehe er Daimler nicht, sagte Källenius in einem BBC-Interview. Aber klar ist: Sehr lange darf der Zustand nicht anhalten. Zur Sicherheit hat Daimler mit mehreren Banken eine Vereinbarung über eine neue Kreditlinie von 12 Milliarden Euro geschlossen.

BMW meldete im März für knapp 20 000 Beschäftigte Kurzarbeit an. Die Produktion stoppte, voraussichtliches Enddatum auch hier: 19. April. Der Opel-Mutterkonzern PSA will seine 15 geschlossenen europäischen Werke bald hochfahren, konkrete Termine standen zuletzt nicht fest.

Lage bei Händlern und Zulieferern: Zahlreichen Autohäusern fehlt der Nachschub, aber dort lassen sich derzeit ohnehin kaum Kunden blicken - denn Verkaufsstellen mussten schließen. Dazu kommt die Unsicherheit der Kunden über die wirtschaftliche Entwicklung, Ökonomen erwarten eine tiefe Rezession. Auch Firmenkunden halten sich wegen der schwierigen konjunkturellen Lage zurück.

Zulieferer wie Continental ringen ebenso mit den Krisenfolgen. Im Kerngeschäft mit der Autotechnik und in der Reifensparte stehen 40 Prozent der Standorte still, in Deutschland gilt für 30 000 Menschen Kurzarbeit. Ein Sparkurs greift, Investitionen werden verschoben.

Muss der Staat helfen? In der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 legte die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm für die Autobranche auf. Mit einer Abwrackprämie wurden alte Modelle aus dem Verkehr genommen und Zuschüsse zum Kauf von Neuwagen gewährt. Mit der sogenannten Umweltprämie versucht man, den Absatz von E-Autos in ähnlicher Weise anzukurbeln - mit bisher mäßigem Erfolg. Bratzel mahnt, die Lage sei so ernst, dass es erneut Förderprogramme geben müsse: Es dürften „starke Anreize zur Nachfragestimulation notwendig sein, um eine Wiederherstellung und Stabilisierung der Wertschöpfungskette zu ermöglichen.“ Hilfen zur Liquidität wollen die großen Player bisher nicht in Anspruch nehmen.

Die Ausgangslage ist anders als vor zwölf Jahren. Damals schwappte eine Bankenkrise auf den Realsektor über, heute trifft der „externe Schock“ der Corona-Pandemie die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft. Die besondere Gefahr für die Autoindustrie besteht darin, dass sie schon mitten in einem teuren, kräftezehrenden Umbruch zu E-Mobilität und Digitalisierung steckt - und die Viruskrise kommt noch obendrauf.

Die Bundesregierung ist bemüht, Firmen, Jobs und Strukturen zu erhalten. Ein Stabilisierungsfonds gibt die Möglichkeit, dass sich der Staat notfalls an wichtigen Unternehmen beteiligt - intern wird für die gesamte Wirtschaft bereits vor möglichen Übernahmen durch ausländische Konzerne zum Beispiel aus China gewarnt.

Klimaschutz und Branchenwandel: Mehr alternative Antriebe sind auch deswegen unumgänglich, weil es die Hersteller mit verschärften Klimazielen zu tun haben. Seit Januar schreibt die EU als Höchstwert 95 Gramm CO2 je Kilometer im Flottendurchschnitt vor - bis 2030 soll die Grenze weiter sinken, bei Verstößen drohen Milliardenstrafen. Der VDA warnt vor Plänen der EU-Kommission, im Zuge des „Green Deal“ Vorgaben für die Zeit nach 2030 nun schon weiter zu verschärfen. „Wir müssen die wirtschaftlichen Auswirkungen erst seriös bewerten, bevor wir über mögliche zusätzliche Belastungen sprechen“, sagte Müller.

Optimismus in der Krise: Aber es gibt in manchen Bereichen auch Anlass zur Zuversicht - vor allem beim Blick nach China. Dort erholt sich die Nachfrage, der Betrieb ist nach dem „Corona-Monat Februar“ (Volkswagen) mit heftigen Einbrüchen im wichtigsten Automarkt der Welt jetzt wieder angelaufen. Einige Hersteller versuchen zudem, mit dem zeitweisen Ausweichen auf Medizinprodukte oder Medizintechnik wie Beatmungsgeräte einen Teil der leerlaufenden Kapazitäten zu überbrücken und gleichzeitig das Gesundheitssystem zu unterstützen.