Brandkatastrophe in Backnang jährt sich zum zehnten Mal

Am 10. März 2013 sterben in einem Haus an der Backnanger Wilhelmstraße eine Mutter und sieben Kinder bei einem Brand. Mitglieder der türkisch-islamischen Gemeinde Backnang denken mit viel Traurigkeit an die Zeit zurück.

Brandkatastrophe in Backnang jährt sich zum zehnten Mal

Die acht Opfer starben an einer Rauchvergiftung. Den Helfern blieb nur noch die traurige Pflicht, deren Leichen zu bergen.Archivfoto: Jörg Fiedler

Von Matthias Nothstein

Backnang. Das Feuer bricht mitten in der Nacht aus. Acht Menschen sterben, sieben Kinder im Alter von 6 Monaten bis 16 Jahren und ihre türkischstämmige Mutter. Drei Angehörige können gerettet werden, nicht zuletzt aufgrund des mutigen Eingreifens von Nachbar Christos Kiroglou, den alle Backnanger als Merlin-Wirt Taki kennen. Heute jährt sich diese Katastrophe zum zehnten Mal.

Es war Sonntag, der 10. März 2013, als um 4.33 Uhr der erste Notruf bei der Feuerwehr eingeht. Und obwohl die Rettungskräfte innerhalb weniger Minuten mit einem Großaufgebot vor Ort sind, dauert es Stunden, bis die Flammen gelöscht sind. Als die Helfer mit Atemschutz in die Schlafräume der Großfamilie vordringen können, wird das Ausmaß des Infernos erst richtig klar: Acht Menschen mussten in der Flammenhölle sterben.

Schnell kommt die Frage auf, ob das Feuer auf einen ausländerfeindlichen Anschlag zurückgeht. Der Verdacht ist verständlich, schließlich dominierte die NSU-Mordserie damals die Medienlandschaft. Der Selbstmord der Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt lag gerade einmal eineinhalb Jahre zurück.

Doch in Backnang sind sich die Experten aufgrund der Umstände ebenso schnell einig, dass in diesem Fall kein Anschlag vorliegt. Das Feuer muss vielmehr im Innern der Wohnung ausgebrochen sein. Dann werden vage Vorwürfe laut, die Ursache könnte etwas mit dem schlechten Zustand des Gebäudes beziehungsweise mit der Elektroinstallation zu tun haben. Doch die Gutachter weisen nach, dass auch dies nicht stimmt. In der Ecke des Zimmers, wo der Brand ausgebrochen war, gab es überhaupt keine Stromleitungen.

In den ersten Tagen nach dem Brand musste Taki allen Medienvertretern Rede und Antwort stehen

Merlin-Wirt Taki war vor zehn Jahren derjenige, der den Brand als Erstes bemerkte. Er trat zwei Türen ein und kam im ersten Obergeschoss bis zur Wohnungstür. Als beißender Rauch das Weiterkommen verhinderte, rannte er zurück in sein Lokal, zertrümmerte dort eine Fensterscheibe und half den drei Überlebenden über eine Terrasse zur Flucht vor den Flammen. In den ersten Tagen nach dem verheerenden Brand musste Taki allen Medienvertretern Rede und Antwort stehen. Dies ist längst Vergangenheit. Heute ist er irritiert, dass sich die Zeitung überhaupt nochmals des Themas annimmt. „Das ist Vergangenheit, ich schaue nach vorne. Es beschäftigt mich inzwischen auch nicht mehr. Ich wurde in den letzten Jahren auch nur noch vier- oder fünfmal darauf angesprochen.“

Für die damaligen Einsatzkräfte ist die Brandkatastrophe auch zehn Jahre danach noch immer sehr präsent

Und wie geht es den Feuerwehrvertretern und Polizisten zehn Jahre danach? Ein Sprecher der Backnanger Feuerwehr verweist darauf, dass die Brandkatastrophe von Backnang „für unsere Einsatzkräfte noch immer sehr präsent ist“. Über die Katastrophe sprechen möchte er nicht, da bei einem solchen Ereignis die psychische Belastung für alle Beteiligten um ein vielfaches höher ist. Vielmehr verweist er darauf, dass selbst die Berichterstattung auch „alte Wunden aufreißt“.

Klaus Hinderer geht einen anderen Weg. Er war 2013 noch Pressesprecher der Polizeidirektion Waiblingen und hat in seinem Berufsleben etliche prägende Einsätze gehabt. So listet er etwa etliche Unfälle mit mehreren Toten auf und erwähnt in erster Linie den Amoklauf von Winnenden. Aber zu all den Tragödien, die sich auch einem Profi wie ihm ins Gedächtnis geprägt haben, gehört selbstverständlich auch das Flammeninferno von Backnang. „Ich habe es nicht vergessen.“

Der Schock saß tief

Als er vor Ort eintraf stand das Haus noch in Flammen und die Feuerwehren waren in vollem Einsatz. Als sich dann die Zahl der Opfer herauskristallisierte und die Erkenntnis, dass die meisten davon Kinder waren, saß der Schock tief. „Im Einsatz haben wir keine Zeit, Gefühle zu empfinden, da müssen wir funktionieren und über Stunden hinweg unsere Aufgaben erledigen. Als ich dann am Abend erstmals durchatmen konnte, wurde mir erst so richtig bewusst, was da passiert war.“

Besonders im Gedächtnis blieb Hinderer die Trauerfeier, die er auch mit zehn Jahren Abstand als sehr würdevoll und bewegend in Erinnerung hat. Hinderer bekam auch in den folgenden Jahren keine psychischen Probleme, was nicht selbstverständlich ist. „Ich kann relativ gut mit solchen Geschichten umgehen, ich habe viele Gespräche geführt. Aber wenn ich an dem Haus vorbeifahre, dann sind die Gedanken immer noch da, dann kommt die Erinnerung wieder hoch.“

Erdal Demir denkt mit viel Traurigkeit an die Zeit zurück. Er hat die Familie gekannt und weiß, dass die Opfer kein schönes Leben hatten. Demir ist nicht nur Mitglied der türkisch-islamischen Gemeinde, sondern auch Backnanger Stadtrat. Er war einer der Ersten vor Ort und erinnert sich heute: „Ich stand da und konnte nichts machen. Oft denke ich daran zurück.“

Tuncay Topyay vom Vorstand der türkisch-islamischen Gemeinde geht anders damit um: „Wenn ich öfter daran denken würde, würde es mich zu sehr schmerzen. Deshalb verdränge ich es so gut es geht.“ Emin Bilgin, ebenfalls Vorstandsmitglied, bestätigt: „Der Tag war sehr traurig für uns, wir haben alle sehr gelitten.“ Ethem Ugur war damals erst zwei Wochen zuvor zum Vorsitzenden der Gemeinde gewählt worden. Er sagt im Rückblick: „Es war Schicksal.“ Und Demir fügt an: „Besonders traurig stimmt mich, dass auch sieben Kinder sterben mussten, sie hatten ihr ganzes Leben noch vor sich. Allah rahmet eylesin. Allah möge ihrer Seelen gnädig sein.“

106 Feuerwehrleute mit 16 Fahrzeugen kämpften gegen die Flammen

Historie Bei den Löscharbeiten waren insgesamt 106 Feuerwehrkräfte mit 16 Fahrzeugen vor Ort. Der damalige Backnanger Feuerwehrkommandant Daniel Köngeter hatte Überlandhilfe angefordert. Zur Unterstützung eilten Wehrkräfte aus Oppenweiler, Murrhardt, Winnenden und Schwäbisch Hall nach Backnang. Auch Polizei und Rettungsorganisationen waren mit einem Großaufgebot im Einsatz.

Politik Hochrangige Vertreter der deutschen und türkischen Politik hatten den Brandort aufgesucht. So war zum Beispiel Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit dem türkischen Botschafter Hüseyin Avni Karslioglu vor Ort. Der damalige Innenminister Reinhold Gall kondolierte im Haus am Aspacher Tor, wo eine Betreuungsstelle eingerichtet worden war, den überlebenden Angehörigen. Später sprach der Minister von einem „hohen Maß der Erschütterung“ und von der „großen Betroffenheit bei Angehörigen und Rettungskräften“. Zwei Tage später reisten zur Trauerfeier im Hof der Backnanger Eyüp-Moschee auch der türkische Vizepräsident und Erdogan-Stellvertreter Bekir Bozdag, der baden-württembergische Vizeministerpräsident Nils Schmid und die Landesintegrationsministerin Bilkay Öney an.

Gutachten Die Suche nach der Brandursache lief vom ersten Moment an auf Hochtouren. Aufgrund der möglicherweise politischen Dimension gingen die deutschen Ermittler auf Nummer sicher. Sie beauftragten parallel das forensische Institut Zürich mit der Erforschung von Brandursache und -verlauf, um das Brandgutachten auf eine möglichst breite Basis stellen zu können. Drei Tage nach dem Feuer untersuchten drei Schweizer Sachverständige den Brandort. Bei der Ursachenforschung arbeiteten die Schweizer Spezialisten eng mit der Kriminalpolizei des Rems-Murr-Kreises und dem Landeskriminalamt zusammen. Grund für die Bitte um Amtshilfe war vermutlich das Misstrauen auf türkischer Seite. So wurden die Toten beispielsweise vor ihrer Beerdigung in der Türkei nochmals obduziert, obwohl dies die deutschen Behörden bereits getan hatten. Die erneute Obduktion der Leichen hatte für Misstöne zwischen Ankara und Stuttgart gesorgt.

Brandursache Das Gutachten zur Brandursache kam zu dem Ergebnis, dass die Bewohner den Brand wohl selbst ausgelöst haben. Ein zunächst vermuteter technischer Defekt schloss der Leiter der Stuttgarter Staatsanwaltschaft aus. Als Brandursache komme vielmehr unvorsichtiger Umgang mit Feuer an der Schlafcouch einer Großmutter infrage. Die Sachverständigen des Forensischen Instituts Zürich bestätigten diese Annahme.