Friedrich Merz hat der EU mehr deutsche Verlässlichkeit und Führung versprochen. Sein Fehlstart weckt ungute Erinnerungen.
Damit hatte keiner gerechnet – Friedrich Merz scheitert im ersten Durchgang der Kanzlerwahl. In der EU wird das Scheitern mit bangen Blicken verfolgt.
Von Knut Krohn
Europas Erwartungen an den kommenden Kanzler Deutschlands sind hoch. Angesichts dieses Fehlstarts von Friedrich Merz ist man in Brüssel entsprechend konsterniert. Geradezu aufgebracht reagiert der CDU-Europaparlamentarier Dennis Radtke. Als Bundesvorsitzender des Arbeitnehmerflügels CDA gilt er nicht als Merz-Anhänger, doch er formuliert seine Meinung gewohnt deutlich: „Die Abweichler haben eine Staatskrise mit Anlauf, Dummheit und Ignoranz ausgelöst.“ Und er betont, dass die EU gerade in dieser international schwierigen Lage eine handlungsfähige deutsche Regierung brauche. Als Profiteure sieht er die AfD, die ihr „Triumphgeheul“ anstimme. Den Abweichlern der zukünftigen Regierungskoalition aus CDU und SPD attestiert Dennis Radtke „moralische Insolvenz“.
Auch die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn bezeichnet das Verhalten der Abweichler als „verantwortungslos“. Sie schreibt auf der Nachrichtenplattform „X“: „In den Fluren des Europaparlaments erlebe ich Zweifel, ob Deutschland mit Merz als Kanzler tatsächlich Stabilität und Führung in Europa bringen würde.“ Sie befürchtet durch diesen Vorgang eine Schwächung Deutschlands und auch Europas.
Kritik an Merz von der politischen Konkurrenz
Aus den Reihen der Grünen ist allerdings auch Kritik an Friedrich Merz und seinem Auftreten vor allem während des Wahlkampfes zu hören. „Wer so lange gespalten hat, kann anscheinend kein Land einen“, schreibt der Stuttgarter Europaparlamentarier Michael Bloss auf „X“.
Im Rest der Europäischen Union dürfte allein der Gedanke an einen Dauerstreit in der neuen Berliner Koalition massive Kopfschmerzen auslösen. Zu frisch sind noch die Erinnerungen an die Ampelregierung, die mit ihrer Enthaltung bei Abstimmungen immer wieder EU-Projekte blockiert hat. Bekannt wurde dieses Verhalten unter dem Begriff „German Vote“. Auch die EU-Kommission hält mit ihren Erwartungen nicht hinter dem Berg. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas betonte jüngst, Deutschlands Führungsrolle sei für die Gestaltung eines dauerhaft stabilen Europas unerlässlich.
Hohe Erwartungen in der EU an Deutschland
Friedrich Merz will diesem Wunsch nachkommen und hat zuletzt immer wieder betont, dass das wirtschaftliche Schwergewicht Deutschland mit ihm als Kanzler mehr Führung auf dem Kontinent übernehmen werde. Das sei gerade in dieser unsicheren weltpolitischen Lage wichtig. Das Gewicht Berlins wird dadurch noch erhöht, dass inzwischen in 13 EU-Staaten konservative Regierungen an der Macht sind. Auch im Europaparlament hat die konservative EVP-Fraktion die Mehrheit. Das heißt, wenn Deutschland sich in einer Frage frühzeitig positioniert, werden sich andere an diesem Beispiel orientieren.
Europa steht vor einem Berg von Problemen
Drängende Probleme gibt es im Moment genug. Die EU hat noch immer keine Lösung im Handelsstreit mit den USA gefunden. Der Krieg in der Ukraine bedroht Europa. Hier hatte Merz im Wahlkampf eine veränderte deutsche Position und eine schnelle Lieferung des Marschflugkörpers „Taurus“ versprochen. Zudem will die EU will die eigene Verteidigungsfähigkeit stärken, doch das kostet viel Geld. Inzwischen sind auch innerhalb der CDU gemeinsame EU-Schulden kein Tabu mehr.
Viele Staaten hoffen, dass Deutschland in diesen Fragen die Richtung vorgibt und nicht nur sein wirtschaftliches, sondern auch ein politisches Gewicht einbringt. Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenkovic betonte in diesen Tagen am Rand eines EVP-Treffens im spanischen Valencia: „Alle erwarten, dass Deutschland sehr bald wieder als vollwertiger Spieler am Tisch sitzt.“ Im ersten Anlauf hat das für Friedrich Merz nun nicht funktioniert.