Bürger protestieren gegen neuen Lebensmittelmarkt

Kontroverse Diskussion bei Fragestunde im Gemeinderat Althütte – 867 Bürger unterzeichnen Unterschriftenliste – Informationsveranstaltung geplant

Kräftiger Gegenwind blies Bürgermeister Reinhold Sczuka kürzlich bei der Bürgerfragestunde ins Gesicht. Viele Besucher machten ihrem Ärger über den geplanten Supermarkt Luft, der in ein paar Jahren beim Feuerwehrgerätehaus entstehen soll. Sczuka bekam eine Liste übergeben, auf der sich 867 Unterzeichner für den Erhalt des bisherigen Marktes in der Schulstraße aussprechen.

Bürger protestieren gegen neuen Lebensmittelmarkt

„Ich möchte, dass der Nah-und-gut-Markt von Marcus und Cornelia Raimund in Althütte bestehen bleibt“: Diesen formulierten Wunsch unterzeichneten 867 Bürger. Claudia Maier (links) hatte die Unterschriftenaktion initiiert und in Petra Schweitzer eine Mitstreiterin gefunden. Foto: A. Becher

Von Annette Hohnerlein

ALTHÜTTE. Es mussten noch Stühle herangeschafft werden, so viele Bewohner von Althütte nutzten die Möglichkeit, in der Bürgerfragestunde zu Beginn der letzten Gemeinderatssitzung öffentlich kundzutun, wo sie der Schuh drückt. „Zerstört der neue Markt nicht die bestehende Infrastruktur, den Nah-und-gut-Markt, den Bäcker, den Metzger?“ – „Den Wald abholzen und einen großen Netto hinstellen, das ist furchtbar“ – „Kann man nicht einen Wochenmarkt in Althütte einrichten?“ – „Warum reicht der Dorfladen nicht?“ – „Warum wurde kein zweites Gutachten eingeholt?“ – so lauteten einige der Fragen, die die Bürger teilweise sehr emotional vorbrachten.

„Wenn der alte Standort zumacht, wird man keinen Nachfolger finden“

Bürgermeister Reinhold Sczuka erläuterte die Überlegungen der Verwaltung und des Gemeinderats, der das Verfahren für die Ausweisung des neuen Standorts am 24. Juli einstimmig auf den Weg gebracht hatte. Um die Lebensmittelversorgung am Ort langfristig sicherzustellen, müsse ein Markt mit einer größeren Verkaufsfläche her. Dies habe ein von der Verwaltung in Auftrag gegebenes Gutachten ergeben. Da eine Erweiterung des bestehenden Marktes in der Schulstraße nicht möglich sei, habe man mehrere Alternativen geprüft und sich schließlich für einen Neubau auf dem Gelände neben dem Feuerwehrgerätehaus am Ortseingang entschieden. „Wir wollen die Familie Raimund am Ort halten“, stellte der Bürgermeister klar, gab aber zu bedenken: „Wie lange können Raimunds die Garantie geben, dass sie am Ort sind? Wenn der alte Standort zumacht, wird man keinen Nachfolger finden.“ Um dann nicht ohne Lebensmittelversorger dazustehen, müsse die Gemeinde jetzt handeln, denn das Verfahren könne sich einige Jahre hinziehen.

Auch das Ehepaar Raimund war in der Sitzung anwesend. Nach ihrer Einstellung befragt, fiel das Statement von Cornelia Raimund knapp aus: „Entweder wir bleiben bis zur Rente oder wir gehen gleich.“ Ihr Mann Marcus verwies darauf, dass der einzige Interessent für den neuen Standort, die Firma Netto, maximal 4500 Artikel im Sortiment hätte, er dagegen 6000 bis 7000 Artikel. „Dann fehlt etwas in Althütte, da wandert Kaufkraft ab“, so seine Befürchtung.

Am Ende der rund 45-minütigen Diskussion überreichte Claudia Maier dem Bürgermeister eine Unterschriftenliste, auf der 793 Bürger ihr Anliegen dokumentiert hatten: „Ich möchte, dass der Nah-und-gut-Markt von Marcus und Cornelia Raimund in Althütte bestehen bleibt“, so die Überschrift auf dem Dokument. Inzwischen kamen noch weitere 74 Unterschriften hinzu, sodass sich insgesamt 867 Bürger, über 20 Prozent der Einwohner der Gemeinde, für den Erhalt des Lebensmittelmarktes ausgesprochen haben.

Maier, die Initiatorin der Unterschriftenaktion, hat die Listen in sieben Geschäften ausgelegt. Sie spricht offenbar vielen Bürgern aus der Seele, wenn sie sagt: „Althütte würde viel verlieren, was den Ort liebenswert macht.“ Ihre Mitstreiterin Petra Schweitzer ergänzt: „Wir haben hier eine große Vielfalt: drei Metzger, zwei Bäcker, viele kleine Läden.“ Diese Vielfalt sieht sie durch einen neuen Lebensmittelmarkt bedroht. Die beiden Frauen sind Stammkunden im Nah-und-gut-Markt und schätzen nicht nur die Auswahl und die Frische. „Es ist persönlich, man trifft immer jemanden“, sagt Petra Schweitzer. Claudia Maier bekräftigt: „Man wird freundlich bedient, von den Raimunds und ihren Angestellten. Ich kaufe immer dort, ich brauche nichts anderes. Wenn etwas fehlt, besorgt es Herr Raimund.“ Das Argument der Verwaltung, man müsse für die Lebensmittelversorgung der Zukunft vorsorgen, lassen die beiden nicht gelten. „Es geht nicht um die Situation in 15 Jahren, es geht um jetzt“, sagt Maier, und Schweitzer gibt zu bedenken: „Wer weiß, wie die zunehmenden Online-Käufe den Handel verändern. Vielleicht gehen die Senioren in einigen Jahren nicht mehr in den Laden, sondern sagen zu Alexa: ‚Ich brauche ein Toastbrot.‘“

Maier und Schweitzer erwarten von der Verwaltung in Zukunft mehr Transparenz: „Der Bürgermeister muss jeden Schritt offenlegen und die Bürger miteinbeziehen“, fordert Maier. Schweitzer hat sich inzwischen mit zwei Gemeinderäten in Verbindung gesetzt, um sich genauer über die Gründe zu informieren, die zu der Entscheidung für den neuen Lebensmittelstandort geführt haben. Das von der Gemeinde in Auftrag gegebene Gutachten, das ein Argument für die Ansiedlung eines größeren Marktes am neuen Standort war, reicht den beiden Frauen nicht aus. „Ein Gutachten ist nicht genug“, findet Maier, und Schweitzer fragt sich: „Ob der Gutachter jemals hier war?“

Für Anfang des kommenden Jahres hat Bürgermeister Reinhold Sczuka eine Informationsveranstaltung angekündigt, in der er die Intention der Gemeinde umfassend darstellen und auch der jetzigen Betreiberfamilie Raimund Gelegenheit zur Mitwirkung geben will. Er versichert, die Bürger hätten auch in dem laufenden Planungsprozess „entsprechende Mitwirkungsrechte“. Weiter gibt er zu Protokoll: „Wenn die jetzige Betreiberfamilie eine Zusage für den Betrieb in den nächsten Jahren mit entsprechender Garantie und Mietvertrag gibt – wie in der Sitzung von dieser erklärt –, dann wird die Gemeinde keinem neuen Markt die Eröffnung ermöglichen.“

„So einen Zusammenhalt wie

in Althütte gibt es woanders nicht“

Und wie fühlen sich diejenigen, die im Zentrum der ganzen Aufregung stehen, das Ehepaar Raimund? Die beiden 49-jährigen Einzelhandelskaufleute würden gerne den Rest ihres Berufslebens in der Gemeinde verbringen. „So einen Zusammenhalt wie in Althütte gibt es woanders nicht“, sagt Marcus Raimund. Als er einen Bänderriss hatte, habe ihm ein Kunde spontan beim Ausladen der Getränkekisten geholfen. Seine Frau erzählt von einer Kundin, die beim Putzen mit anpackte, als Not am Mann war.

In letzter Zeit haben die beiden mehr Kunden als bisher registriert und viel Unterstützung erfahren, für die sie sehr dankbar sind. Schmunzelnd erinnert sich Marcus Raimund an einen Kunden, der vor Kurzem mit den Worten in den Laden kam: „Wo ist die Liste? Meine Frau hat gesagt, ich muss unterschreiben, vorher kriege ich kein Abendessen.“