Bürger wünschen sich weniger Raser

In der Klima-Mobil-Modellkommune Burgstetten wurden jetzt die Ideen der Anwohner präsentiert, die sie bezüglich des Verkehrs und der Sicherheit in der Gemeinde haben.

Bürger wünschen sich weniger Raser

Als Rennstrecke sieht ein Grundschüler die Ortsdurchfahrt in Erbstetten. Im Rahmen der Ideenfindung waren auch Kinder der 3. und 4. Klassen aufgerufen, in Gemälden darzustellen, was ihnen an ihrem Schulweg gefällt und was nicht. Zahlreiche Anregungen hat die Gemeinde so erhalten wie beispielsweise das Anlegen von Zebrastreifen und das Aufstellen von Blitzern. Foto: Team Red

Von Renate Schweizer

BURGSTETTEN. Burgstetten ist seit vergangenem Jahr Modellkommune, eine von 15 in Baden-Württemberg. Gefördert von Bund und Land, unterstützt vom Kompetenznetz Klima Mobil und den Expertinnen von Team Red, einer Innovationsberatungsgesellschaft für nachhaltige Mobilität. „Modell“, das heißt: Hier können und sollen Ideen erprobt werden, die, wenn sie funktionieren, anderswo Schule machen können. Ideen vor allem, so hatten Bürgermeisterin Wiedersatz und Gemeinderäte gehofft, mit denen der Durchgangsverkehr verlangsamt und „verstetigt“ werden kann. Ideen, wie man mit einfachen Umgestaltungsmaßnahmen die Straßen sicherer und „bewohnbar“ für Kinder und Senioren machen könnte und wie man die eine oder andere zusätzliche Fußgängerampel genehmigt bekommen könnte.

Gefahrenstellen und neuralgische Punkte in Ortsplan eingetragen.

In der jüngsten Gemeinderatssitzung zeigten Bodo Schwieger und Verena Engel die bisher gewonnenen Erkenntnisse und einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen. Interessant übrigens: Schwieger war von Berlin aus zugeschaltet und Engel saß in Innsbruck, während sie die Präsentation vorstellte. Schöne neue digitale Welt und wohl schon das ein Beitrag zum Klimaschutz.

Als Kick-off (Neudeutsch für Auftakt) hatten die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Burgstetten die Gelegenheit, Gefahrenstellen und neuralgische Punkte und ihre Ideen dazu in einen interaktiven Ortsplan einzutragen – je mehr „Likes“ aus der Bevölkerung eine Stelle bekommen hatte, desto dicker wurde die Markierung im Ortsplan. Engel geriet geradezu ins Schwärmen angesichts des Engagements der Burgstettener: 226 Ideen und fast 2000 „Ideenlikes“ – keine Selbstverständlichkeit in einem Ort dieser Größe.

Als Nächstes hatte man die Kinder befragt: Schülerinnen und Schüler der 3. und 4. Klasse sollten malen und beschreiben, was ihnen an ihrem Schulweg gefällt – und was eben nicht. Die Ergebnisse, die da im Gemeinderat präsentiert wurden, waren geradezu herzzerreißend. Die Burgstettener Kinder fürchten um ihre Gesundheit und ihr Leben auf dem Weg zur Schule. Parkende Autos, aber auch Verteilerkästen und Mülleimer versperren ihnen die Sicht und machen sie selbst für die Autofahrer unsichtbar, niemand halte sich ans Tempo-30-Limit, die Gehwege seien eng, Querungshilfen über die Hauptstraße rar, Lkw seien laut und bedrohlich – am schlimmsten sei es in der Friedhofstraße in Erbstetten.

Der Vorschlag der Team-Red-Expertin lautete deshalb: Im September und Oktober, zu Beginn des neuen Schuljahrs, soll die Friedhofsstraße vorübergehend umgestaltet werden. Pop-up-Maßnahme heißt so etwas: verhältnismäßig günstige temporäre Umgestaltung des Straßenraums durch Begrünung, Sitzgelegenheiten, Straßenverengung und Bemalung. Tempo 20 soll die Straße zur Begegnungszone machen, in der alle Verkehrsteilnehmer aufeinander Rücksicht nehmen und Fußgänger oder Radfahrer Vorrang haben.

Keine Schützenhilfe für eine Ampel am Erbstettener Rathaus.

Dem stimmte der Gemeinderat am Donnerstagabend letztlich auch zu – aber im Grunde, das stellte sich bei der Diskussion im Anschluss an die Präsentation heraus, hatten sie alle mehr erhofft: Schützenhilfe zum Beispiel für eine Ampel am Erbstettener Rathaus, die Wiedersatz schon x-mal beantragt hat – nie wurde sie genehmigt. „Sie zählen die Fußgänger an der Stelle und sagen jedes Mal: Das reicht nicht“, klagt die Bürgermeisterin. Bodo Schwieger bestätigt: Das sei gerade die Absurdität der Verkehrsplanung: Wo keine Fußgänger sind, gibt es keine Ampel. Und ohne Ampel kann es keine Fußgänger geben. Besser wäre: eine Ampel bauen und Fußgängerverkehr überhaupt erst ermöglichen.

Dass die Hauptstraße durch den Ort eine Landesstraße ist, verschärft das Problem – in der Friedhofsstraße muss man „nur“ die untere Verkehrsbehörde in Backnang gewinnen. Also ran an die Friedhofsstraße, Hannes Ludwig von der Freien Wählervereinigung sprach es aus: „Es ist eine wunderbare Chance – immer bloß weiterschimpfen bringt’s nicht. Jetzt müssen wir in die Hände spucken und los!“ – „Und wir müssen die Anwohner mitnehmen“, ergänzte Hans-Joachim Elzmann von der Bürgervereinigung, „wenn wir da Deadlocks schaffen, werden die Leute bloß wütend. Gegenseitige Rücksichtnahme darf nicht zur Formel verkommen.“ Mit Deadlocks meinte Elzmann Situationen, dass im Straßenverkehr nichts mehr geht.

Pop-up-Maßnahmen haben den Vorteil, dass sie reversibel sind. Die Menschen können sie testen, verbessern, ausbauen. Das, was funktioniert, kann man auf andere Ecken übertragen. Überflüssiges und Störendes baut man zurück.